Menschen & Medien: Wo bin ich

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Von Lukas Vogelsang -  Vor eini­ger Zeit fiel mir auf, wie wenig ich noch über das Stadtgeschehen oder über­haupt über das loka­le Geschehen mit­be­kom­me. Wenn man kei­ne Tageszeitung abon­niert hat und sich fast aus­schliess­lich aus dem Internet abspei­sen lässt, wenn der Beruf sel­ber schon über­mäs­si­ge Informationsmengen lie­fert, so dass der Appetit auf noch mehr Nachrichten erstickt ist, wie kann man da noch am loka­len Geschehen teil­ha­ben?

Die ein­zi­ge Zeitung am Sonntag, wel­che ich seit Jahren abon­niert habe (mehr Gewohnheit als Qualitätsdenken) bringt auf über 98 Prozent der Seiten natio­na­le Nachrichten. Meine rest­li­che abon­nier­te Fachliteratur hat eh nichts mit Lokalem zu tun. Da ich kein Zug-Pendler bin, habe ich die letz­te 20-Minuten vor ca. einem hal­ben Jahr in den Fingern gehabt.

Kein Wunder, sind auf­merk­sa­me­re LeserInnen wiss­be­gie­rig und wol­len mehr Informationen. Erstaunlicher aber, dass es im Verhältnis zur Machbarkeit sehr wenig ernst­zu­neh­men­de News-Blogs oder pri­va­te Nachrichtenseiten im Schweizer-Internet gibt. Man redet zwar seit Jahren dar­über, und ein paar tech­nisch Unversierte tip­pen sich die Tasten platt über die Demokratisierung durch das Internet. Fakt ist aber, dass zur Zeit kaum ein Blog täg­lich über 100’000 «uni­que» LeserInnen auf­wei­sen kann, wie dies eine Zeitung tut. Und Social Webseiten haben mit der jour­na­li­sti­schen Presse so viel zu tun, wie ich mit dem Papst. Nein, ent­ge­gen allen Unkenrufen: Die Zahlen im Internet sind erschreckend mar­gi­nal.

Unser Lokal-Problem ist an einem ande­ren Ort: Lokaljournalismus ist, weit ver­brei­tet, schlecht posi­tio­niert. Das ist ver­ständ­lich. Klingt es doch bes­ser, wenn man als JournalistIn sagen kann: «Ich bin News-Korrespondentin in New York», oder: «Ich bin Nahost-Auslandredaktor»… Mir kommt unwei­ger­lich der ver­stor­be­ne Marlboro-Man in den Sinn: Das Abenteuer liegt in der Luft. Dagegen wir­ken die Lokal-Redaktionshelden zu pro­vin­zi­ell und vor allem wie Grünschnäbel. Es gibt zwei Typen in der Lokalredaktion: Die jun­gen, auf­stre­ben­den JournalistInnen, wel­che nach zwei Jahren Lokalredaktion zu höhe­ren redak­tio­nel­len Aufgaben «auf­stei­gen» kön­nen, und älte­re JournalistInnen, wel­che den Rummel nicht mehr suchen und im Job eher eine ruhi­ge Kugel schie­ben wol­len. Dabei ist die­se Klassifizierung völ­lig falsch: Der oder die AuslandkorrespondentIn ist ein nie­mand unter ganz vie­len – wäh­rend die gan­ze Stadt die Lokalredaktion kennt. Sie wol­len berühmt wer­den? Machen sie eine Lokalredaktion auf und tram­peln sie den Behörden auf den Füssen rum, publi­zie­ren sie ein paar Skandälchen – inner­halb weni­ger Monate kennt sie jeder und jede – und dazu haben sie erst noch die Sympathien der Bevölkerung auf ihrer Seite. Da haben es jene, wel­che für ein­mal im Rampenlicht ste­hen wol­len und bei den Supertalent-Castings mit­ma­chen wesent­lich schwe­rer.

Es ist des­we­gen zu begrüs­sen, dass eine lin­ke Gruppe, die auch für Mittige und Rechte offen ist, sich in Bern genau die­sem Problem anneh­men will: Eine Online-Tageszeitung mit loka­lem Inhalt. Die Gruppe «Berner Online Medien» schreibt auf ihrer Website: «Es feh­len die über­ra­schen­den Geschichten und inter­es­san­ten Zugänge zu Themen aus den Bereichen Politik, Kultur und städ­ti­schem Alltag. Hier springt die neue Online-Zeitung ein, ohne Anspruch auf Vollständigkeit zu erhe­ben.» Das stimmt fröh­lich – aller­dings kom­men dann auch gleich die Zweifel: Rund eine hal­be Million soll das Projekt jähr­lich kosten. Wie soll sich das finan­zie­ren? Durch Mitgliederbeiträge und Werbung? «Geplant sind 300 Stellenprozente für 5–6 JournalistInnen in den Bereichen Politik, Kultur und Stadtgeschehen, die täg­lich 1–2 Inhalte ver­fas­sen. Zudem haben sie die Aufgabe der Koordination und der redak­tio­nel­len Begleitung des Netzes von frei­en Mitarbeitenden und frei­wil­li­gen, unent­gelt­lich schrei­ben­den Persönlichkeiten, sowie noch zu defi­nie­ren­den Service-Leistungen (z.B. Wetter, digi­ta­le Trends). Zusätzlich sind die not­wen­di­gen Stellenprozente für die Administration vor­ge­se­hen.»

Grosse Ambitionen. Allerdings möch­te ich an die­ser Stelle auf ein paar ver­gleich­ba­re Webseiten auf­merk­sam machen, die bereits ein paar Wochen nach dem Start in Vergessenheit gera­ten sind: www.journal21.ch, www.infosperber.ch, www.neuland.ch, www.thebrander.ch, www.finews.ch, www.clack.ch, www.literaturundkunst.net. Und mal abge­se­hen davon, hat ensuite eben­falls eine Kulturnewsseite: www.ensuite.ch. Übertun wir uns jetzt grad wie­der?

Cartoon: www​.fauser​.ch
ensuite, Dezember 2011

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