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Neue Instrumente und neue Musik

Von Martin Bliggenstorfer – In den letz­ten Jahren hat sich in der Entwicklung von neu­en Doppelrohr-Blasinstrumenten eini­ges getan. So hat die Firma Wolf aus dem deut­schen Kronach zusam­men mit Benedikt Eppelsheim das Kontrafagott zum Kontraforte ent­wickelt und mit dem Lupophon eine neue Bassoboe erfun­den, deren Namen ihre Herkunft ver­rät: lupus, latei­nisch, heisst Wolf. Nach einer drei­jäh­ri­gen Entwicklungsphase wird das Instrument seit 2010 seri­en­mäs­sig her­ge­stellt. Das erste Lupophon ging an den jun­gen Schweizer Oboisten Martin Bliggenstorfer, der sich – auch im Rahmen sei­ner Abschlussarbeit am Amsterdamer Konservatorium – für die Weiterentwicklung des Lupophons, des­sen Spieltechnik und die Erweiterung des Repertoires enga­giert.

Mit der Erfindung des Lupophons gab die Firma Wolf der seit der Erfindung des Heckelphons (1904) still­ste­hen­den Entwicklung im Bereich der tie­fen Oboeninstrumente einen neu­en Impuls und erwei­ter­te die Oboenfamilie end­lich um ein wirk­li­ches Bassinstrument.

Die Bohrung des aus Bergahorn bestehen­den Korpus ist konisch, im Vergleich zur Baritonoboe (Lorée, 1883), aber wei­ter. Akustisch ermög­licht dies eine erheb­li­che Erweiterung des Dynamik-spek­trums, klang­li­che Ausgeglichenheit der Register und einen vol­len, run­den Oboenklang. Die Vorteile beim Kontraforte, einem gänz­lich neu kon­zi­pier­ten Kontrafagott, sind u.a eine sehr fle­xi­ble Dynamik, eige­ne Klangfarbe, erwei­ter­te Tiefe, per­fek­te Intonation und klar defi­nier­te Töne.

Die gros­se Vielfalt an Möglichkeiten und Spieltechniken machen sowohl das Lupophon als auch das Kontraforte vor allem für die zeit­ge­nös­si­sche Musik äus­serst inter­es­sant. So wid­met der Berner Komponist Christian Henking mit sei­ner Komposition «Keine Zeit ist zei­tig mit der Sehnsucht Zeit» (2011) das erste Ensemblestück mit Lupophon und Kontraforte dem 2010 gegrün­de­ten ensem­ble pro­ton bern, wel­ches das Lupophon und das Kontraforte fest in sei­ne Stammbesetzung auf­ge­nom­men hat. Henkings Stück wird am Musikfestival Bern zusam­men mit Werken von Gabrielle Brunner («Stunde», UA) und Xavier Dayer («In hel­lem stil­lem Zimmer», 1996) am 17. September in der Dampfzentrale urauf­ge­führt.

Das dies­jäh­ri­ge Musikfestival Bern steht unter dem Motto «Flucht» und prä­sen­tiert u.a. ein Walser-Wochenende. Der Beginn zu die­sem zwei­tä­gi­gen Walser-Zyklus in der Dampfzentrale bil­det das Podiumsgespräch «Robert Walser kom­po­nie­ren». Im Gespräch mit dem Musikwissenschaftler Roman Brotbeck äus­sern sich die Komponisten Helmut Oehring und Michel Roth zu ihrem Verhältnis zu Walsers Erzählweise.

Das ensem­ble pro­ton bern stellt sich mit ihrer Robert-Walser-Tournee erst­mals einer schweiz­wei­ten Öffentlichkeit vor, und spielt neben Bern auch in der Helferei Zürich, im Gare du Nord Basel und im Forum für Neue Musik Luzern. Die Gedichte Walsers ste­hen dabei im Zentrum sei­nes Programms. Das Schillern zwi­schen exzes­si­vem Ausbruch, flüch­ti­gen Bewegungen und Verstummen in der Flucht ins Innere in Walsers Werk drängt gera­de­zu zur musi­ka­li­schen Gestaltung. So sehr das Programm auf Walser fokus­siert ist, so viel­fäl­tig ist es durch die ver­schie­de­nen Arbeits-tech­ni­ken, Blickwinkel und Textinterpretationen der Komponierenden.

Das Ensemble tritt zusam­men mit den SängerInnen Liliane Glanzmann und Christian Hilz unter der Leitung von Matthias Kuhn aufs Podium und ver­spricht mit zwei Uraufführungen, noch nie gehör­ten Instrumenten und der ernst­haf­ten Würdigung Robert Walsers einen ein­ma­li­gen und im besten Sinne auf­re­gen­den Konzertabend.

 


Das ensem­ble pro­ton bern
…wur­de 2010 von jun­gen Schweizer Musiker-Innen gegrün­det und hat sich der Aufführung moder­ner und zeit­ge­nös­si­scher Musik ver­schrie­ben. Es arbei­tet eng mit der Dampfzentrale Bern zusam­men. Als deren Ensemble in Residence wird es bei den the­ma­ti­schen Schwerpunkten des Programms Neue Musik ein­ge­bun­den und ist mit dem eige­nen Programm regel­mäs­sig in der Dampfzentrale zu hören. Zudem hat das Ensemble zur Erweiterung des Repertoires (u.a. von Lupophon und Kontraforte) und zur Schaffung neu­er künst­le­ri­scher Beziehungen die Plattform Protonwerk ins Leben geru­fen, um Kompositionen in Auftrag zu geben und so Neues und Ungehörtes in der gleich­na­mi­gen Konzertreihe auf­zu­füh­ren. Der Auftakt die­ser Reihe – pro­ton­werk no. 1 – fin­det Anfang Februar 2012 in Bern statt.
www.ensembleproton.ch

Martin Bliggenstorfer
…ist Oboist und Mitbegründer des ensem­bles pro­ton bern. Mit den Instrumentenbauern Guntram, Peter und Claudia Wolf arbei­tet er an der abschlies­sen­den Entwicklung des Lupophons und mit dem Fagottisten und Rohrbauspezialisten Stefan Pantzier (Atelier Pantzier, Leipzig) an der Entwicklung eines Lupofonrohres. In sei­ner Master Research am Conservatorium van Amsterdam erforscht er die tech­ni­schen Möglichkeiten des Lupofons im Hinblick auf neue Spieltechniken (u. a. Mikrotonalität, Multiphonics, Glissandi, Flageolette).

Bild: Martin Bliggenstorfer mit dem Instrument / Foto: zVg.
ensuite, September 2011