Picknick im September

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Von Barbara Roelli – Die Geschichte fängt eigent­lich ganz harm­los an. Stefan und Julia pla­nen ein Picknick im Grünen, genau­er: ein Picknick im Grünen am See. Es soll ein roman­ti­sches Picknick wer­den. Eines mit Champagner in ech­ten Gläsern, mit Lachsbrötchen und Trauben zum gegen­sei­tig füt­tern; auf der flau­schi­gen Decke mit Schottenkaro. Sie wer­den gegen Abend ein lau­schi­ges Plätzchen am See fin­den, sich in den letz­ten Sonnenstrahlen in den Armen lie­gen und bei Kerzenlicht in den Sternenhimmel blicken. Und dann wird Stefan die klei­ne Schatulle hin­ter sei­nem Rücken her­vor­zau­bern, sie öff­nen und Julia vors Gesicht hal­ten. Der geschlif­fe­ne Diamant des Rings wird im Kerzenschein noch mehr fun­keln als im Tageslicht. Er wird den Ring aus der mit dun­kel­blau­em Samt gefüt­ter­ten Schatulle neh­men, ihn ihr ohne Worte an den Finger stecken. In die­sem Moment wird jedes Wort über­flüs­sig sein. Ein Heiratsantrag ohne Worte – doch sie wird nicken, sein Gesicht in bei­de Hände neh­men und ihn lei­den­schaft­lich küs­sen. Vor sei­ner wich­ti­gen Geschäftsreise nach Amerika wird er wis­sen, dass Julia ihn hei­ra­ten will. Das wird den Abschied von ihr soviel leich­ter machen.

Sie haben das Picknick seit X Wochen geplant, genau auf den 16. September. Den Tag, an dem sie sich vor vier Jahren ken­nen gelernt haben. Seit zwei Jahren woh­nen sie zusam­men, über Kinder haben sie in letz­ter Zeit oft gespro­chen. Übers Heiraten nicht. Für Julia ist klar, dass sie der rich­ti­ge Mann auch ohne Aufforderung dar­um bit­ten wür­de, sei­ne Frau zu wer­den. Sie hofft und ahnt dar­um auch, dass die­ses Picknick mit Stefan für ihr zukünf­ti­ges Leben von Bedeutung sein wird. Sie will Stefan vor sei­ner wich­ti­gen Reise nach Amerika das Ja-Wort geben. So wird ihr der Abschied von ihm leich­ter fal­len.

16. September. Sie fin­den den abge­le­ge­nen Ort am See genau­so vor, wie sie es sich vor­ge­stellt haben. Ein schma­ler Pfad führt vom Hauptweg ab, durch dich­tes Gebüsch mit Dornen. Das Ganze hat etwas Verbotenes, denn vor der Abzweigung in den schma­len Pfad ist unüber­seh­bar ein Verbotsschild mon­tiert: «Privatweg – Betreten ver­bo­ten». «Wo’s ver­bo­ten ist, ist’s am Schönsten», lächelt Stefan, nimmt Julias Hand und führt sie um das Verbotsschild her­um auf den schma­len Pfad. Er geht vor­an und befreit den Pfad mit einem Holzstock von über­wu­chern­den Ästen und Kletterpflanzen. Irgendwann errei­chen sie den See. Den Ort, wo ihr unver­gess­li­ches Picknick statt­fin­den soll. Es ist eine klei­ne Sandbucht, von Schilf gesäumt. Julia stellt den Picknickkorb auf den Boden; ein eng­li­sches Modell, das aus­sieht wie ein gefloch­te­ner Koffer. Julia öff­net ihn vor­sich­tig, greift nach der Decke mit Schottenkaro, und brei­tet sie in einer anmu­ti­gen Bewegung auf dem Sandboden aus. Dann löst sie die bei­den Teller aus den gekreuz­ten Ledergurten, legt Besteck, Salz und Pfefferstreuer auf die Decke. Es ist still am See; nur von wei­tem hört man ein Motorboot, und im Schilf sum­men irgend­wel­che Insekten. Stefan hat sich auf die Decke gesetzt und schaut Julia zu, wie sie lie­be­voll die Lachsbrötchen aus der Tupperware auf die Teller legt, die Gurkenscheiben dra­piert, den per­fekt rei­fen Camembert anschnei­det und einen üppi­gen Zweig weis­ser Trauben dazu­legt. Sie holt den selbst gemach­ten Pastasalat, den Stefan so liebt, aus dem Korb. Sie hat­te schon immer ein Flair für gute Sachen, denkt Stefan, als sie ihm den Champagner zum Öffnen über­lässt.

Dann knallt der Korken, und ein Schwarm Enten flat­tert aus dem Schilf in den Abendhimmel. Die Sonne liegt jetzt so tief, dass sie Julias und Stefans Plätzchen direkt beleuch­tet. Der Champagner schäumt aus der Flasche und Stefan bemüht sich, schnell die Gläser zu fül­len, ohne zuviel dane­ben zu trop­fen. Er schafft es nicht. Sie lachen. Julia küsst ihn auf das eier­för­mi­ge Muttermal, das sie so lieb­ge­won­nen hat. Endlich ist alles parat, sie sit­zen neben­ein­an­der auf dem Schottenkaro in der Abendsonne, vor ihnen aus­ge­brei­tet die Schätze aus dem Picknickkorb, und hin­ter Stefans Rücken die Schatulle mit dem Ring – dem Schlüssel zum Ja-Wort. Julias grü­ne Augen leuch­ten, Stefan berührt ihre Wange. Wie die Haut von Nektarinen – so glatt und weich, denkt er. Dann geht alles sehr schnell. Sie pro­sten sich zu. Julia ist geblen­det von der Abendsonne, als sie das Glas an die Lippen führt. Sie sieht die Wespe nicht und nimmt einen gros­sen Schluck. Geniesst das per­li­ge Gefühl des Champagners auf der Zunge. Die Wespe sticht nur ein­mal zu; an die wei­che Stelle zuhin­terst im Gaumen. Julia ver­schüt­tet den Champagner, spuckt die Wespe reflex­ar­tig aus und spürt, wie das Gift wirkt. Sie hört ihr Herz klop­fen, beginnt unru­hig zu atmen. Stefan packt sie an bei­den Armen, schreit sie hilf­los an, wo sie das Allergiemedikament habe, durch­wühlt ihre Tasche, leert den gan­zen Inhalt aus. Julia spricht nicht mehr, schüt­telt nur unter Tränen den Kopf. Sie wuss­te, dass sie irgend­et­was ver­ges­sen hat­te. Das Medikament. Julia fasst sich an den Hals, ringt nach Atem. Stefans Silhouette im Gegenlicht nimmt sie nur noch schwam­mig war, er tele­fo­niert laut, aber sie hört es nicht mehr. Das Letzte was sie wahr­nimmt ist, dass er sie in den Armen hält. Dann gibt sie ihm das Ja-Wort.

Foto: zVg.
ensuite, September 2010

 

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