Nachlese zur Berliner Bestenschau

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By Robert Salzer

Bis 2001 wur­den ans berühm­te Berliner Theatertreffen offi­zi­ell noch zehn «bemer­kens­wer­te» Inszenierungen ein­ge­la­den. Danach änder­te man den Wortlaut zum Superlativ «die zehn bemer­kens­wer­te­sten». Ob die Auswahl die­ses Prädikat ver­dient, dar­über wird in Berlin jeweils hef­tig gestrit­ten, obwohl die­se Frage letzt­lich gar nicht beson­ders inter­es­sant ist. Fest steht aber: das Berliner Theatertreffen hat Bemerkenswertes zu zei­gen. Kulturkritik hat sich nach Berlin bege­ben und fünf Stücke genau­er ange­se­hen.

Das Berliner Theatertreffen fei­ert die­ses Jahr sein fünf­zig­stes Jubiläum. Ins Leben geru­fen wur­de es ursprüng­lich, um dem abge­schnit­te­nen Westberlin den kul­tu­rel­len Anschluss an die Bundesrepublik zu ermög­li­chen. Eine Jury wähl­te die zehn Saisonhöhepunkte aus, wel­che dann nach Berlin ein­ge­la­den wur­den. An die­sem Prinzip hat sich in den fünf­zig Jahren eigent­lich nichts geän­dert. Auch die­ses Jahr rei­ste die sie­ben­köp­fi­ge Kritikerjury im deutsch­spra­chi­gen Raum her­um, um aus­ser­ge­wöhn­li­ches Theater zu ent­decken. Nach dem Besuch von rund 420 Vorstellungen haben die Juroren die zehn «bemer­kens­wer­te­sten Inszenierungen» gekürt und nach Berlin gela­den. Hier waren sie nun alle geballt in zwei Wochen zu sehen.

Damit ist auch gleich der Reiz des Besuches die­ses Festivals erklärt: Es ist eine Bestenschau. Und da die Geschmäcker bekannt­lich unter­schied­lich sind, kön­nen die Zuschauer sich vor­züg­lich dar­über strei­ten, war­um gera­de die­ses Stück nicht hät­te ein­ge­la­den wer­den sol­len und dafür eini­ge ande­re schmerz­lich ver­misst wer­den. Auch ich rei­se mit dem Vorsatz an, zu ergrün­den, ob die Jury gute Arbeit gelei­stet hat. Ich habe mir ein anspruchs­vol­les Programm zusam­men­ge­stellt und will mir in sechs Tagen fünf Produktionen anschau­en. Das sind immer­hin fünf­zig Prozent des bemer­kens­wer­te­sten deutsch­spra­chi­gen Theaters des Jahres. Auf nach Berlin!

Antike und Dada

Den Start macht Medea in der Regie von Michael Thalheimer. Zu sehen ist ein schnör­kel­lo­ser Abend, der hoch­kon­zen­triert das Drama von Euripides erzählt. Als ein­zi­ge Figur spricht Medea erhöht auf einem Sims zu den ande­ren. Obwohl sie am Ende der Bühne steht sind ihre Worte und Gedankengänge klar zu hören, lauscht der Zuschauer jedem ihrer Worte mit der vol­len Aufmerksamkeit. Musik gibt es nur ein­mal kurz und inten­siv wäh­rend der Kindstötung, anson­sten sind nur Stimmen und Schritte zu hören. Jede neue Szene erhält eine neue Lichtstimmung, die mit eini­gen kon­zen­trier­ten Spots neue Schatten in das kar­ge Bühnenbild wirft. Das bemer­kens­wer­te an die­ser Inszenierung ist die Konzentration, mit wel­cher die­ser uralte Stoff vor­ge­tra­gen wird, frei von jeg­li­chem Theaterfirlefanz.

Ganz anders Murmel Murmel. Das Stück aus der Feder von Dadaist Dieter Roth kommt ein­zig mit dem Wort Murmel aus. In Herbert Fritschs Inszenierung spie­len elf Schauspieler in einem wun­der­bar bun­ten Bühnenbild, spre­chen das Wort mal ein­zeln, mal im Chor, mal rhyth­misch, mal durch­ein­an­der und da das Wort allei­ne nicht so viel her­gibt, wird mit viel Slapstick für Stimmung gesorgt. Ein Musiker beglei­tet die Schauspieler mit sei­nem Xylophon und diri­giert sie durch man­che schwie­ri­ge Murmelpassage. Das ist alles sehr unter­halt­sam und man mur­melt auch zwei Stunden nach Vorstellungsende selbst noch vor sich hin, doch irgend­wie auch wahn­sin­nig nichts­sa­gend – und genau des­halb wie­der bemer­kens­wert.

Romane in Überlänge

Romanadaptionen sieht man schon lan­ge auf den deutsch­spra­chi­gen Bühnen. Die Frage ist hier immer, ob der Transport vom Buch zum Theaterstück gelingt. In Jeder stirbt für sich allein wird der Ansatz gewählt, beschrei­ben­de Passagen von den Romanfiguren selbst lesen zu las­sen. Während eines Dialoges hört man eine Figur also auf ein­mal zu sich selbst sagen: «Es wur­de ihr plötz­lich schlecht». Der Roman von Hans Fallada erzählt die Geschichte eines deut­schen Ehepaares, das auf­grund des Kriegstodes ihres Sohnes beginnt, Flugblätter gegen das Naziregime in Umlauf zu brin­gen. Wir beglei­ten das Paar bis zu deren Verurteilung. Regisseur Luk Perceval lässt sein Ensemble prak­tisch ohne Bühnenbild und Requisiten spie­len und ver­traut dem Vorstellungsvermögen des Zuschauers. Das Stück dau­ert über vier Stunden und schafft es trotz­dem, dass man bis zuletzt gebannt der Geschichte folgt. Das ist schon eine Leistung. Die Art und Weise aber, wie der Roman für die Bühne umge­schrie­ben wur­de, hat man so schon mehr­fach gese­hen.

Am mei­sten Mühe habe ich mit Krieg und Frieden. Es han­delt sich erneut um eine Romanadaption und die dau­ert dies­mal sogar über fünf Stunden. Der Wälzer von Tolstoi wird vom Leipziger Ensemble the­ma­tisch abge­han­delt (Ich, Liebe, Sehnsucht, Glaube etc.) und man spürt als Zuschauer, dass viel Denkleistung in die Inszenierung geflos­sen ist und sich die Regie wie auch die Schauspieler inten­siv mit dem Roman aus­ein­an­der­ge­setzt haben. Damit hat es sich aber auch. Als Zuschauer sieht man nur das Ergebnis des Prozesses, die Überlegungen dahin­ter erschlies­sen sich hin­ge­gen in vie­len Fällen nicht. Oft wirkt die Inszenierung ver­kopft und der Funke springt nicht wirk­lich rüber. Da hilft auch die wun­der­ba­re Live-Musik und das tol­le, aus einer schwenk­ba­ren rie­si­gen Plattform bestehen­de Bühnenbild nicht. Der Abend rauscht an mir vor­bei, viel­leicht auch weil ich noch die vier Stunden des Vorabends in den Knochen habe.

«In der Kleidung stecken Menschen. Das ist der Nachteil.»

Die letz­te Inszenierung auf mei­nem kur­zen Berlintrip ist Die Strasse. Die Stadt. Der Überfall. von Elfriede Jelinek. Die Literaturnobelpreisträgerin hat den Münchner Kammerspielen ein Stück geschrie­ben, das die Maximilianstrasse im Fokus hat, Münchens Modemeile. Wie man es von Jelinek gewohnt ist, wird das Thema Mode sprach­lich von allen Seiten durch­leuch­tet. Auch das Bühnenbild kommt pas­send daher: Zu Beginn der Inszenierung wird Eis auf der Bühne ver­teilt, durch wel­ches die Schauspieler in ihren hoch­hacki­gen Schuhen wun­der­bar tram­peln kön­nen. Im Scheinwerferlicht sehen die Eisstücke wie Diamanten aus und ver­flüs­si­gen sich (wie das Geld an der Maximilianstrasse) im Laufe des Abends sel­ber. Sechs Schauspieler und eine Schauspielerin arbei­ten sich wun­der­bar kurz­wei­lig am Jelinek-Text ab, wobei die Herren in Sachen Mode der Dame in nichts nach­ste­hen, auch nicht im Jammern über kör­per­li­che Unzulänglichkeiten. Toll, wie es der Münchner Inszenierung gelingt, die­sen sprach­lich doch sehr sper­ri­gen Jelinke-Text auf die Bühne zu brin­gen.

: http://www.kulturkritik.ch/2013/berliner-theatertreffen/

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