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Musikvermittlung mit viel Herzblut

Interview von Karl Schüpbach – Während mei­ner Laufbahn als Orchestermusiker habe ich unzäh­li­ge Versuche von Musikvermittlung erlebt, die auf bei­den Seiten – bei den Vermittlern, aber auch den Empfängern die­ser Bemühungen – ein Gefühl von Frustration auf­kom­men lies­sen. Musikvermittlung ist eine Kunst – wenn sie aber zur rei­nen Pflichtübung degra­diert wird, steht sie auf ver­lo­re­nem Posten. Ich bin Frau Eva Pauline Bossow und Frau Irene Salgado sehr dank­bar, dass sie mit der Beantwortung mei­ner Fragen eine beglücken­de Art von Musikvermittlung wie­der auf­le­ben las­sen. (Weitere, ver­tief­te Informationen fin­den Sie in die­ser Ausgabe von ensuite auf Seite 45, und auf www.bernorchester.ch sowie Campus Muristalden, link symphonieMuristalden.)

Frau Salgado und Frau Bossow, das schö­ne Projekt «Die rasen­den Kinderreporter beim Berner Symphonieorchesters» (BSO) trägt Ihre Handschrift. Sie haben es erdacht, vor­be­rei­tet und erfolg­reich durch­ge­führt. Was waren Ihre Ausgangsüberlegungen? Und wie ein­fach war es, eine Schulklasse dafür zu gewin­nen?

Eva Pauline Bossow: Die Idee für die «Rasenden Kinderreporter» schweb­te schon eine Weile in unse­ren Köpfen. Nachdem wir das Konzept aus­ge­feilt hat­ten, mach­ten wir uns im Sommer auf die Suche nach einer Klasse. Mit dem Campus Muristalden ver­bin­det das Berner Symphonieorchester seit 2009 eine akti­ve Partnerschaft – das war der per­fek­te Ausgangspunkt für unser Initialprojekt. Die Lehrerin Irène Hofmänner war sofort inter­es­siert – und noch vor den Sommerferien gin­gen die Vorbereitungen los.

Irene Salgado: Bei der Konzipierung des Projektes haben sich unse­re Ziele schnell her­aus­kri­stal­li­siert. Eines der wich­tig­sten Ziele bestand dar­in, dass sich die Kinder inten­siv mit dem Konzertbetrieb aus­ein­an­der­set­zen, in dem sie das Orchester und die Geschäftsleitung bei den Konzervorbereitungen beglei­ten und dar­über berich­ten.

Der per­sön­li­che Kontakt und Austausch zwi­schen Kindern und Mitgliedern des BSO stell­te für uns einen wei­te­ren wich­ti­gen Aspekt dar.

Kinder lau­fen durchs Kultur-Casino, füh­len Chefdirigent Mario Venzago mit Fragen auf den Zahn, lau­schen kon­zen­triert in der Probe – all die­se Bilder habe ich noch immer vor Augen. Sagen Sie mir: Was war Ihnen in die­ser Woche wich­tig? Wo woll­ten Sie die Kinder abho­len?

I. S.: Vor der Intensivwoche haben wir sie Schritt für Schritt auf ihre Tätigkeit als Reporter vor­be­rei­tet und an die klas­si­sche Musik her­an­ge­führt. Das war die Basis. In den fünf Tagen, in denen die Kinder das Orchester und die Geschäftsstelle beglei­tet haben, wur­den sie in das Geschehen mit­ein­be­zo­gen und fühl­ten sich als Teil des Orchesterbetriebes. Sie erhiel­ten dadurch einen neu­en Zugang zu dem, was auf und hin­ter der Bühne geschah – genau das woll­ten wir errei­chen. Sehr wich­tig war mir per­sön­lich, dass sich die Kinder mit der 5. Symphonie Beethovens aus­ein­an­der­set­zen. Die Symphonie führ­te wie ein roter Faden durch das gan­ze Projekt und tauch­te z.B. in den Probenbesuchen oder in den Gesprächen mit den Musikerinnen und Musikern immer wie­der auf.

E. B.: Journalismus als Handwerk, um die Welt der klas­si­schen Musik zu erkun­den – das war unser Prinzip. Als Reporter und Reporterinnen muss­ten sie sich aktiv mit den Themen aus­ein­an­der­set­zen, damit sie dar­über berich­ten konn­ten. Die ver­schie­de­nen Vermittlungsschwerpunkte haben wir vor­ab fest­ge­legt und danach die «Reporteraufträge» ver­ge­ben. Z.B.: Was macht ein Chefdirigent genau – auf und neben der Bühne? Wen und was braucht es, damit ein Konzert ent­steht? Wie wird man Musikerin oder Musiker?

Bei der Umsetzung haben wir uns ein­fach gefragt, wor­an wir selbst Spass hät­ten: Nähe zum Geschehen und Vielseitigkeit, Aufbau auf bereits Gelerntes und Abwechslung.

Weitere Nummern vom ensuite wer­den sich mit der Musikvermittlung befas­sen. Darf ich Euch, vor­grei­fend, um Eure Meinung bit­ten: wel­che Stellung nimmt die Vermittlung von Musik in unse­rem aktu­el­len gesell­schaft­li­chen Umfeld ein?

I.S.: Durch den Publikumsschwund in klas­si­schen Konzerthäusern gewinnt die Vermittlung zuneh­mend an Bedeutung. Deshalb ist es unse­re Aufgabe, nicht nur das tra­di­tio­nel­le Konzertpublikum zu pfle­gen, son­dern auch Kinder und Jugendliche durch inno­va­ti­ve Musikvermittlungs-Projekte für die klas­si­sche Musik zu begei­stern. Vielversprechend ist für mich in die­sem Zusammenhang, nebst der tra­di­tio­nel­len Konzertform neue Formate anzu­bie­ten, die stär­ker der heu­ti­gen Zeit ent­spre­chen, Berührungsängste und Vorurteile abbau­en und neue Publikumskreise an die klas­si­sche Musik her­an­füh­ren.

E.B.: Das Stichwort «Interaktivität» ist heu­te bei der Kulturvermittlung zen­tral – weg von der rei­nen Konsumation, hin zur akti­ven Teilnahme. Im Hinblick auf die «Rasenden Kinderreporter» hiess das, eine Musikerin/einen Musiker im Berufsalltag ken­nen­ler­nen, bei den Konzertvorbereitungen hel­fen, Beethovens Fünfte aus unter­schied­li­chen Perspektiven ent­decken und dar­über berich­ten. Diese Form der Vermittlung fin­de ich immer span­nend – unab­hän­gig davon, in wel­chem Bereich sie ange­bo­ten wird. Eine Hauptaufgabe der Kulturvermittlung ist dage­gen nicht nur der Blick hin­ter die Kulissen, son­dern auch die Chance, so die «schwie­ri­ge­re» Hochkultur gegen «leich­te­ren» Freizeitangebote antre­ten zu las­sen – und inter­es­sant zu machen.

Beschreiben Sie bit­te kurz Ihr schön­stes Erlebnis.

E.B.: Am Konzertabend sas­sen die Kinderreporter mit uns in der ersten Reihe hin­ter dem Orchester. Beim Applaus nach dem letz­ten Werk bedank­te sich Chefdirigent Mario Venzago mit einer tie­fen Verbeugung beim Publikum. Einer der Schüler stup­ste mich mit stolz geschwell­ter Brust in die Seite und sag­te: «Gell Frau Bossow, unser Mario!»

I.S.: Einer der schön­sten Momente war, als ein Kinderreporter uns mit­teil­te, dass er Horn spie­len möch­te. Er lern­te das Instrument wäh­rend des Projektes ken­nen und begann, sich immer mehr dafür zu inter­es­sie­ren. Der BSO-Hornist Sebastian Schindler, der eben­falls am Projekt betei­ligt war, hat sich sofort bereit­erklärt, ihm Horn-Unterricht zu geben.

Was ist Ihr per­sön­li­ches Fazit?

I.S.: Wir haben unser Ziel, den Kindern die Klassik-Welt zu eröff­nen, erfolg­reich erreicht.
Die Kinder waren mit viel Enthusiasmus und Neugierde bei der Sache und haben gros-ses Engagement gezeigt. Es war eine wun­der­schö­ne, aber auch sehr arbeits­in­ten­si­ve Zeit.

E.B.: Für uns und für die Kinder war es eine Art Auszeit. Nicht weil es ent­spannt und ruhig war, son­dern weil wir fern vom nor­ma­len Arbeits- und Schulalltag gemein­sam non-stop in die Orchesterarbeit und die Musik einer Konzertwoche ein­ge­taucht sind. Die posi­ti­ven Rückmeldungen haben uns gezeigt, dass das Konzept auf­ge­gan­gen ist.

Wie geht es jetzt wei­ter?

I.S.: Seitens des BSO und des Muristaldens besteht natür­lich der Wunsch, die­ses Projekt wei­ter­zu­füh­ren. Wir wer­den sicher ver­su­chen, das Projekt in irgend­ei­ner Form wie­der auf­zu­neh­men oder wei­ter­zu­ent­wickeln. Wie und wann wis­sen wir zum jet­zi­gen Zeitpunkt aber noch nicht.

An Sie bei­de gehen mei­ne besten Wünsche für die Zukunft. Dies ver­bin­de ich mit mei­nem herz­lich­sten Dank für die Beantwortung mei­ner Fragen.


 

 

Eva Pauline Bossow (Bild rechts)
BSO-Verantwortliche für Medien und Kommunikation
Nach ihren Masterstudiengängen in Betriebswirtschaftlehre sowie Medien- und Kommunikationswissenschaften führ­te sie für das BSO 2010 eine Publikumsbefragung durch. Sie sam­mel­te jour­na­li­sti­sche Erfahrungen in Radio, TV und Print, lei­tet die Vermittlungsplattform «Konzertliebe» und ist für das Kurzfilmfestival shnit tätig. Seit acht­ein­halb Jahren lebt Eva Pauline Bossow in der Schweiz.

Irene Salgado (Bild links)
BSO-Verantwortliche für Musikvermittlung
Irene Salgado ist seit 2008 beim Berner Symphonieorchester tätig, u.a. im Bereich Marketing, Direktionsassistenz und seit 2010 in der Musikvermittlung. Sie stu­diert an der Universität Bern Musik- und Theaterwissenschaften.

Foto: zVg.
ensuite, Februar 2012