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Menschen & Medien: Schwarz-Weiss // Ping-Pong

Von Lukas Vogelsang – Das Rot unse­rer Schweizer Flagge ist dun­kel gewor­den. Schwarz, um kon­kret zu sein. Mit dem Kreuz gleicht die Schweiz einer Freiburger Kuh und wir wer­den lang­sam im Kollektiv far­ben­blind. Ich als beken­nen­der rot­haa­ri­ger Bombenleger (Tim Robbins, «Buntspecht», ISBN 3499151480, 1983) reagie­re auf sol­che Veränderungen etwas sen­si­bel.

Was ist gesche­hen? Die Schweiz trennt aktu­el­le Themen nur noch in Schwarz oder Weiss. Jede Bewegung oder Aussage in der Öffentlichkeit wird bewer­tet und in ein schwar­zes oder weis­ses Feld gelegt, als gäbe es kei­ne Grauzonen oder eben gar Farben dazwi­schen, als gin­ge es dar­um, ein Spiel zu gewin­nen. Recht zu haben ist das Ziel die­ses ver­ba­len Ping-Pong-Spiels. Das Eingeständnis ist gestor­ben und in vie­len Fällen auch die Logik. Die Spielmoral ist am Boden. Und das betrifft die gesam­te Bevölkerung – nicht nur die Für- oder Gegen-Blochers, Hildebrands, Euro- oder Asylantenzonen und Blog-KommentarschreiberInnen. Gerade die Medien arbei­ten vol­ler Wonne mit die­ser Empörungsbewirtschaftung.

Nehmen wir die Hildebrand-Affäre. Ob Hildebrand «schul­dig» sei, wird da gefragt. Ob Blocher ein böser sei? Es wird nicht fak­ten­ori­en­tiert recher­chiert, son­dern nach Stimmungsbarometer reagiert. Die Medien fres­sen den Protagonisten alles aus der Hand. Grundlegende Fragen wer­den kaum noch gestellt. Die Kommentare in Blogs wider­spie­geln die­se absur­de öffent­li­che Wahrnehmung sehr schön – und ich weiss, dass dies nicht die letz­te Wahrheit ist. Aber eine Variante davon. Ich bin erstaunt, dass man den Hildebrand nicht gleich auf dem Bundesplatz an einen Pfahl gebun­den hat, und die Bevölkerung ihm die Meinung mit Tomaten und fau­len Eiern kund­tat. Die gesam­te Geschichte um die Nationalbank hat mit Demokratie und Recht so wenig zu tun – und vor allem hat das nichts mit Intelligenz zu tun. Die News waren wich­ti­ger. Der Peak muss­te her. Die Stimmung muss­te hoch blei­ben. Hätten die Medien abge­war­tet, bis eine recht­li­che Untersuchung Resultate gelie­fert hät­te, so wür­de kein Mensch über das Thema spre­chen. Die Medien hät­ten kei­nen Hype gehabt.

Empörungsbewirtschaftung – ich mag die­ses Unwort. Aber ich muss geste­hen, auch ich arbei­te damit. Irgendwann in den letz­ten 10 Jahren habe ich bemerkt, dass, wenn ich nicht pole­mi­sie­re, nie­mand reagiert. Gerade in kul­tu­rel­len Belangen schweigt die Welt trot­zig. Um eine Diskussion ent­fa­chen zu kön­nen, muss man ein paar Fensterscheiben ein­wer­fen und – «hui!» – wer­den die Stimmen laut. Meine Rechnung dabei ist ein­fach: Bern hat mit der Agglomeration rund 220‘000 EinwohnerInnen. Wenn ich nichts sage, gibt es kei­nen Punkt für ensuite. Bringe ich eine heis­se Polemik oder ein aku­tes Thema, errei­che ich viel­leicht 1 Prozent, das im Anschluss «Ja» zu ensuite sagt. Das sind bereits 2‘200 Menschen. Das Ziel war, an die sta­ti­sti­schen 2 % zei­tungs­le­sen­den Kulturinteressierten zu gelan­gen. In der Zwischenzeit errei­chen wir zwi­schen 11 bis 14 Prozent – so die Leserstatistiken. Das ist ein her­vor­ra­gen­des Resultat – mei­ne Polemik ist sel­ten gewor­den.

So unrühm­lich es ist, ich zweif­le, ob ensuite das Ziel jemals ohne die Polemik erreicht hät­te. Themen der «Kultur» sind nicht sehr gesell­schafts­fä­hig. Wenn man sich rasch aus einer Gesellschaft aus­la­den will, so beginnt man beim Apéro eine kul­tur­po­li­ti­sche Diskussion. Das glei­che mit «Kunst». Ich behaup­te, das ist der Grund, war­um die Künstler Thomas Hirschhorn und Damien Hirst so pola­ri­sie­rend arbei­ten: 1. möch­ten sie wei­ter­hin an Apéros ein­ge­la­den wer­den und 2. ver­die­nen sie eine Menge Geld mit die­ser Art, Kunst zu ver­kau­fen.

Schwarz-Weiss-Denken gene­riert Peaks im Hirn. Egal, wie klein oder gross ein Hirn ist – ein Peak wird wahr­ge­nom­men. Und ein Peak ist nor­ma­ler­wei­se ein Pluspunkt – zumin­dest eine wahr-genom­me­ne Situation. Die SVP arbei­tet schon lan­ge mit die­ser Taktik. Es ist ein sehr ein­fa­ches System. Ich bin des­we­gen über­rascht, dass jetzt die SVP über ihre eige­nen Schnürsenkel gestol­pert ist. Das braucht nun wirk­lich viel.

Aber müs­sen wir jetzt wei­ter­hin so far­ben­blind blei­ben? Gibt es kei­nen Ausweg aus die­ser Tristesse? Werden wir Schweizer jetzt Peaks? Ich fän­de es schön, wenn wir wie­der Rot sehen wür­den in unse­rer Fahne. Und ich hät­te auch nichts dage­gen, mal ein paar wei­te­re Farben hin­zu­zu­fü­gen.

Cartoon: www​.fauser​.ch
ensuite, Februar 2012