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Menschen & Medien: Vom Programm erschla­gen

Von Lukas Vogelsang – Wurden sie noch nie von einem Programmheft erschla­gen? Oder von einem Programmflyer gewürgt? Ertrinken sie nicht zwi­schen­durch in Kulturmassenmails? Das geschieht mir fast täg­lich – berufs­be­dingt. In unse­rer Redaktion lan­den die­se ProgrammAnsager in Massen, und um ehr­lich zu sein, wir haben schon dar­über nach­ge­dacht, einen Wettbewerb zu ver­an­stal­ten: Preisauszeichnungen für den unle­ser­lich­sten Flyer, für das gra­fisch fürch­ter­lich­ste Layout oder das lang­wei­lig­ste Programmheft. Es gibt Flyers, bei denen man nicht weiss, wie man sie in den Fingern hal­ten soll. Mir ist bewusst, dass Kultur-Marketing kei­ne ein­fa­che Aufgabe ist. Aber es ist teil­wei­se nicht zu über­tref­fen, was sich Kultur-Institutionen lei­sten. Statt mich ein­ge­la­den zu füh­len, wer­de ich von die­sen Publikationen aus­ge­la­den, regel­recht weg­ge­jagt. Jüngstes und aktu­ell­stes Beispiel ist das Saisonprogramm – oder ist es nur ein Ensemble-Promo-Katalog? – des Schauspielhaus Zürich 2012/2013. Könnte ich zum Buch noch eine Anleitung krie­gen, wie ich die­ses Programm lesen soll, wel­che Informationen man mir mit­tei­len will, und was ich damit anfan­gen soll? Bilderbücher habe ich als Dreijähriger gele­sen – die­ses Programm ist mir ein Rätsel geblie­ben.

Die unsäg­li­che Begierde, einen Kulturhinweis sel­ber zu einem künst­le­ri­schen Werk machen zu wol­len, ihn bis zur Unkenntlichkeit zu defor­mie­ren, damit zum Schluss der Grad der Deformation nur noch Aufschluss über die Institution gibt. Dieser auf­ge­bür­de­te Zwang, mich damit aus­ein­an­der­zu­set­zen, wo ich doch nur wis­sen will, wer wo was spielt. Das geht doch ein­fa­cher – und gün­sti­ger.

Ganz schlimm sind auch jene Programm-Verkünder, bei wel­chen das Datum fehlt, der Titel falsch geschrie­ben ist, man nicht erken­nen kann, ob da Älpler-Folklore oder Heavy-Metal, ein Jass Abend oder ein klas­si­sches Ballett pro­mo­tet wird. Meistens sind die beglei­ten­den Pressemitteilungen nicht bes­ser. Ein Berner Veranstalter hat über Jahre hin­weg bei den Pressehinweisen ele­men­tar­ste Daten ver­ges­sen: Titel oder Kalenderdaten oder Beginn-Zeiten – letz­te­res wie­der­um scheint sich bereits breit ein­ge­bür­gert zu haben. Für uns Kulturmedien ist es wahr­lich ein Kunsthandwerk, die Eventagenda zu erstel­len. Die Hälfte der Angaben müs­sen von einer Redaktion über­ar­bei­tet und kor­ri­giert wer­den. Aber wenn das nicht mal im eige­nen Programmheft funk­tio­niert…?

Etwas erstaunt habe ich dann fest­ge­stellt, dass auf Wikipedia ein Eintrag zu «ProgrammHeft» exi­stiert. Da wird in der Tat der Begriff erklärt, und auch, dass gera­de bei Theater-Programmheften die Dramaturgen die Verfasser und Redaktoren der­sel­ben sind. Der oder die DramaturgIn ist ja heut­zu­ta­ge eine Art «TätschmeischterIn» und für alles ver­ant­wort­lich – nur nicht für die Dramaturgie. Das erklärt viel­leicht ein wenig die Umstände, die zu die­sem Werbe-Fiasko füh­ren: Da müs­sen sich die DramaturgInnen und Maktetingleute abspre­chen – und ein über­for­der­ter Dramaturg, eine Dramaturgin ist nun mal kei­ne Marketing-Fachperson. Und die Grafik-Abteilung auch nicht. Chaos. Aussichten für bes­se­re Zustände sind nicht in Sicht, und wir wer­den auch in Zukunft von Programmheften erschla­gen wer­den…

Cartoon: www​.fauser​.ch
ensuite, Juni/Juli 2012