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Paradies: Hoffnung

Von Sonja Wenger – Mit der Hoffnung been­det der öster­rei­chi­sche Regisseur Ulrich Seidl sei­ne «Paradies»-Trilogie über drei Frauen aus der glei­chen Familie, in der jede auf ihre Art nach Liebe und Anerkennung sucht. Doch wäh­rend «Paradies Liebe» vom Sextourismus und «Paradies Glaube» von ent­glei­ster Religiosität han­delt, und Seidl auf bei­des sei­nen gewohnt gna­den­lo­sen, ent­lar­ven­den Blick wirft, geht es in «Paradies Hoffnung» um die erste Liebe eines Teenagers – und der Regisseur geht unge­wöhn­lich mil­de mit sei­ner drei­zehn­jäh­ri­gen Hauptdarstellerin um.

Das ist nett von ihm, denn anders als Erwachsene kön­nen Teenager ja eher wenig dafür, wenn sie die Konsequenzen ihres Handelns falsch ein­schät­zen. Es ist das Privileg der Jugend, Fehler zu machen, und meist nur pures Glück, wenn dar­aus kei­ne Traumata fürs Leben ent­ste­hen. Illusionen soll­te man sich den­noch nicht hin­ge­ben. Auch «Paradies Hoffnung» ist ein typi­scher Seidl-Film, in dem die mei­sten Menschen nicht gut weg­kom­men, ein­fach weil sie es nicht ver­die­nen. Ihr Spiessrutenlauf ist dabei gewohnt gekonnt in ein­drück­li­chen Bildkompositionen fest­ge­hal­ten, die mal absur­der, mal komi­scher, mal ästhe­ti­scher Natur sind.

Erzählt wird dies­mal die Geschichte von Melanie (Melanie Lenz). Während ihre Mutter nach Kenia reist, um sich Liebesdienste jun­ger Männer zu erkau­fen, und ihre Tante jedem und allem ihren katho­li­schen Glauben auf­drän­gen will, wird das über­ge­wich­ti­ge Mädchen in ein abge­le­ge­nes Diät-Camp gesteckt. Zwischen kon­zer­tier­ten Leibesübungen des fru­striert-sadi­sti­schen Trainers (Michael Thomas) und nutz­lo­sen Ernährungsinformationen einer sprach­lo­sen Ernährungsberaterin (Vivian Bartsch), fin­det Melanie nicht nur eine älte­re Freundin (Verena Lehbauer), die ihr jede Menge über Sex und die Fakten des Lebens erzählt, son­dern auch ihre erste Liebe: den unend­lich viel älte­ren Camp-Doktor (Joseph Lorenz). Dass dies nicht gut­ge­hen kann, ver­steht sich von selbst. Und doch ver­än­dert sich Melanie durch die­se Erfahrung, denn es wäre kein Seidl-Film, wenn es dar­in nur um ein klas­si­sches Opfer-Täter-Schema oder um ein lang­wei­li­ges Coming-of-Age-Drama gin­ge.

Für vie­le mag «Paradies Hoffnung» zu nett oder zu mil­de sein. Doch wem es weni­ger um das Entlarven des ego­isti­sche Strebens nach Anerkennung ohne Leistung geht, son­dern mehr um einen bemer­kens­wert unprä­ten­tiö­sen Blick auf das nor­ma­le Scheitern beim Versuch, nor­ma­le Bedürfnisse zu erfül­len, der wird in die­sem Film fün­dig wer­den.

«Paradies Hoffnung», Österreich 2013. Regie: Ulrich Seidl. Länge: 91 Minuten. Ab dem 20. Juni in Deutschschweizer Kinos.

Foto: zVg.
ensuite, Juni/Juli 2013