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Murten Classics – Blick über den Schlosshof hin­aus

Von Kaspar Zehnder (Künstlerischer Leiter von Murten Classics) - Murten Classics wäre ohne den Schlosshof Murten nicht denk­bar. Der dop­pel­te Ausblick von der Zuschauertribüne nach vor­ne auf das Orchesterpodium und nach hin­ten auf Murtensee, Jura und Sonnenuntergang macht ihn zum zen­tra­len Ort des Festivals, und damit zum Brennpunkt des musik­the­ma­ti­schen Geschehens, in die­sem Jahr also zum Hauptparkett von «La Danse»: Im Schlosshof tanzt Niels Badenhop barock zu Bachs Orchestersuiten, singt die Sopranistin Julia Kamenik als Csárdásfürstin Sylva Varescu feu­ri­ge Lieder, spielt Giovanni Bellucci Franz Liszts «Totentanz» oder diri­gie­ren Andreas Sebastian Weiser und Leos Svárovsky Tschaikowskys unsterb­li­che Ballettmusiken zu «Dornröschen», «Schwanensee» und «Nussknacker».

Es gibt aber wäh­rend der Festivalwochen noch einen drit­ten Ausblick vom Schlosshof Murten, näm­lich den­je­ni­gen auf die Vielfalt an klei­ne­ren Konzerten, die dem Festspiel erst sein eigent­li­ches Profil geben. Das Thema «La Danse» zieht sich als roter Faden auch geo­gra­phisch durch Murten und sei­ne Umgebung. Jedes Programm erhält sei­ne ört­li­che Entsprechung.

Flamenco in moder­ner Betonarchitektur Ania Losinger (Xala) und Mats Eser (Marimba) haben für ihr neu­es Programm «Shanghai Patterns» die gross­zü­gi­ge moder­ne Eingangshalle der Orientierungsschule Murten-Prehl aus­ge­wählt. Das Publikum wird auf Treppen und Galerien sit­zend Ania Losingers Spiel mit Händen und Füssen mit Aug und Ohr glei­cher­mas­sen erle­ben kön­nen. Ähnliches gilt für das Kammermusikkonzert «Experiencia fla­men­ca». Während Artist in Residence Vital Julian Frey auf dem Cembalo Werke aus drei Jahrhunderten spielt, ist Alicia López mit Flamenco und Palmas für die cho­reo­gra­phi­sche Umsetzung ver­ant­wort­lich.

Facetten von Tanzmusik unter alten Bäumen Gegensätzlich wird das Erlebnis im Vieux Manoir Park. Unter den alten, hohen Bäumen direkt am Wasser wer­den Leos Janáceks «Lachische Tänze» (Wallinger Quartett Brünn) dem blut­ro­ten Tango Argentino des Luciano Jungman Quintet, und den gestyl­ten American Dances des preis­ge­krön­ten ZOFO duet (Klavierduo) von Eva-Maria Zimmermann und Keisuke Nagoshi gegen­über­ge­stellt. «Le Vieux Manoir» bie­tet aus­ser­dem ver­schie­de­ne Formen von musi­ka­lisch-kuli­na­ri­schen Kombitickets an.

Vom höfi­schen Tanz bis zum Schlagzeug-Rock’n’Roll Kultur im Beaulieu (KiB) steht Murten Classics seit vie­len Jahren tat­kräf­tig zur Seite, wenn es um spe­zi­el­le Konzertformen oder um inter­dis­zi­pli­nä­re Events geht. Es ist der Ort in Murten, wel­cher offen für Neues ist, wes­halb auch in die­sem Jahr wie­der zwei Konzerte unter die­sem Motto hier statt­fin­den: Zum einen lässt das OK Percussion Duo Rhythmus und Melodie ver­schmel­zen. Die bei­den Virtuosen aus Tschechien ver­ste­hen es aus­ge­zeich­net, das fas­zi­nie­ren­de und äus­serst viel­fäl­ti­ge Schlagzeuginstrumentarium in packen­den kur­zen Stücken zur Geltung zu brin­gen. Zum andern hat die Berner Musikerin Annerös Hulliger extra für Murten Classics wie­der ein­mal in ihre gross­ar­ti­ge Schatztruhe gegrif­fen und prä­sen­tiert an Tafelclavier und Kammerorgel mit einem Barockquartett (Sabine Stoffer, Stephanie Erös, Peter Barczi, Daniel Rosin) Trouvaillen aus der Zeit des Ancien Regime. Alte Musik, zum Teil aus Murten, neu ent­deckt.

Kammermusik und Barockkonzert im Kirchenraum Für ein spe­zi­el­les kam­mer­mu­si­ka­li­sches Konzerterlebnis geeig­net sind die wun­der­schö­nen Kirchen in und um Murten.

In der Schlosskirche Münchenwiler bringt Thomas Demenga in einem Doppelkonzert Johann Sebastian Bachs sämt­li­che Cello-Suiten zur Aufführung. Dazwischen bie­tet das Schlosshotel Münchenwiler einen Apéro Riche an. Ebenfalls Bach spie­len der ita­lie­ni­sche Stargeiger Francesco d’Orazio und der Cembalist Vital Julian Frey in der Französischen Kirche Murten. Dazwischen prä­sen­tie­ren sie je ein kur­zes zeit­ge­nös­si­sches Intermezzo, d’Orazio ein Nocturne der Finnin Kaija Sariaho, Frey Ligetis «Continuum» – auch hier spie­len Raum und Musik eine wech­sel­wir­ken­de Rolle.

Ähnlich kon­tra­stie­rend gibt sich das Programm mit «3 Danses» aus Strawinskys «Histoire du Soldat», den unga­ri­schen Tänzen aus Bartóks «Contrasts» und Mozarts «Kegelstatt-Trio», wel­ches durch den Klarinettisten Stephan Siegenthaler und den Pianisten Konstantin Lifschitz beru­fe­ne Interpreten erhält. Als Dritter im Bunde tanzt Kolja Lessing auf zwei Hochzeiten, indem er sowohl Geige als auch Bratsche spielt.

In der Kirche Meyriez spielt das Norea-Trio Werke von Dvorák, Schubert und Beethoven.

Unter frei­em Himmel In den ersten Tagen des Festivals spielt das Ensemble Visegradsky Salón an erle­se­nen Freiluftplätzen in Môtier, Muntelier, Meyriez und Courgevaux auf, wäh­rend am letz­ten Tag Jolanda Steiner zum Familienkonzert «Der Josha und die Zauberfidel» ein­lädt. Le ciné­ma Murten schliess­lich beher­bergt die Einführung ins Festivalprogramm durch den Schreibenden und zeigt zur Eröffnung den Film «Rhythm is it».

Bild: Experiencia Flamenca / Foto: zVg.
ensuite, August 2012