Musikalischer Wahnsinn im wil­den Westen

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Von Martin Sigrist – Jeden März lockt mit dem SXSW das band­mäs­sig gröss­te Musikfestival der Welt das Musikgeschäft und Fans in die texa­ni­schen Hauptstadt Austin. Über 2’200 Acts buhl­ten die­ses Jahr um die Gunst des Publikums und der Plattenbosse.

Der US-Amerikanische Bundesstaat Texas ist bekannt für Cowboys, gros­se Steaks und noch viel grös­se­re Autos. Dessen Hauptstadt Austin mau­sert sich den­noch immer mehr zu einer Hipsterstadt der USA. Die locke­re Stimmung und die hohe Dichte an Musikclubs macht die Stadt zum rich­ti­gen Ort für ein Clubfestival, das «South by Southwest», kurz SXSW. Die Stadt nennt sich selbst nicht ganz beschei­den «Live Music Capital of the World» und ver­wan­delt sich all­jähr­lich für eine Woche in ein gros­ses Musikgelände; gespielt wird wo immer mög­lich, in Clubs, Bars, aber auch auf Dächern, in Kirchen und Parks – das offi­zi­el­le Programm fin­det auf 113 Bühnen aller Art statt. Dass in den USA sowie­so alles immer etwas grös­ser sein muss, zei­gen wei­te­re Zahlen. Mit den wei­te­ren Teilen des Festivals zu Film, Interactive, Bildung und Ökologie gene­riert das Festival über 200 Millionen Umsatz. Grenzen setzt hier vor allem die Infrastruktur, Monate vor­her sind alle Hotelzimmer aus­ge­bucht und die Veranstalter wer­den immer krea­ti­ver, um wei­te­re Spielstätten zu ent­decken.

Dass bei so vie­len Bands nur gera­de 25’000 Menschen das bezahl­te Musikprogramm besu­chen zeigt, dass es beim SXSW nebst der Musik ums gros­se Geschäft geht. Über 40’000 «Registrants» neh­men mit geschäft­li­cher Absicht neben den inge­samt 150’000 Besuchern am Festival teil. Und so tun es ihnen die Musiker gleich. Während die Pros Kontakte knüp­fen und Bands ent­decken möch­ten, ver­su­chen die Musiker, neu­es Publikum, Plattenverträge und Auftritte zu gewin­nen. Labels, Agenturen und Promoter mie­ten Konzertlokale und gan­ze Häuser, um wäh­rend sechs Tagen den Ton anzu­ge­ben. Festivalpässe für den musi­ka­li­schen Ausnahmezustand kosten allei­ne für den Musikteil bis zu 700 Dollar, gün­sti­ger ist es nur für die Bewohner Austins oder mit Einzeleintritten. Kostenlose Eintritte sind durch Onlineanmeldungen eben­falls mög­lich, wobei ein Gästlistenplatz nicht vor stun­de­lan­gem Warten in oft meh­re­re hun­dert Meter lan­gen Schlangen bewahrt, denn die teu­ren Pässe haben beim Einlass Vorrang. Tickets für beson­ders inti­me Konzerte von Stars wie Prince oder Depeche Mode wur­den die­ses Jahr nur ver­lost.

Die Konzerte dau­ern meist nur etwa 20 Minuten, bevor die ein­zel­nen Bands gleich wie­der ihre Sachen packen und am näch­sten Spielort auf­bau­en müs­sen. Glücklich ist, wer sich in den weni­gen Tagen einen Namen machen kann und bei jedem Auftritt auf ein wei­ter wach­sen­des Publikum schau­en darf. Das Programm ver­langt von Künstlern wie Besuchern eine gute Portion Ausdauer, Vorbereitung und die Einsicht, dass es kaum mög­lich ist, den näch­sten Welterfolg mal zufäl­lig zu ent­decken.

Während tags­über die Veranstaltungen der Promo die­nen, Eintritte oft­mals kosten­los sind und selbst Alkohol und Essen ver­schenkt wer­den, sind die Konzerte Abends meist län­ger, Eintritte und Getränke dafür gegen Bezahllung. Diesem Tagesplan schlies­sen sich immer mehr inof­fi­zi­el­le Veranstalter an, denn vie­le Marken haben das SXSW als guten Marktplatz ent­deckt und bie­ten mit ihren eige­nen Events meist kosten­lo­se Alternativen für das loka­le Publikum, wel­ches zwar Zeit fürs Anstehen, jedoch nicht das Geld für so vie­le Eintritte hat.

Die Schweiz war auch die­ses Jahr kaum ver­tre­ten. Während Deutschland, Kanada oder Australien gan­ze Häuser als Spielstätten mie­te­ten, Spanien oder Dänemark zumin­dest mal einen Nachmittag bespiel­ten, war die Schweiz in die­ser Form nicht ver­tre­ten. Swiss Music Export fokus­siert mit sei­nen beschränk­ten Mitteln auf euro­päi­sche Festivals wie das «Waves» in Wien und das «Reeperbahn Festival» Hamburg. Auch musi­ka­lisch war aus der Heimat nicht viel zu sehen. The Bianca Story aus Basel konn­ten ihre Einladung nicht anneh­men, die Sängerin Heidi Happy durf­te wegen Visaproblemen kurz­fri­stig nicht ein­rei­sen. Einzig das Deutsch-Helvetische Duo Boy aus Hamburg und Zürich brach­te etwas schwei­ze­ri­sche Luft und konn­te sich über gros­se Erfolge freu­en.

Statt ein Sommerwochenende an einem Festival in der Schweiz zu zel­ten in die USA zu rei­sen lässt sich wohl ein­zig damit recht­fer­ti­gen, den ganz gros­sen musi­ka­li­schen Zirkus mal zu erle­ben. In einem Geschäft, das den Wahnsinn zu kom­mer­zia­li­sie­ren ver­sucht, ein gar nicht so unver­nünf­ti­ger Grund.

Foto: M. Sigrist
ensuite, Oktober 2013

 

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