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Mit Deep Throat & Koks im Hinterzimmer der Mafia

Von Stephan Fuchs - Deep Throat, der Porno Klassiker aus dem Jahre 1972 kommt nach mehr als dreis­sig Jahren zurück in die Kinos. Der «Summer of Love» 1967 führ­te dazu, die ver­klemm­ten Gemüter in der gan­zen west­li­chen Welt auf­zu­bre­chen und nicht nur die dama­li­ge Jugend ent­deck­te ihr Recht auf die Lust, son­dern auch die Filmindustrie. Plötzlich war es schick, sich in den Kinos des Times Square Streifen wie «Deep Throat», «The Devil In Miss Jones» und «Behind The Green Door» anzu­se­hen. Eine Heerschar aus­ge­hun­ger­ter Männer und Frauen ström­te in die Kinos, um die neue freie Nacktheit zu sehen und einen Hauch der sexu­el­len Revolution mit­zu­be­kom­men. Der Erfolg von «Deep Throat» ließ dun­kel ahnen, was für Möglichkeiten im Pornogeschäft steck­ten. Bereits 1973 hat­te Deep Throat sechs Millionen Dollar ein­ge­spielt und klet­ter­te ins­ge­samt auf 600 Millionen US Dollar. Gewinnspannen für die ein Regisseur in Hollywood in die Chefetage beför­dert wür­de und ein Markt, der genau­so lukra­tiv wie gefähr­lich ist. Innerhalb einer Woche hat­te der ehe­ma­li­ge Friseur Gerard Damiano den Streifen mit einem Budget von ledig­lich 25.000 Dollar abge­dreht… mit dem Geld der Mafia-Familie Colombo. Die Familie kon­trol­lier­te in den 70er Jahren die 8‑mm-Porno-Produktionen die in den ver­steck­ten Hinterzimmern New Yorks gedreht wur­den. Goldbehängte Pimps und Hustler in Seidenanzügen und Krokodillederschuhen ver­dien­ten sich mit den so genann­ten Skin Flicks ihre Cadillacs, Mädchen der Love Generation erleb­ten dort die bit­te­re Realität mit Gewalt, Kokain und Bestialität. Linda Boreman, Star von Deep Throat, war eines die­ser Mädchen.

 Alpträume Ein Autounfall, bei dem Linda Boreman schwer ver­letz wur­de, geschah in den frü­hen Morgenstunden des 3. April 2002. Der rote Geländewagen fuhr auf dem Highway 470, Colorado Boulevard in Denver. In einer schar­fen Kurve ver­sag­ten die Bremsen, das Auto über­schlug sich zwei­mal und Linda, die nicht ange­schnallt war, knall­te gegen die Windschutzscheibe. Ihr Körper war zer­schmet­tert. Nach drei Wochen Koma, beschlos­sen ihre zwei Kinder die Maschinen abzu­schal­ten. Gestorben war die Frau aller­dings schon als sie 10 Jahre alt war. Aufgewachsen in einem Armenviertel in New York, wur­de sie von ihrem Vater, der Polizist und Alkoholiker war, ver­prü­gelt und aus­ge­peitscht; eini­gen Angaben zufol­ge wur­de sie auch miss­braucht. Mit neun­zehn krieg­te sie ein Kind, das ihr die Mutter weg­nahm und zur Adoption frei gab.

Mit 20 lern­te sie ihren zukünf­ti­gen Ehemann ken­nen. Sein Name war Chuck Traynor, ein robu­ster Kerl, der am Rande der Mafia Untergrundwelt leb­te und ein Schläger wie ihr Vater war. Chuck Traynor besaß eine Bar, das Vegas Inn in Miami und eben einen Cadillac. Die wohl nai­ve Linda war beein­druckt, rauch­te mit ihm Pot, schluck­te Amphetamine und zog schon bald bei Chuck ein. Seine Bar lief nicht, also ver­such­te er Linda auf dem Markt zu ver­kau­fen. Chucks Idee war nach New York zu zie­hen um Linda in einem Bordell unter­zu­brin­gen. Er schleif­te sie mit. Seine Vorstellung, Linda bei Madam Xaveria Hollander, in die­ser Zeit die Top Adresse und eine der bekann­te­sten Bordell Betreiberinnen unter­zu­brin­gen, miss­lang ihm. Linda Boreman war zu nett, ver­kör­per­te mehr die Hippie Braut der Love Generation, hat­te fuss­li­ge Haare und unech­te Brüste, die sie auf Chucks drän­gen hat­te ver­grö­ßern las­sen und dadurch im spä­te­ren Leben mit Brustkrebs kämpf­te.

 Loops mit der Mafia Chucks näch­ste Idee waren Loops. Fünf bis zehn Minuten dau­ern­de 8‑MillimeterPornofilme. Die Loops wur­den in gehei­men Hinterzimmern mit unbe­kann­ten Akteuren und Regisseuren auf­ge­nom­men, die von der sizi­lia­ni­schen Mafia-Familie Colombo finan­ziert wur­den. Lovelace dreht mit ihnen dut­zen­de Filme, haupt­säch­lich unter der Regie von Ted Snyder. Ein Typ mit Cowboyhut, Goldketten und einem Fingerring der selbst­ver­ständ­lich aus Diamanten gefer­tigt war und auf dem TED geschrie­ben stand. Sein Studio war an der 48th Street in New York in mit­ten des Rotlichtmilieus. «Sie lieb­te har­ten Sex» mein­te einer ihrer Partner, Rob Everett. Snyder war, wie vie­le ande­re auch in dem Business, ein mani­scher Kokser. 1989 wur­de Snyder in sei­nem Vorgarten mit einem Behälter voll Kokain in sei­ner Hand nach Mafia-Manier erschos­sen. Unter der Direktion von Snyder wur­den die Loops immer abge­fah­re­ner und bestia­li­scher. Auf einer Cocktail Party mach­te sich das Paar mit Gerard Damiano bekannt und er war fas­zi­niert von Linda. Damiano schrieb eigens eine auf sie zuge­schnit­te­ne Story, näm­lich Deep Throat! Doch so ein­fach war das nicht, denn zuerst muss­te Damiano sei­ne Paten der Mafia davon über­zeu­gen, Linda für den Film zu gebrau­chen. Louis «Butchie» Peraino ein Sohn des Paten der Colombo Familie hat­te dar­über zu ent­schei­den. Linda war nicht in sei­nem Plan für das Shooting vor­ge­se­hen, da er viel lie­ber mit Carol Conners den Film abdre­hen ließ. Die hat­te gro­ße Brüste und war blond. Schlussendlich ging es auch um eine Investition mit dem Geld sei­nes Vaters, er durf­te sich also kei­nen Flop erlau­ben. Seine Einstellung zugun­sten Lindas änder­te sich, als Damiano sie dazu brach­te Butchie ihre sexu­el­len Techniken vor­zu­füh­ren. Butchie war begei­stert und nahm sie als Hauptakteurin in den Film auf. 1972 wird der Film Deep Throat pro­du­ziert. Einer der Mafia Aufpasser, ein jun­ger Kerl Namens Streicher, spiel­te in dem Screen den Herrn Doktor Harry Reems, der in Linda Lovelaces Rachen, als merk­wür­di­ge Laune der Natur, ihr Lustzentrum ent­deckt. Damiano kauf­te ihm eine wei­ße Jacke, ver­pass­te ihm eine neue Frisur sowie die pas­sen­de Brille und so wur­de Filmgeschichte geschrie­ben.

 Bittere Realität Was hin­ter der Leinwand geschah, dar­über berich­te­te in Vorträgen immer wie­der die nicht beach­te­te oder als Lügnerin dar­ge­stell­te Linda Boreman ali­as Linda Lovelace, der Star des Deep Throat Filmes. Sie sprach von Gewalt, Vergewaltigung, Waffengewalt, Drogen und Angst. Was die Zuschauer im Film nicht sehen, erzählt Linda erst eini­ge Jahre spä­ter als sie zu einer Gegnerin der Hardcore-Pornografie wur­de und aus der bit­te­ren Realität berich­te­te. Offensichtlich wur­de sie von ihrem Ehemann mit Gewalt gezwun­gen bei dem Streifen mit­zu­wir­ken. Im Original Film erkennt man die Striemen auf ihrem Körper. «Die Leute im Kino hat­ten kei­ne Ahnung. Ich hat­te Todesangst und wur­de vor lau­fen­der Kamera ver­ge­wal­tigt. Millionen Menschen sahen wie ich von meh­re­ren Männern ver­ge­wal­tigt wur­de», erzähl­te Linda Boreman auf ihren Vortragsreisen die sie vor­wie­gend an Universitäten, unter ande­rem auch an der Kaderschmiede der Yale Universität, im Rahmen femi­ni­sti­scher Gruppierungen hielt. «Chuck stand hin­ter den Kulissen und hat­te eine Waffe, mit der er mich zwang. Es ekel­te mich.» Alkohol und Drogen gaben ihr den Rest, um gefü­gig zu sein, wäh­rend Chuck und sei­ne Freunde sich Villen und Yachten kauf­ten. Die Frau als Lustobjekt, als Opfer. Nicht nur wäh­rend der Dreharbeiten, son­dern wie­der und wie­der in sämt­li­chen Kinos, als Zuschauer wäh­rend des Filmes rie­fen: «Fuck her, hurt her, rip her!» Sie gin­gen so weit, dass sie gezwun­gen wur­de mit einem Hund zu ver­keh­ren. Auch davon gibt es 8‑mm-Filme.

 Wir machen Kunst Gerard Damiano, der Produzent des «Deep Throat» ‑Filmes, bezeich­net sei­ne HardcoreFilme als extre­me Ausdrucksform der Kunst. Insofern Brutalität und Vergewaltigung als Kunst zu ver­ste­hen ist, hat er sicher Recht. Joe D’Amato, ein ita­lie­ni­scher Pornoproduzent, meint dazu: «Selbst ein Gerard Damiano kann mir nichts von Kunst in die­sem Business erzäh­len, das ist nur ein faden­schei­ni­ger Vorwand, mit dem er sich recht­fer­ti­gen will. Es hat nichts mit Kunst zu tun, einen Porno zu dre­hen.» Auch wenn begreif­li­cher­wei­se nicht vie­le Frauen den Mut einer Linda Boreman besit­zen gegen den Terror ihrer Peiniger, Zuhälter und die Mafia-Familien auf­zu­ste­hen, gibt es doch Stimmen. Auch von eini­gen Männern. «Bei den Hunderten von Filmen, in denen ich als Pornodarsteller gear­bei­tet habe, gab es Fälle, wo die Mädchen vor Schmerzen geweint und geschrie­en haben. Frauen und jun­ge Mädchen wur­den gefol­tert und lit­ten unter kon­stan­ten kör­per­li­chen Verletzungen, um den Anforderungen des Produzenten zu genü­gen».

 Ausstieg in die Hölle Die Karriere von Lovelace bekam bereits 1974 einen ernst­haf­ten Knicks, als sie im Dunes Hotel in Las Vegas wegen des Besitzes von Kokain und Amphetamin ver­haf­tet wur­de. Just vor ihrem Versuch die Hardcore-Porno-Szene zu ver­las­sen und auf das rela­tiv harm­lo­se Nachtclubund TabledanceGeschäft umzu­stei­gen. Das Aladdin Casino in Las Vegas buch­te sie für eine Show, aber schloss sie bereits nach einer Woche wie­der, da die Leute ent­täuscht waren, sie nicht nackt zu sehen. Das war auch das Jahr, indem sie von Chuck los­kam und so ihrer näch­sten Hölle ent­ge­gen ritt: Die Reise zurück ins nor­ma­le Leben, ver­ges­sen, arm, gede­mü­tigt und krank.

Bild: zVg.
ensuite, März 2005