Nach dem N.I.F.F.F. ist vor dem N.I.F.F.F.

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Von Sandro Wiedmer – Erneut kann das Neuchâtel International Festival for Fantastic Films in sei­ner 13. Ausgabe einen neu­en Zuschauerrekord ver­zeich­nen: mit 31’000 bezif­fern die Organisatoren den Publikumszustrom. Auch das Bundesamt für Kultur (BAK) aner­kennt die bestän­dig wach­sen­de Bedeutung des Festivals, und erhöht sei­ne jähr­li­chen Beiträge ab 2014 um einen Viertel auf 150’000.- sFr.

Dass trotz des gros­sen Zuspruchs das Publikum die Filme stets in ent­spann­ter Atmosphäre genies­sen kann liegt nicht zuletzt dar­an, dass die­ses Jahr an Stelle des Kinos Apollo mit sei­nen drei Sälen das Kino Arcades als Spielstätte gewon­nen wer­den konn­te. Damit ste­hen, neben dem Théâtre du Passage und dem Temple du Bas, einem Theater und einer Kirche, wel­che für die Dauer des Festivals zu Kinos umfunk­tio­niert wer­den, und dem klei­ne­ren Kino Bio, drei Säle mit einer Kapazität von je um die 600 Sitzplätze zur Verfügung.

Von wegen ent­spann­te Atmosphäre: Diese schwin­det oft, nach­dem der Trailer mit den Partnern und Sponsoren über die Leinwand geflim­mert ist, und der Film beginnt – nach dem Ritual, dass der schau­er­lich schlech­te, immer­glei­che Trailer zu den «Midnight Movies» der Télévision Suisse Romande laut­stark beglei­tet wird, wenn sich eines der ani­mier­ten Skelette umdreht und «Hellooo» sagt, und das dar­auf­fol­gen­de höh­ni­sche Lachen sich im Saal mul­ti­pli­ziert. Im Rahmen der «Midnight Movies» wird jeweils der Film aus­ge­strahlt, wel­cher am N.I.F.F.F. mit dem Publikums-Preis geadelt wor­den ist, die­ses Jahr «You’re next» des Amerikaners Adam Wingard.

Es gehört zu den Konstanten eines Genre-Film Festivals, dass es da Streifen gibt, in wel­chen die Toten Leben in die Handlung brin­gen, respek­ti­ve die bizar­re Art, wie Menschen zu Tode kom­men. Meist han­delt es sich um eine Gruppe von mehr oder weni­ger sym­pa­thi­schen Leuten, wel­che sich in unbe­kann­tes Gebiet bege­ben, und von geheim­nis­vol­len Mächten nach und nach ins Jenseits beför­dert wer­den. Längst hat die Gattung des «Slasher»-Films Subgenres erhal­ten. So gibt es zum Beispiel «Home Invasion»- und «Survival»-Movies, deren Spielarten in «You’re next» vari­iert wer­den. Eine Familie ver­sam­melt sich zur Begehung des Hochzeitstages der Eltern auf ihrem Landsitz, wo sie von einer Gruppe mit Tiermasken ver­klei­de­ter, unter ande­rem mit Armbrüsten bewaff­ne­ter Männer ter­ro­ri­siert wird. Womit nie­mand gerech­net hat ist, dass die Freundin des einen Sohnes auf einem Survival-Camp auf­ge­wach­sen ist …

Zum besten Film aus Europa wur­de «Au Nom du Fils» des Belgiers Vincent Lannoo gekürt, in wel­chem eine streng gläu­bi­ge, katho­li­sche Mutter nach dem Selbstmord ihres Sohnes erfah­ren muss, dass die­ser Opfer eines pädo­phi­len Priesters gewor­den ist, den sie in ihrem Haushalt auf­ge­nom­men hat. In der Folge gerät sie in den Besitz einer Liste mit kirch­li­chen Würdenträgern, wel­che der Pädophilie bezich­tigt wer­den, an wel­cher sie sich buch­stäb­lich abar­bei­tet, bevor es zum fina­len Show-Down mit dem besag­ten Priester kommt, der sich mitt­ler­wei­le der Landwirtschaft zuge­wandt hat. Beissende Religions-Kritik durch­zieht die­se raben­schwar­ze Komödie.

Dass düster­ste Satire auch aus dem Land der unbe­grenz­ten Möglichkeiten kom­men kann bewies die­ses Jahr auch «Cheap Thrills», das Regie-Debut des Drehbuch-Autors und Produzenten Evan L. Katz. Der Tag des ver­hei­ra­te­ten, frisch­ge­backe­nen Vaters beginnt schlecht, als er beim Gang zur Arbeit die Androhung der Wohnungs-Kündigung auf­grund aus­ste­hen­der Mieten zu Gesicht bekommt. Als ihm dann noch der Job gekün­digt wird, muss er erst­mal den Feierabend begies­sen. In einer schumm­ri­gen Bar trifft er auf einen ehe­ma­li­gen Kumpel, und gemein­sam machen sie die Bekanntschaft eines offen­sicht­lich begü­ter­ten Ehepaares, wel­ches den Geburtstag der Frau fei­ert. Zur Unterhaltung lässt der Ehemann Geld sprin­gen für anfäng­lich recht harm­lo­se Wettbewerbe unter den Kumpels, wel­che im Verlauf der Nacht, die spä­ter in die schmucke Villa des Paars ver­la­gert wird, mit zuneh­mend grös­se­ren Summen dotiert mehr und mehr unmo­ra­li­sche Züge anneh­men.

Es gibt Filme, die wir­ken am Besten (oder eigent­lich nur) in einem grös­se­ren Publikum genos­sen. Dazu gehört sicher «HK – Forbidden Superhero» des Japaners Yuichi Fukuda, eine typisch japa­ni­sche Schmonzette um einen schüch­ter­nen Adoleszenten, wel­cher zum Superhelden mutiert, wenn er sich einen (gebrauch­ten) weib­li­chen Slip über sein Gesicht zieht: dann wird er zu Hentai Kamen, «Pervert Mask», einer Manga-Figur, wie sie nur in der hoch­gra­dig zum Kitsch und höhe­rem Blödsinn ten­die­ren­den Kultur Japans ent­ste­hen kann. So etwas gehört eben auch zum N.I.F.F.F.: das hem­mungs­lo­se Abgrölen zu völ­lig sinn­ent­leer­tem Tun auf der Leinwand zu spä­ter Stunde. Das funk­tio­niert am besten mit einer gehö­ri­gen Portion Selbst-Ironie, wel­che lei­der den ame­ri­ka­ni­schen Produktionen «Gallowwalkers», einem als Hommage an Sergio Leone gedach­ten Neo-Western mit Wesley Snipes, und «Raze» von Josh Waller, einer auf bru­tal­ste Kämpfe auf Leben und Tod redu­zier­te Version der «Women in Prison»-Filme aus dem Exploitation-Camp völ­lig abgeht.

Für man­che eine Offenbarung waren dage­gen die Filme des Ehrengastes Larry Cohen, des­sen B‑Pictures mit sozia­len Kommentaren nicht spa­ren: «Black Ceasar» (1973) und «Hell up in Harlem» (1975) waren Werke eines weis-sen Regisseurs, wel­che dem «Blaxsploitation»-Film Vorschub lei­ste­ten, und Streifen wie sein Erstling «Bone» (1972), «God told me to» (1976) oder «The Stuff» (1985) haben die Gesellschaftskritik als Grundtenor im Köcher. Der Regisseur genoss denn sei­ne Auftritte vor den Film-Projektionen auch sicht­lich.

Roland Klick, ein wei­te­rer mit einer Retrospektive geehr­ter Gast, kam in der neu­en Rubrik «Histoires du Genre» zum Auftritt: Neben dem Dokumentarfilm «The Heart is a hun­gry Hunter» von Sandra Prechtel (2013) über den Regisseur, wel­cher sich wäh­rend der Hochblüte des Autorenfilms in Deutschland lie­ber mit Genres aus­ein­an­der­setz­te, wur­den von ihm «Deadlock» (1970) gezeigt, eine Art Hommage an den Italo-Western mit dem gross­ar­ti­gen Soundtrack der Kult-Krautrocker Can, und «White Star» (1983), in wel­chem Dennis Hopper als Manager einen mit­tel­mäs­si­gen Musiker zum Star der Neuen Deutschen Welle auf­bau­en will.

War letz­tes Jahr die Beziehung zwi­schen Bild und Ton in einer Reihe von Musicals zum Thema gemacht wor­den, wur­de die Thematik die­ses Jahr fort­ge­führt, indem fünf Soundtrack-Produzenten ein­ge­la­den wur­den, jeweils drei Filme mit her­aus­ra­gen­der Tonspur zu pro­gram­mie­ren, unter ande­rem Cliff Martinez («Drive», «Contagion», «Only God Forgives»), der frü­he­re Schlagzeuger der Red Hot Chili Peppers. Neben Klassikern wie «Shining» von Stanley Kubrick, Sergio Leones «A Fistful of Dollars», Akira Kurosawas «Ran», und «Alien» von Ridley Scott, wur­de in der Rubrik «When Music Scores» auch «Electroma» gezeigt, die in der kali­for­ni­schen Wüste in elf Tagen gedreh­te, bis­her ein­zi­ge Regie-Arbeit der fran­zö­si­schen Daft Punk, wel­che gänz­lich ohne Worte aus­kommt.

In der Sektion «New Cinema from Asia» stach vor allem «The Berlin File» von Ryoo Seung-wan her­aus, ein­mal mehr eine Produktion aus Südkorea, ein fast voll­stän­dig in Berlin gefilm­ter Spionage-Thriller um einen nord­ko­rea­ni­schen Meister-Spion und einen inter­na­tio­na­len Waffen-Deal, wäh­rend «The Blind Detective» von Altmeister Johnny To aus Hongkong, ein comic-arti­ger Mix aus Suspense und Komödie eher ent­täusch­te. Stark auch «The Gangster» des jun­gen Thailänders Kongkiat Komesiri, eine rea­li­täts­na­he, bru­ta­le Darstellung der Bandenkriege in Bangkok vor der Militärdiktatur. Gewonnen hat den asia­ti­schen Wettbewerb «Eega» von S.S. Rajamouli und J.V.V. Sathyanarayana, eine skur­ri­le Bollywood-Komödie um einen als Fliege reinkar­nier­ten Mann, wel­cher in einem Rachefeldzug Vergeltung für sei­nen Tod sucht.

Wurde wäh­rend der gan­zen Geschichte des Festivals noch nie ein Film aus der Schweiz in den inter­na­tio­na­len Wettbewerb auf­ge­nom­men, wur­de die­se Ehre die­ses Jahr gleich zwei Werken zuteil: «Chimères» des Neuenburgers Olivier Beguin und «Der Ausflug» des in Berlin leben­den Zürchers Mathieu Seiler. Beide Filme bestechen durch ihre gepfleg­te Bildsprache und konn­ten sich gut im inter­na­tio­na­len Wettbewerb sehen las­sen, muss­ten dann aber «Dark Touch» der Französin Marina de Van den Vortritt las­sen, wel­che neben dem Hauptpreis auch den­je­ni­gen der Filmzeitschrift Mad Movies und den von SchülerInnen des Lycée Denis-de-Rougemont ver­lie­he­nen Jugendpreis für sich in Anspruch neh­men konn­te. Die stu­dier­te Philosophin und zeit­wei­li­ge Mitarbeiterin von François Ozon, für des­sen «8 Femmes» und «Sous Le Sable» sie an den Drehbüchern mit­ar­bei­te­te, hat sich schon in «Dans ma peau» (2002) und «Ne te retourne pas» (2009) mit Monica Bellucci und Sophie Marceau mit psy­cho­lo­gi­schen Phänomenen beschäf­tigt. Auch die in Irland ange­sie­del­te Geschichte um ein Mädchen mit über­sinn­li­chen Kräften hat das Potential zu ver­stö­ren, hat aber doch eini­ge Schwächen. Insbesondere der unter­schwel­lig vor­han­de­nen Thematik des Kindsmissbrauchs wird der Film in kei­ner Weise gerecht.

Solide Werke stan­den als Eröffnungs- und Schlussfilme auf dem Programm: «Stoker» von Chan-wook Park («Sympathy for Mr. Vengeance», «Oldboy», «Thirst» etc.), sei­ne erste Regie-Arbeit aus­ser­halb von Südkorea, wur­de mit Spannung erwar­tet, und die Britisch/Amerikanische Produktion, bei wel­cher auch Ridley und der inzwi­schen ver­stor­be­ne Tony Scott ihre Hände im Spiel hat­ten, erfüllt alle Erwartungen, nicht zuletzt wohl weil er mit sei­nem lang­jäh­ri­gen Kameramann Chung-hoon Chung gear­bei­tet hat. Mit Mia Wasikowska, Matthew Goode und Nicole Kidman ist das Drama um eine Familie mit eini­gen Leichen im Keller, vol­ler Verweise auf klas­si­sche Hitchcock-Filme, zudem erst­klas­sig besetzt. Mit «Byzantium», der das Festival abschloss, kehrt der Ire Neil Jordan zum Vampir-Genre zurück, dem er eini­ge neue Twists abge­winnt. Auch hier lässt die Besetzung mit Saoirse Ronan, Gemma Arterton und Sam Riley nichts zu wün­schen übrig, und das Drama kann sich mit dem 2008 eben­falls am N.I.F.F.F. gezeig­ten «Let the right one in» des Schweden Thomas Alfredson durch­aus mes­sen.

Alles in allem bot das Festival in sei­ner 13. Ausgabe wie­der Anlass zu so man­cher Entdeckung, inspi­rie­ren­den Momenten, ent­zücken­den, ent­rücken­den und erdrücken­den, und was bleibt ist die Vorfreude auf näch­stes Jahr, wenn kurz vor dem Film wie­der ein: «Ta gueu­le, Benoît!» im dunk­len Saal erschallt.

Foto: zVg.
ensuite, August 2013

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