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«Mein Wohnraum ist mir längst unter die Haut gekro­chen»

Von Anne-Marie Haller – So abge­dro­schen das klin­gen mag: Anna Kassaadji ist eine ech­te Lebenskünstlerin. Aus jeder Gegebenheit macht sie ein Kunstwerk, einen schöp­fe­ri­schen Akt. Zu sehen im «kunst- und denk­raum _artundweise» in der Lorraine.

Aufgewachsen auf einem Bauernhof lernt Anna Kassaadji früh mit wenig Geld sel­ber her­zu­stel­len, was ande­re sich käuf­lich erste­hen. Aus der Not wird ein poli­ti­sches Statement, das sich naht­los in die 60er/70er Jahre ein­fügt: Konsumverweigerung.

Ihre künst­le­ri­schen Ambitionen fin­den mit einem Nein der Kunstgewerbeschule ein abrup­tes Ende. So ent­schei­det sie sich für ein Soziologiestudium. Ihre schöp­fe­ri­sche Tätigkeit führt sie unbe­irrt wei­ter. «Nach dem Motto: Ich erschaf­fe also bin ich.»

Mit 20 trifft sie in einem klei­nen Hotel in Paris auf eine Tapete, die ihr beson­ders gefällt – sosehr, dass sie die­se Tapete zuhau­se nach­zu­emp­fin­den ver­sucht. Sie bear­bei­tet Packpapier und tape­ziert damit ihr mor­sches Altbauzimmer. «Die Erinnerung an mei­ne Tapete, gibt mir bis heu­te ein Gefühl von Wohlsein und Geborgenheit.» In die­ser Zeit ent­ste­hen auch die ersten Collagen aus Hochglanz-Magazinen oder Zeitungen aus dem Altpapier. Zeitlebens hält Anna Kassaadji die Erwerbsarbeit auf einem not­wen­di­gen Minimum. Lieber mit wenig Geld leben, dafür Zeit haben zum Nichtstun, die Energie für eige­ne Projekte nut­zen. «Tun was ich will.»

So lebt sie zeit­le­bens auf klei­nem Raum. In Studios oder Einzimmerwohnungen. Nicht nur aus öko­no­mi­schen Gründen, son­dern auch um aus­zu­lo­ten wie viel Erde der Mensch braucht. «Mein Wohnraum ist mir längst unter die Haut gekro­chen.» Er sti­mu­lie­re dazu, jeden Zentimeter zu nut­zen, als frei­en Raum oder für ihre Habe. «Die Grenzen des Wohnraums sind nah, for­dern auf zur Reflexion und bestim­men mein Schaffen. Diese Einschränkungen führ­ten mich schluss­end­lich zur Photoperformance.» Seit der Pensionierung wird ihr Studio jeweils für ein paar Tage zum Atelier. Der Rest des Wohnens fin­de dann jeweils in einer Ecke statt.

Mit ihrer ersten Photoperformance «Body in the Kitchen», 2018 lotet die Künstlerin ihre Küchenzeile aus. Sie schlüpft hin­ein, wird Teil davon. Seither beschäf­tigt sie sich mit ihrem Boden. Mit Packpapier bil­det sie den Parkettboden nach, auf dem sie lebt. Nimmt alles aus­ein­an­der, bear­bei­tet die Streifen um sie wie­der neu zusam­men­zu­set­zen.

«Boden bricht auf», ihre aktu­el­le Photoperformance. reflek­tiert die Auseinandersetzung mit der Begrenzung von unten, dem Boden unter ihren Füssen. Die Nachbildung eines Stücks Parkettboden aus Packpapier ermög­licht ihr eine spie­le­ri­sche Erkundung der Grenzräume. Es ermög­licht ihr dar­un­ter zu krie­chen, den Boden auf­zu­bre­chen und her­vor­spries­sen. Der Boden wird zur Wand, zum durch­schei­nen­den Kleid – und scheint die phy­si­ka­li­schen Gesetze zu wider­le­gen, wenn er zu schwe­ben beginnt. Dabei führt Anna Kassaadji die Spielerei noch einen Schritt wei­ter: Eine Serie der Bilder druckt sie auf bear­bei­te­tes Packpapier aus. Jedes Bild wir dadurch zum Unikat.

Im dazu­ge­hö­ren­den Video bricht schluss­end­lich auch der Boden auf. Sprengt Grenzen. Wird zum Drachen oder Schmetterling? Und ver­schwin­det in der Altstadt. Die Künstlerin lädt ein, Grenzräume aus­zu­lo­ten, feste Formen auf­zu­bre­chen und neu zu den­ken.

 

Die Berner Künstlerin Anna Kassaadji
«Boden bricht auf» Vernissage mit Performance:
Donnerstag 10. September 2020, 17 Uhr
_artundweise kunst- und denk­raum
Lorrainestrasse 16, 3013 Bern

Foto: Marina Zala

 

Beitrag wur­de uns aus­nahms­wei­se von der Galerie _artundweise kunst- und denk­raum zur Verfügung gestellt.