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Menschen & Medien: Immer Eines mehr als der Andere

Von Lukas Vogelsang – Haben sie, lie­be LeserInnen, die Medienberichte etwas ver­folgt? So zum Beispiel die AKW-Verwaltungsrats-Verteidigungsreden der BKW ver­sus die PR-Maschine der Gegner-Innen? Haben sie bemerkt, wie die Presse jede Bewegung wie Windrädchen doku­men­tiert hat? Mit viel Farbe natür­lich – die poli­ti­schen (Miss)-Bildungen waren gut spür­bar. Da heisst es an einem Tag dies, am ande­ren Tag sagt irgend ein Verwaltungsrat das – danach kom­men Gutachten, die ganz ande­res erzäh­len, die­se wer­den am Folgetag wie­der demen­tiert und run­ter­ge­spielt, bis eine Universität auch noch was sagt, dann sieht alles wie­der anders aus. Inzwischen hat man fast still­schwei­gend ein AKW still­ge­legt, wegen Sanierungsarbeiten, dabei woll­te man nicht den Studien recht geben, aber der Chef sel­ber spricht jetzt von Bedenken, auch wenn er den Gegnern nicht Recht geben will, und so wei­ter… Ping-Pong. Allerdings ist auf­fal­lend, wie jeden Tag die Informationen noch einen Zacken mehr zu bie­ten haben. Als wäre es ein Wettbewerb, jubeln die Medien über so viel Newsgehalt und publi­zie­ren was die Kanäle nur so her­ge­ben kön­nen. Wirklich, rund um Fukushima zum Beispiel wech­sel­ten sich die News schnel­ler ab, als das «Zugabe-Video» ganz unten auf der Webseite der Berner Zeitung. Ich schaf­fe es nicht ein­mal, die­ses mit­zu­ver­fol­gen.

Um zu illu­strie­ren, was ich mei­ne, habe ich auf www.bernerzeitung.ch kurz eine unre­prä­sen­ta­ti­ve Artikelauswahl zusam­men­ge­stellt, und gebe hier chro­no­lo­gisch deren Titel wie­der. Das Stimmungsbarometer wider­spie­gelt wohl den Aktienverlauf:

In der Nachlese stol­per­te ich vor allem über fol­gen­de Passage in einem Interview mit BKW-Chef Kurt Rohrbach (www.bernerzeitung.ch / 29.06.2011). Auf die Frage: «Wie lan­ge müs­sen Sie Mühleberg betrei­ben, um die­se 30 Millionen Franken wie­der rein­zu­ho­len?» mein­te Kurt Rohrbach: «So genau haben wir das nicht berech­net. Es ist aber sicher weni­ger als ein Jahr.» [10 Millionen kosten die Investitionen in die Sicherheit – 20 Millionen soll der Stromausfall und Einkauf von Strom kosten / Anm. Redaktion]. Eine explo­si­ve Aktienprognose: Kaufen sie BKW-Aktien, wir machen bru­tal aso­zia­le Gewinne. Die Antwort hat beim Journalisten wohl nicht mal ein Wimpern-Zucken aus­ge­löst. Er fährt das Interview unbe­irrt wei­ter. Ich bezeich­ne sowas als Kunstwerk in unse­rer über­kom­mu­ni­ka­ti­ven Welt. Das sind Glanzleistungen der mensch­li­chen Intelligenz.

PR-Berater sind ein vol­ler Erfolg. Es gibt Kulturinstitutionen, die, statt Werbung zu schal­ten, ein­fach gute PR-Berater anstel­len. Die kosten schluss­end­lich fast gleich so viel wie die Inseratebuchungen, sind aber effek­ti­ver, weil die­se net­ten Menschen am Telefon die Presse viel stär­ker per­sön­lich bear­bei­ten, und damit wesent­lich mehr redak­tio­nel­len Platz ergat­tern kön­nen. Was in der Zeitung steht wird geglaubt. Jedenfalls mehr als einem Inserat. Redaktionelle Texte kom­men näher an die Leserschaft, als ein Inserat, wel­ches viel­leicht gese­hen wird. Und man kann wesent­lich mehr Botschaften in einer gut plat­zier­ten Medienmitteilung unter­brin­gen, als in einem Inserat. Dazu kommt der ein­fa­che Fakt, dass vie­le soge­nann­te «JournalistInnen» die­se Mitteilungen ver­ar­bei­ten und tat­säch­lich publi­zie­ren! Die stel­len kei­ne Fragen, son­dern sind froh, ein Thema gefun­den zu haben. Und die Medien fra­gen sich ernst­haft, war­um sie an Glaubhaftigkeit ver­lo­ren haben?

Wann kommt der Plagiatstest für jour­na­li­sti­sche Artikel in Bezug auf Medienmitteilungen und Pressesprechertexte?

Cartoon: www​.fauser​.ch
ensuite, August 2011