Mutter ohne Liebe

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By Eva Hediger

« ‹Eis-Lady› wur­de Baby abge­nom­men», titel­te eine öster­rei­chi­sche Online-Zeitung im Januar 2012. Die ‘Eis-Lady› stand unter dem Verdacht zwei Männer getö­tet und in ihrem Keller ein­be­to­niert zu haben. Während der U‑Haft gebar die Frau ein Kind. Es wur­de ihr gleich nach der Entbindung vom Jugendamt weg­ge­nom­men. Dieser Entscheid spal­te­te damals die öster­rei­chi­sche Gesellschaft. Jung-Regisseurin Katharina Mückstein stell­te sich die Frage, was bei der Freilassung der Frau pas­siert könn­te. Ihren Erstling Talea (Österreich 2012, 75 Minuten) wid­met die Österreicherin die­ser Überlegung.

Jasmins (Sophie Stockinger) stör­ri­scher Blick und ein­sil­bi­ge Antworten sind nicht der übli­che Teenager-Trotz. Die Vierzehnjährige fühlt sich ein­sam und deplat­ziert. Während sich ihre Pflegefamilie auf die gemein­sa­men Ferien freut, packt sie miss­mu­tig ihre Reisetasche. Dabei gerät das Mädchen in eine hand­fe­ste Auseinandersetzung mit sei­ner Pflegschwester und deren Freundin. Diese schreit ihm ent­ge­gen: «Du Fotze gehörst in den Knast wie dei­ne Mutter!» Jasmin stiehlt sich aus dem Haus. Mit dem Velo rast sie durch den Sommer, getrie­ben vom Wunsch nach der leib­li­chen Mutter.

Denn eigent­lich hat Jasmin eine Mama: Eva (Nina Proll) ver­brach­te die letz­ten Jahre in Haft. Jetzt ist sie draus­sen und ver­sucht Fuss zu fas­sen. Eine Stelle hat sie, eine Wohnung auch. Sich jetzt noch um das eige­ne, aber frem­de Kind küm­mern? Unvorstellbar. Doch Jasmin lässt nicht locker. Das Mädchen erscheint immer wie­der am Arbeitsort, war­tet vor dem Wohnhaus. Irgendwann lässt Eva Jasmin in die Wohnung, zeigt ihr das Schlafzimmer und alte Bilder. Die Tochter bit­tet um ein gemein­sa­mes Wochenende. Die Mutter lässt sich erwei­chen.

Der Film beglei­tet die Zwei auf der mehr­tä­gi­gen Reise ins öster­rei­chi­sche Niemandsland. Er fängt die sanf­ten Annährungen und gro­ben Enttäuschungen gekonnt ein. Denn weder Mutter noch Tochter sind den Erwartungen und der Nähe gewach­sen. Jasmin ver­klärt die Frau, die ihre Mutter ist. Jede Regung wird gedeu­tet, jede Zuneigung als Erfolg gewer­tet. Doch Eva will vor allem die Freiheit genies­sen – mit Flirts, Drinks und Disco.

Das preis­ge­krön­te Debüt von Haneke-Schülerin Katharina Mückstein besticht durch eine bezau­bern­de Liederwahl. Selten hat sich Musik und Geschehen so per­fekt zusam­men­ge­fügt. Ob selbst­ver­ges­se­nes Tanzen oder atem­lo­ses Fahrradfahren: Die Musik trans­por­tiert die Gefühle, die Gelassen- oder Getriebenheit per­fekt. Diese unge­kün­stel­te Darstellung wird durch die Authentizität der Schauspielerinnen und die lan­gen Kameraeinstellungen unter­stützt. In man­chen Situationen wird fast ver­ges­sen, dass es sich um eine kon­stru­ier­te Geschichte han­delt. Das Verhalten der Figuren ist nach­voll­zieh­bar, die Dialoge klar. Der Film ist manch­mal lustig, oft trau­rig – aber nie zu viel.

: http://www.kulturkritik.ch/2013/talea/

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