- ensuite | kulturagenda | enBlog - https://ensuite.we-are.gmbh -

Nicht lustig – Lore

Von Lukas Vogelsang – Wir schrei­ben das Jahr 1945, und die Deutschen kapi­tu­lie­ren. Nazi-Anhänger wer­den ver­haf­tet oder flie­hen, die sozia­len Hierarchien sind neu gemischt wor­den: Jetzt flieht, was vor­her gejagt hat. So auch die Eltern von Lore. Ihre Mutter kommt mit der Situation nicht zurecht – Vater ist wohl bereits im Gefängnis –, sie packt eines Tages in ihrem Versteck ihren Koffer und über­lässt die Kinder dem Schicksal. Lore über­nimmt als Älteste die Verantwortung für die vier Geschwister. Allerdings gibt es in dem abge­le­ge­nen Kaff kaum was zu Essen – und die Nachbarn wol­len das eltern­lo­se «Gesindel» auch nicht mehr, als ein Bruder beim Stehlen erwischt wird.

Die Kinder flie­hen – nach Hamburg, zu ihrer Grossmutter. Doch der Weg ist 900 Kilometer lang, und die Hindernisse für die Kleinen sehr gross. Zudem dür­fen sie nicht erkannt wer­den, um nicht sel­ber gefan­gen genom­men zu wer­den. Ohne Pässe ist das gefähr­lich. Ohne Geld fast aus­sichts­los. Die Nachkriegszeit ist ohne Herz und see­len­leer.

Unterwegs ret­tet Lore Thomas, der gemäss sei­nem Pass Jude ist. Sie muss also aus­ge­rech­net jenen Menschen ver­trau­en, wel­che sie zu has­sen gelernt hat. Doch auch ihre Pubertät spielt ihr Streiche – gemischt mit Traumas, Schock und Angst eine uner­träg­li­che Mischung für ein jun­ges Mädchen. Entsprechend wächst das Drama. Doch einen Ausweg gibt es nicht – nur das «Hindurch». Was übrig bleibt, sind Erinnerungen an zwei Welten, die nicht mit­ein­an­der kom­pa­ti­bel sind.

Die jun­ge austra­li­sche Regisseurin Cate Shortland (*1968) hat sich an ein schwie­ri­ges Thema her­an­ge­wagt. Vielleicht gera­de, weil sie kei­nen deut­schen Hintergrund mit­bringt, konn­te sie sich auch als Drehbuch-Verantwortliche an die Hitler-Nachkriegszeit her­an­wa­gen. Überraschenderweise ist trotz die­ses Hintergrundes ein durch und durch deut­scher Film ent­stan­den. Das zeigt sich in der Schauspielerei und in der Art und Weise, wie gefilmt wur­de. Das Drehbuch über­zeugt jedoch nicht an allen Stellen, oder teil­wei­se sind Szenen etwas zu kli­schiert gefilmt. In Anbetracht des schwie­ri­gen Themas ist das aber nicht dra­ma­tisch. Sehr toll ist das Casting der Kinder, allen vor­an von Saskia Rosendahl als Lore, die mit Sicherheit noch viel Beachtung erhal­ten wird. Kai Malina als Thomas ist bereits preis­aus­ge­zeich­net und viel beach­te­ter Schauspieler in Deutschland. Und auch die rest­li­chen Kinder und Erwachsenen sind ein­fach toll.

Der Film wagt den Blick von der ande­ren Seite auf die Geschichte. Das ist mutig. Entsprechend ist die kri­ti­sche Voreingenommenheit sicher grös­ser. Cate Shortland ver­sucht aber gar nicht erst, eine mora­li­sche Anklage auf­zu­bau­en. Sie bleibt bei der Beschreibung und dem Ist-Zustand der Kinder. Für die­se bricht eine Welt ent­zwei und es ist nie­mand da, der für sie über Recht und Unrecht ent­schei­det. Viele Antworten, die wir nicht hören wol­len. Die Verzweiflung der Situation wur­de sehr schön fest­ge­hal­ten. Eine gewag­te Geschichte, star­ke Bilder, und vie­le Gefühle im Magen danach.

Regie: Cate Shortland; D/UK/Australien 2012; 108 Minuten

Foto: zVg.
ensuite, November 2012