Observatio I – Gestaltung von Authentizität?

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Ein zeit­ver­zö­ger­ter Rückblick auf die Tagung «Künstlerische Darstellungsformate im Wandel», 28./29. September 2012.

Die nach­hal­tig­sten (Sinnes)Eindrücke (ich muss­te mei­nen Besuch auf den Samstag, 28. Sept. beschrän­ken) hin­ter­lies­sen zwei­fel­los die Performance «Geistige Umnachtung» der Theatergruppe «Schauplatz inter­na­tio­nal» sowie das anschlies­sen­de Podiumsgespräch, bei­des im rabi­at abge­dun­kel­ten Vortragssaal der Zürcher Hochschule der Künste; kei­ne gei­sti­ge, son­dern eine phy­si­sche, kol­lek­ti­ve Umnachtung wäh­rend immer­hin knapp zwei Stunden; eine star­ke Setzung, die unter­stri­chen wur­de durch das im Vorfeld von der Moderatorin aus­ge­spro­che­ne Verbot, den Saal zu ver­las­sen.

Eine rech­te Zumutung also für die Zuschauerinnen und Zuschauer, die gezwun­ge­ner­mas­sen zu Zuhörerinnen und Zuhörern degra­diert wur­den. Die Alltagserfahrung von Blinden oder stark Sehbehinderten als künst­le­ri­sche Versuchsanordnung, ein Format, das indes­sen, so will es mir schei­nen, nicht zum Ziel hat­te, die Lebensrealität von blin­den Menschen «abzu­bil­den» bzw. erfahr­bar zu machen, son­dern die Anwesenden, nun ja, zu pro­vo­zie­ren, ihre Erwartungen an eine (wil­de?) Performance zu ent­täu­schen, sie zu kon­fron­tie­ren mit dem Entzug der­je­ni­gen Sinnesebene, die für die mei­sten ZeitgenossInnen die wich­tig­ste ist, weil sie ver­meint­lich sofor­ti­ge Einschätzung, ja Kontrolle über das Geschehen und das Gegenüber ermög­licht – Alter, Geschlecht, Aussehen, all­fäl­li­ge Gefahrensignale, etc.

Und wer von uns wür­de statt Fotos Tonspuren der Ferienreisen mit den (Facebook)Freunden tei­len? Aber natür­lich ging es nicht nur dar­um, dem Publikum etwas vor­zu­ent­hal­ten, son­dern eher dar­um, sei­ne Aufmerksamkeit zu erhö­hen für das, was statt­des­sen geschah.

«Dunkelheit»

Und das war viel und viel­fäl­tig. Zum Beispiel die Empfindung, als Anwesende in einem inti­me­ren und pri­va­te­ren Raum zu sein – nie­mand sieht mich, ergo bin ich weit gehend ent­la­stet von der sozia­len Komponente einer Theatersituation und kann mich der Müdigkeit hin­ge­ben oder dem Nägelkauen, ande­rer­seits neh­me ich mich viel stär­ker als Teil eines Kollektivs wahr und bin damit auch mit der eige­nen Neigung zu Anpassung, Unterwerfung oder Rebellion kon­fron­tiert; eini­ge weni­ge ver­lies­sen nach eini­ger Zeit den Saal, zusätz­lich ange­sta­chelt wohl durch das Verbot, wäh­rend ande­re ihren Unmut laut­stark (und durch die Dunkelheit geschützt) äus­ser­ten; die mei­sten indes­sen blie­ben gehor­sam auf ihren Plätzen (ich auch), obwohl sich mit zuneh­men­der Dauer der Veranstaltung ein Unbehagen breit mach­te, wer­de ich hier als Publikum zum Versuchskaninchen, las­se ich mich zu stark mani­pu­lie­ren, ver­lie­re ich die Autonomie, gebe ich die per­sön­li­che Freiheit, mich für oder gegen etwas zu ent­schei­den, preis, und war­um tue ich das?

Es waren durch­aus unan­ge­neh­me Fragen, die sich mir stell­ten, die indes­sen weni­ger mit dem aku­stisch Dargebotenen zu tun hat­ten (Gespräche über die Situation «Dunkelheit» sowie eine Art Präsentation der bis­he­ri­gen Theaterprojekte der Gruppe, indem Fotos der­sel­ben beschrie­ben wur­den), als mit dem Format selbst – sie­he oben.

Nachhaltige Wirkung

Das alles schrei­be ich am 1. November 2012; mit einer zeit­li­chen, aber nicht unbe­dingt emo­tio­na­len Distanz; man könn­te die Wirkung der Tagung als durch­aus nach­hal­tig beschrei­ben, auch an den «Vortrag über das Vortragen» erin­ne­re ich mich, der mich dann in Bann zog, wenn er Wissen ver­mit­tel­te, etwa das­je­ni­ge über den Zusammenhang zwi­schen Architektur und dem Dozieren, wenn der Professor (Professorinnen gab es damals noch nicht) direkt aus dem Allerheiligsten trat, (dem Forschungslabor, der Krankenstation), das nur ihm zugäng­lich war, und qua­si von dort aus dozier­te und eben dort­hin auch wie­der ver­schwand.

Welch ein demo­kra­ti­scher (?) Wandel hat da statt­ge­fun­den, wenn man an die Uni heu­te denkt, wo die Studierenden das, was die Vortragende sagt, via iPhone oder Laptop live auf sei­ne Richtigkeit über­prü­fen bzw. die Quellen des pro­fes­so­ra­len Wissens trans­pa­rent machen, was zwei­fel­los zu einer dra­ma­ti­schen Verschiebung der Machtverhältnisse führt, wobei hier wohl das Format der Dozierenden den Ausschlag gibt: wer nicht mehr zu sagen hat als was auf Google zu fin­den ist, ist am fal­schen Platz.

Schnitt: Gestern Abend war ich seit lan­gem ein­mal wie­der im Kino, Amour, der neue Film des Altmeisters Michael Haneke (sie­he Kulturkritik dazu), ein altes Ehepaar, gespielt von wirk­lich alten Schauspielern, Jean Louis Trintignant und Emanuelle Riva, bei­de über acht­zig. Der Film lebt von dem, was die Kamera zeigt, (Innen)Räume, Gesichter und Körper, von den behut­sam und scharf gesetz­ten Dialogen, nicht aber von der Geschichte, die im Kern zutiefst undra­ma­tisch ist (es stirbt nicht etwa ein Kind, es gibt kei­ne wei­te­ren Katastrophen, die Protagonisten sind wohl­ha­bend) und deren Ende von Anfang an bekannt ist: Die Frau wird ster­ben. Erzählt wird, wie das alte Paar sei­nen Weg geht vom ersten Schlaganfall bis zu Annes Tod.

Authentizität, Zufälligkeit, Impuls

Warum ich im Zusammenhang mit der Tagung dar­über schrei­be? Das eben ver­su­che ich her­aus­zu­fin­den; es muss mit dem irgend­wie unsäg­li­chen und doch oft ver­wen­de­ten Begriff der Authentizität zu tun haben.

«Inwiefern füh­ren etwa die neu­en Authentizitätsstrategien, die heut­zu­ta­ge in ver­schie­de­nen Disziplinen erprobt wer­den, zu neu­en Formaten?» lese ich auf dem Tagungsflyer, und das erin­nert mich, wor­über ich haupt­säch­lich schrei­ben woll­te und will, den Workshop von Sarah Owen, «Flawed Mastery, Zur Gestaltung von Authentizität im Design» und die damit ver­bun­de­nen Fragestellungen. «Mangelhafte Meisterschaft», so etwa könn­te man den Titel über­set­zen, und damit sind tat­säch­lich Strategien gemeint, um das her­zu­stel­len, was man als «authen­tisch» bezeich­net, aber was genau wäre das? Das von Laien Hergestellte, den selbst­ge­strick­ten Schal, den hand­schrift­li­chen Dankesbrief, der kei­nen künst­le­ri­schen Anspruch hat, d. h. des­sen Form höch­stens Ausdruck ist eines «natür­li­chen» Bedürfnisses nach Schönheit, und dem somit immer etwas Zufälliges eig­net?

Genau die­se Zufälligkeit wird nun mit allen Mitteln der Kunst gesucht – und durch die Hintertür des nach­träg­li­chen Fehlereinbaus auch gefun­den. Das mag mög­lich sein im Design, aber unmög­lich zum Beispiel im Theater oder auch in der Literatur; wer lite­ra­risch schreibt, ist auf den Zufall ange­wie­sen, auf das, was einem beim Schreiben unter­läuft – nach­träg­lich kann man und muss man sich dazu ver­hal­ten; was bleibt drin in einem Text, was kip­pe ich raus zugun­sten von Kohärenz und Konsistenz.

Daran schliesst sich für mich eine dring­li­che Frage: Kann «Authentizität» über­haupt eine Zielqualität eines künst­le­ri­schen Produkts sein? Ich mei­ne, nein. Hatte Haneke zum Beispiel im Sinn, Annes zuneh­men­de Hinfälligkeit so authen­tisch wie mög­lich, also so glaub­wür­dig wie mög­lich dar­zu­stel­len? Ich bezweif­le es. Hingegen hal­te ich es für durch­aus mög­lich, dass ihn Authentizität als Motor inter­es­siert, als Ausgangspunkt einer Filmidee, als Ausgangspunkt sei­ner Arbeit.

Das ist auch mei­ne Frage, mein Anspruch als Künstlerin besteht gera­de eben nicht dar­in, ein Produkt authen­tisch erschei­nen zu las­sen, das erschie­ne mir falsch, und zwar sowohl mora­lisch wie ästhe­tisch. Dennoch möch­te ich den Begriff der Authentizität nicht ein­fach fal­len las­sen: Dass es sich bei «Authentizität» um etwas Nachträgliches han­delt, um die Rekonstruktion von etwas Ursprünglichen, das es so aller­dings nie gege­ben hat, das scheint mitt­ler­wei­le ein Gemeinplatz zu sein (wie sonst käme man zum oben genann­ten Workshop-Titel?); mich irri­tiert die­ser Gedanke.

Was mich näm­lich bewegt, ist eben der Ausgangspunkt jeder künst­le­ri­schen Arbeit, der Impuls, der ihr zugrun­de liegt, und der noch nicht bestimmt ist vom Gedanken an das Produkt, das der­einst viel­leicht als Ergebnis vor­liegt, son­dern ein­zig von der Suche nach etwas, das in die­sem Moment weder ein Thema noch ein Format hat.

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