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Observatio V – Malereisoirée

Punkt 18 Uhr beginnt der Schnelldurchlauf; exakt 30 Minuten gesteht Thomas Müllenbach im 1. Teil der Soirée – Hinweise auf Ausstellungen – sich und den Studierenden zu, die auf­merk­sam und schreib­be­reit dasit­zen oder mit leich­ter Verspätung erst ein­tru­deln – knapp dreis­sig Leute wer­den es bis zum Schluss der offe­nen Veranstaltung sein –; alles, was ihm in den letz­ten paar Wochen zu aktu­el­len Ausstellungen in die Finger gekom­men ist, hat der Dozent und Künstler mit­ge­bracht, Einladungen zu Vernissagen und Besprechungen in NZZ, Sonntagszeitung, Kunstbulletin und anders­wo; die Ausstellungen sind (wären!) in London zu sehen, in Berlin, Basel, Zürich, von fern bis nah; und das gan­ze Material jagt T. M. durch den Durchlauferhitzer sei­nes Denk- und Sprechapparats, wäh­rend er gleich­zei­tig die Papierflut auf dem rie­si­gen Tisch aus­brei­tet, ja die Zettel auf den Tisch reg­nen lässt, Abbild der täg­li­chen (Papier)Sintflut, die unse­re Kommunikationsgesellschaft her­vor­bringt, bloss wo ist die Arche, die uns dar­über hin­weg trü­ge, Ordnung und Orientierung schaf­fend; Thomas Müllenbach ver­sucht es, indem er die Flut kom­men­tiert, etwa, dass die Kunst der DDR gera­de eine Umwertung erfah­re – sahen wir mit «west­li­chem Blick» zu Lebzeiten der DDR stets nur die Funktionalität eines künst­le­ri­schen Werks (z.B. galt allein die Tatsache, dass Metallarbeiter gemalt wur­den, als Indiz für «Staatskunst») –, neh­men wir heu­te auch die Art und Weise der Darstellung wahr, erken­nen plötz­lich die lei­se Ironie dahin­ter; und wis­sen gleich­zei­tig, dass die CIA zur Zeit des Kalten Kriegs über ver­schie­de­ne Kanäle inter­na­tio­nal bekann­te euro­päi­sche Künstler (wie Heinrich Böll!) unter­stütz­te oder bestimm­te Kunstrichtungen för­der­te wie den «Abstrakten Expressionismus», im Versuch, eine «Entideologisierung» = anti­kom­mu­ni­sti­sche Haltung der ein­fluss­reich­sten Kulturakteure zu errei­chen.

Reise durch Zeit und (Ausstellungs-)Raum

Weiter geht es mit Informationen im Sekundentakt; dass die Schönheit von Torso und Ruine in der Renaissance «ent­deckt» wur­de, erfah­ren wir, und dass Louise Bourgeois mit den über­di­men­sio­nier­ten Spinnen ihrem ambi­va­len­ten Verhältnis zu ihrer Mutter Ausdruck ver­lie­hen habe; Schutz und Bedrohung, das leuch­tet ein, und ich wünsch­te mir trotz­dem, es gäbe kei­ne so ein­fa­che Erklärung, bzw. ich wün­sche mir, dass sich das Wissen um die­se «Bedeutung» nicht vor das Erleben stellt, das Rätselhafte und Unergründliche ihrer Kunst mit die­ser «Erklärung» nicht auf all­zu bil­li­ge Weise «ent­sorgt» wird; obwohl ich mit­nich­ten eine Freundin der Mystifizierung von Kunstwerken bin, so hof­fe ich zumin­dest, revol­tiert etwas in mir, wenn sol­che Erklärungen ange­bo­ten wer­den – selbst dann, wenn sie, wie das wohl bei Louise Bourgeois der Fall ist, von der Künstlerin sel­ber stam­men.

Wenn Thomas Müllenbach eine Ausstellung schon gese­hen hat, gibt er dezi­dier­te Empfehlungen ab, hält den Daumen hoch oder run­ter, wird durch­aus expli­zit (was er spä­ter in den Diskussionen zu Studierendenarbeiten eher unter­lässt). «Es ist ein­fach zum Kotzen, wenn einer eine win­zi­ge Idee hat und sie dann auf­bläst; macht so etwas bit­te nicht!», beschwört er die Studierenden mit sicht­li­cher Lust (auch an der Provokation); er ermun­tert sie gleich mehr­fach, sich eine eige­ne Meinung zu bil­den. «Geht statt­des­sen ins Kunsthaus Zürich, das ja zum Glück jetzt einen Erweiterungsbau bekommt, Gaugin, das druck­gra­fi­sche Werk, Rätsel über Rätsel, (ach wie schön, Gaugin darf sei­ne Rätselhaftigkeit behal­ten!) was er da gemacht hat, ein­fach gross­ar­tig.»

Eigenes zei­gen

Da redet sich jemand ins Feuer, den­ke ich, legt sich ins Zeug, ver­aus­gabt sich, nicht um dem Chaos der (Ausstellungs)Welt allen­falls Herr zu wer­den, im Gegenteil: er repro­du­ziert es, um es sicht­bar zu machen, die Anstrengung auch, die es bedeu­tet, in die­sem und mit die­sem Chaos zu leben. Dazu passt eines sei­ner eige­nen künst­le­ri­schen Projekte, das ich am näch­sten Tag auf YouTube fin­de, «Halboriginal» heisst es, und ver­sam­melt eben jene Zettelflut; sie­he Vernissage.tv: Halboriginal is the tit­le of a two weeks spe­cial pro­ject at Rotwand Gallery in Zürich. Since 2005 Swiss artist Thomas Müllenbach has coll­ec­ted every fly­er and exhi­bi­ti­on invi­ta­ti­on that has been sent to him. Then he has reinter­pre­ted the­se invi­ta­ti­ons in water­co­lors. The gal­lery Rotwand is now show­ca­sing a group of over 400 of the­se water­co­lors. Among them are invi­ta­ti­ons for exhi­bi­ti­ons with artists such as Albrecht Dürer, General Idea, Sigmar Polke, Jasper Johns, Dawn Mellor, and many others.; Thomas Müllenbach ist ein Vielmaler; prak­tisch täg­lich pro­du­ziert er Bilder, zeich­net ger­ne vor dem Schlafengehen, was ihm vor Augen steht am Ende eines Tages; künst­le­ri­sches Zähneputzen nennt er das; mit schnel­lem Strich ent­steht wie neben­her eine Chronik des Alltags, eine Form der Zeitgenossenschaft.

Eine stren­ge Auswahl davon – die mei­sten Zeichnungen lan­den im Altpapier – stellt er zum Abschluss der Malereisoirée zur Diskussion; auch wenn die Lust oder der Mut der Studierenden, die Zeichnungen (kri­tisch) zu befra­gen, begrenzt ist, scheint mir die Bereitschaft, sich die­sem Prozedere aus­zu­set­zen, doch nicht selbst­ver­ständ­lich.
Das Herzstück der Malereisoirée näm­lich ist das Gespräch über eige­ne Arbeiten, die Studierende aus ver­schie­de­nen Departementen mit­ge­bracht haben; Fotos, Zeichnungen, Collagen und Ölbilder sind es an die­sem Abend. Im Idealfall, scheint mir, wäre das zunächst eine Beschreibung des­sen, was vor­liegt; was zeigt sich in den viel­leicht fünf­zig Fotos in Postkartengrösse, die eine Studentin aus­legt, lau­ter blü­hen­de Bäume an einem Frühlingstag, rausch­haft inner­halb von zwei Stunden foto­gra­fiert, was ver­mit­telt sich, wel­che Fragen stel­len sich, wel­che Assoziationen haben die Betrachter, wel­che Zusammenhänge stel­len sie her; aber auch: wie sehr inter­es­siert sie, was sie sehen, was inter­es­siert sie dar­an, etc. Stattdessen herrscht weit­ge­hend Ratlosigkeit; die Studentin möch­te die Fotos ver­grös­sern, Weltformat viel­leicht; bloss wozu? Einem Impuls zu fol­gen ist, den­ke ich, im besten Fall die Basis für eine künst­le­ri­sche Arbeit, aber nie­mals aus­rei­chend; her­aus­zu­fin­den gäl­te es, was die vor­lie­gen­den Fotos denn bedeu­ten könn­ten, was mit einer Vergrösserung erreicht wür­de, jen­seits der puren Grösse; (mir fal­len die Fotoarbeiten von Hans Danuser ein, Frozen Embryos, schwarz­weiss, Bilder, die aus einer Welt stam­men, die Nichtmedizinern nicht zugäng­lich ist;) wie sie gele­sen wer­den, was sie ver­mit­teln über das Abbilden hin­aus; Thomas Müllenbach spricht von der Arbeit von Fischli/Weiss, auch sie haben Blumenbilder gemacht; die­se aller­dings reflek­tie­ren, so glau­be ich mich zu erin­nern, auf raf­fi­nier­te Weise, unse­re Sehnsucht nach Schönheit und Kitsch; viel­leicht lädt der Verweis die jun­ge Künstlerin ein, einen Schritt wei­ter­zu­ge­hen in ihrer Arbeit oder viel­mehr inne­zu­hal­ten und einen Schritt zurück­zu­tre­ten, ver­mag sie doch noch nicht ein­mal zu sagen, nach wel­chen Kriterien sie ihre Auswahl getrof­fen hat, wonach sie sucht, ob sich dahin­ter ein Erkenntnisinteresse ver­birgt.

Existentielle Fragestellungen?

Am Interesse arbei­ten – das ist denn auch eine Empfehlung, die Thomas Müllenbach gibt; eine ande­re Studentin hat sich wis­sen­schaft­li­che Fotografien in Populärmedien als Vorlagen genom­men und die­se über­malt; eini­ger­mas­sen will­kür­lich schei­nen dabei Auswahl und die ein­ge­setz­ten Mittel; die Studentin ist denn auch noch nicht in der Lage, zu erläu­tern, wonach genau sie sucht, was sie fas­zi­niert; es fehlt ent­we­der an Präzision oder an Freiheit im Umgang mit den Vorlagen, meint Thomas Müllenbach, und ich fra­ge mich, ob es denn nie­man­den gibt, der oder die ein Thema hat, das ihn oder sie umtreibt, eine viel­leicht sogar exi­sten­ti­el­le Fragestellung; oder ob hier alle bloss unter insti­tu­tio­na­li­sier­tem Produktionszwang ste­hen; da legt zum Glück eine drit­te Studierende ihre Arbeit aus, Zeichnungen, Bilder und Fotos von Armensiedlungen in Peru, und hier end­lich wird etwas sicht­bar, der Unterscheid auch zwi­schen Abbild und künst­le­ri­scher Bearbeitung, die Unmöglichkeit auch, ein­zu­drin­gen oder vor­zu­drin­gen zu den Menschen, die dort leben, zu ihrer Lebensrealität, die indes­sen mit­tels Zeichnungen ima­gi­niert wird; hier end­lich wird das Gespräch leb­haft und frucht­bar, wer­den unter­schied­li­che Wahrnehmungen for­mu­liert und dis­ku­tiert, wird die Gruppe, die vie­len ver­schie­de­nen hier Anwesenden zum Mehrwert.

Es fol­gen zwei wei­te­re Präsentationen, Stadtcollagen und Ölbilder; ins­ge­samt bin ich über­rascht über die wenig aus­ge­bil­de­te Fähigkeit der Studierenden, das eige­ne Tun zu reflek­tie­ren, bzw. über­haupt erst wahr­zu­neh­men und mit­tels Assoziation und Imagination einen Horizont für die eige­ne Arbeit zu ent­wickeln, oder sind es Angst und Scheu; die Angst, nicht gut genug zu sein, die Studierende dar­an hin­dert?
Dass es die Malereisoirée gibt, dass sie so gut besucht ist, dass so vie­le Studierende bereit sind, sich den Augen und Denkapparaten ande­rer Studierenden aus­zu­set­zen, aus­ser­halb eines vom jewei­li­gen Departement vor­ge­ge­be­nen Rahmens, stimmt den­noch zuver­sicht­lich.

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