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Politik und Kultur – kann es je zu einem voll­wer­ti­gen inter­dis­zi­pli­nä­ren Austausch kom­men?

Von Karl Schüpbach - Interdisziplinär und fach­über­grei­fend – die­se bei­den Begriffe sind aus unse­rem heu­ti­gen Schul- und BildungsSystem nicht mehr weg­zu­den­ken. Das ist gut so, weil sie nicht bloss viel­leicht ver­al­te­te Bezeichnungen durch zeit­ge­mäs­se erset­zen. Sie ste­hen viel­mehr für eine Umorientierung: weg vom Scheuklappendenken – davon wird wei­ter unten in einem ande­ren Zusammenhang lei­der noch die Rede sein – hin zu einer ganz­heit­li­chen Betrachtungsweise.

Ich bin in der pri­vi­le­gier­ten Lage, bei­de gei­sti­gen Haltungen aus eige­nem Erleben her­aus beur­tei­len zu kön­nen, daher drängt sich ein kur­zer, natür­lich sehr per­sön­lich gepräg­ter Vergleich auf.

Engstirnigkeit Während mei­ner Gymnasialzeit und den Studien an der Universität Bern, ich spre­che von den Jahren 1950–1960, war fach­über­grei­fen­der Unterricht ein tota­les Fremdwort. Im Gymnasium küm­mer­te es den Mathematiklehrer über­haupt nicht, wenn sei­ne Prüfungstermine mit den­je­ni­gen des Griechischlehrers kol­li­dier­ten.

Schlimmer noch auf der Universität. Unmittelbar nach der Matura begann ich mein Studium als Berufsmusiker. Die dama­li­ge Inhaberin einer der Lehrstühle für Musikwissenschaft ver­stand es, mei­ne Eltern davon zu über­zeu­gen, dass ein Absolvent mit einer Griechisch-Matura nicht in den Niederungen eines Konservatoriums stu­die­ren soll­te, dass das Studium der theo­re­ti­schen Fächer an der Universität für mich ein Muss sei. Fazit: die Frau Professorin hat sich wäh­rend mei­ner vier­jäh­ri­gen Studienzeit kei­ne ein­zi­ge Vortragsübung ange­hört, der künst­le­ri­sche Teil mei­ner Studien inter­es­sier­te sie kei­nen Deut!

Offenheit, ganz­heit­li­ches Denken Wie befrei­end im Vergleich dazu ist es, den schu­li­schen Weg von zwei mei­ner Enkelkinder ver­fol­gen zu dür­fen. Fächerübergreifendes Lernen ist schon auf der Kindergarten-Stufe eine Selbstverständlichkeit. Bereits in der Primarschule ist eine stu­pi­de Scheuklappen-Politik, wie oben beschrie­ben, undenk­bar.

Es mag sein, dass der bis­he­ri­ge Schulweg mei­ner Enkelkinder von beson­ders begab­ten Pädagoginnen geprägt ist und dass es auch weni­ger posi­ti­ve Beispiele gibt. Aber im Allgemeinen bestä­tigt das Gespräch mit ande­ren Eltern die­sen höchst erfreu­li­chen Trend der Schule hin zur Öffnung.

Zwischenspiel zum bes­se­ren Verständnis Ich kann mir vor­stel­len, dass das bis­her Gesagte für das Verständnis der zen­tra­len Aussage des vor­lie­gen­den Artikels nicht aus­reicht. Wenn ich von einer eng­stir­ni­gen Schulzeit und einer fru­strie­ren­den Studienzeit spre­che, tan­gie­re ich wohl nur die Spitze des Eisberges. Ich müss­te umfas­sen­der spre­chen: von der Arroganz einer will­kür­lich ange­eig­ne­ten Autorität – im Gegensatz zu einer respekt­vol­len Haltung in zwi­schen­mensch­li­chen Beziehungen, so der unter­nom­me­ne Versuch, die heu­ti­ge Öffnung der Schule zu deu­ten. So gese­hen wird mei­ne seit Jahrzehnten andau­ern­de Wut über das weit­ge­hen­de Fehlen einer inter­dis­zi­pli­nä­ren Zusammenarbeit zwi­schen der Politik in Bern, weit­ge­fasst, und der Kultur – sei sie insti­tu­tio­nell ver­an­kert oder frei­schaf­fend – viel­leicht ver­ständ­li­cher.

Politik ver­sus Kultur Ein Schlüsselerlebnis: in den 70er Jahren ver­such­te ich als Personalvertreter des Berner Symphonieorchesters mit einer völ­lig neu kon­zi­pier­ten Lohneingabe an die Subventionsbehörden gegen die schon damals skan­da­lö­sen Lohnverhältnisse des Orchesters anzu­kämp­fen. Alle bis­he­ri­gen Eingaben beruh­ten auf Vergleichen mit den Orchestern in Zürich, Basel und Genf. Die Antwort war stets die­sel­be, ste­reo­typ und bequem: die Lebenskosten in den erwähn­ten Städten sei­en viel höher als in Bern, unse­re Forderungen damit nicht gerecht­fer­tigt. Ich ver­zich­te­te auf die­sen Weg, und such­te nach einem Vergleich mit einem ande­ren in Bern ansäs­si­gen Beruf. Viele minu­tiö­se Abklärungen – ich durf­te dabei auf die Unterstützung zahl­rei­cher Wissenschaftler zäh­len – erga­ben, dass die Gymnasiallehrer, punk­to gei­sti­gen Anforderungen, Spezialisierung, Dauer und Kosten des Studiums durch­aus zum Vergleich her­an­ge­zo­gen wer­den konn­ten. In einer gemein­sa­men (!) Sitzung zwi­schen dem Arbeitsgeber (damals dem Bern-ischen Orchesterverein) und dem Orchester wur­de die Eingabe so beschlos­sen. Die Hoch- und Aufbruchstimmung unter mei­nen Kolleginnen und Kollegen wer­de ich nie ver­ges­sen. Die Ernüchterung folg­te auf dem Fuss: der Sekretär des Arbeitgebers und ich wur­den vor den städ­ti­schen Finanzdirektor zitiert. Dort wur­de mir wort­reich zu mei­ner Arbeit gra­tu­liert, vor allem auch zu ihrer Originalität. Dann folg­te die heu­te auch übli­che Ausrede, es feh­le am Geld. Danach erfolg­te noch die unglaub­li­che Aussage – sie ist in unse­rem Zusammenhang zen­tral –, dass die Politik nicht mit uns über Prioritäten dis­ku­tie­ren kön­ne und wol­le. Nachher öff­ne­te er eine Schublade und liess die Arbeit vor unse­ren Augen dar­in ver­schwin­den. Seit dem Tag bin ich über­zeugt, dass die Erfindung der Schublade wohl eine der will­kom­men­sten Erfindungen der Menschheit dar­stellt.

Zum Schluss die­ses Abschnittes noch eine bit­ter­bö­se Bemerkung: weder eine der Nachfolgeorganisationen mei­nes dama­li­gen Arbeitgebers (Bernische Musikgesellschaft, Stiftung BSO), noch ein Orchestervorstand – jetzt als Gremium, aber auch Einzelperson ver­stan­den – haben sich je um die Befreiung der Arbeit aus der Schublade der städ­ti­schen Finanzdirektion stark gemacht, obwohl ich nie ein Hehl aus der Existenz der Eingabe gemacht habe.

Zurück in die Gegenwart Ausführlich wur­de an Hand eines Beispiels – es gäbe vie­le wei­te­re anzu­fü­gen – über die Verweigerung des Versuchs eines Dialoges sei­tens der Politik gespro­chen. Taucher in die Vergangenheit soll­ten mei­nes Erachtens nicht Selbstzweck sein, son­dern eine Hilfe zum Verständnis der Gegenwart. Darum drängt sich die Frage auf: hat sich in der Zwischenzeit bis in unse­re heu­ti­gen Tage Wesentliches geän­dert im Miteinander von Politik und Kultur? Die Frage muss zu mei­nem Leidwesen ver­neint wer­den. Es mag ein­zel­ne punk­tu­el­le Beispiele einer ver­bes­ser­ten Gesprächs-Kultur geben. Aber in gros­sen Zügen muss es lei­der bei der Verneinung blei­ben. Solange die mensch­li­che Gesellschaft, obwohl am Rande des Abgrundes, nicht auf­hört, Materialismus und Gewinnsucht an die Spitze des Erstrebenswerten zu set­zen, wird die Kultur – als ein­zig sich bie­ten­de Alternative – ihren Stellenwert nicht erhö­hen kön­nen. Vielleicht klingt dies etwas theo­re­tisch, daher soll hier ein dra­sti­sches Beispiel aus Stadt und Kanton Bern fol­gen.

Die Neugründung der kul­tu­rel­len Institution Konzert Theater Bern, die Fusion zwi­schen Berner Symphonieorchester und Stadttheater Bern, wur­de von allem Anfang an unter das Joch gestellt, dass sie nicht einen ein­zi­gen Franken an Mehrsubvention kosten darf. Treffender kann man das abso­lu­te Diktat des Geldes wohl kaum bele­gen. In die­sen Zusammenhang muss auch die gera­de­zu zyni­sche Vorgabe der Politik gestellt wer­den, dass die Vorbereitung die­ser Fusion nicht etwa Künstlern anver­traut wur­de, son­dern einem Kulturmanager aus Basel! Seine Vorschläge erwie­sen sich – was nicht wei­ter ver­wun­der­lich ist – als undurch­führ­bar, was unse­ren Stadtpräsidenten nicht dar­an hin­der­te, sei­ne Arbeit bis zuletzt als weg­wei­send zu bezeich­nen, ja, schlim­mer noch, Herr Haering wur­de auch mit der Aufgabe betraut, eine ent­spre­chen­de Fusion in Biel an die Hand zu neh­men. Als Krönung des Ganzen obliegt ihm die Pflicht, die Zusammenlegung vom Zentrum Paul Klee und dem Kunstmuseum Bern vor­zu­be­rei­ten. Administrativ mag dem ein Kulturmanager gewach­sen sein. Künstlerisch gese­hen jedoch sei­en hier gros­se Fragezeichen gesetzt.

Gibt es kei­nen Ausweg aus die­ser Diktatur des Geldes? Doch, den gibt es. Stellvertretend für vie­le kul­tu­rel­le Institutionen möch­te ich hier auf­zei­gen, was die Musikerinnen und Musiker des Berner Symphonieorchesters an die Hand neh­men müss­ten, um ihren ent­setz­lich schlech­ten Status end­lich zu ver­bes­sern. Durch hohes Können, durch eine über­aus geglück­te Ablösung von Generationen hat sich das Orchester zu einem Schweizerischen Spitzenorchester ent­wickelt. Das hin­dert die Politik nicht dar­an, in Ermangelung jeg­li­chen Respekts, dem künst­le­ri­schen Personal des Orchesters und des Theaters im Rahmen der neu­en Statuten die Mitsprache zu ver­wei­gern. Ich spre­che hier nicht als Gewerkschafter. Ich bedau­re zutiefst, dass der Klangkörper aus berech­tig­ter Selbstachtung und ange­brach­tem Stolz sich nicht, auch nicht im Ansatz, gegen eine sol­che Geste der Geringschätzung wehrt. Damit kom­me ich zurück auf mei­ne Behauptung, dass es sehr wohl einen Ausweg gibt: Tretet end­lich her­aus aus Eurer Lethargie, hört auf, die Politiker zu hofie­ren in der Hoffnung, sie wür­den von selbst zur Einsicht kom­men. Eine Feld-/Wald- und Wiesen-Umfrage wie sie jetzt Online ver­brei­tet wird kann kei­ne Alternative dazu sein. Es braucht eine von Herzblut und Leidenschaft gepräg­te Verteidigung des Orchesters, ohne Seitenblick auf die Sorgen des Schützen-Museums, ohne die­se aller­dings zu ver­nei­nen. Glaubt end­lich dar­an: wenn die Menschheit eine Zukunft haben will, so liegt die­se in Euren Händen!

Foto: zVg.
ensuite, Oktober 2011