Mein Held: Howard Luck Gossage

Von

|

Drucken Drucken

(Constantin Seibt) –

Letzte Woche fan­den Sie im die­sem Blog die Rangliste von fünf der sechs besten Bücher zum Journalismus. Platz 1 blieb offen. Teils, um für Sie die Spannung ins Unermessliche zu trei­ben. Teils, um Ihnen über das Wochenende Zeit zu geben, die fünf Bücher zu lesen.

Das wich­tig­ste Motiv war jedoch, dass das beste Buch in einer eige­nen Liga spielt. Es ist – da gehe ich jede Wette ­ein – das kühn­ste und trick­reich­ste Buch zum Handwerk des Schreibens. Und es ent­hält mehr Ideen für die Zukunft des Journalismus im Netzzeitalter als ein paar Tausend Verlegerkongresse.

Trotzdem ist es in der Branche fast völ­lig unbe­kannt. Das über­rascht nicht. Denn erstens erschien es Jahrzehnte vor dem Internet, vor fast fünf­zig Jahren. Und zwei­tens dreht es sich um ein Genre, das sogar unter Lohnschreibern wenig Prestige hat: Das beste Buch über Journalismus ist ein Buch über das Werbetexten.

Sein Titel lau­tet «Ist die Werbung noch zu ret­ten?» – und es ist trü­ge­risch schmal. Es ent­hält rund drei Dutzend Werbeanzeigen für Dinge wie Fluglinien, Hemden oder Bier. Und ein Dutzend Essays, wie die Anzeigen gemacht wur­den. Es ist ein ver­spiel­tes, kon­se­quent ver­kau­fen­des, in jeder Zeile revo­lu­tio­när gedach­tes Buch.

Sein Autor, Howard Luck Gossage, war Kampfpilot im Zweiten Weltkrieg, Dandy und Anarchist.  Er stiess erst mit 35 auf den Beruf, für den er gebo­ren war: das Werbetexten. In den weni­gen Jahren in sei­nem Job – er starb 1969 mit 51 an Leukämie – amü­sier­te Gossage sich und sein Publikum nicht nur blen­dend und ver­dien­te Unmengen Geld, son­dern mach­te aus der Werbung «eine begrenz­te, aber trotz­dem eine Kunstform».

Das Bestechende an Gossages lan­gen Textanzeigen war nicht nur ihr Witz, ihre Eleganz und ihr unver­wech­sel­bar per­sön­li­cher Stil. Sondern, dass Witz, Eleganz und unver­wech­sel­ba­rer Stil funk­tio­nier­ten. Mit drei Anzeigen schaff­te er es etwa, ein im Parlament bereits beschlos­se­nes Projekt zu kip­pen: einen gigan­ti­schen Staudamm, der den Grand Canyon in einen Stausee ver­wan­delt hät­te.

Gossages Erfolgsrezept war, prak­tisch alle geschrie­be­nen oder unge­schrie­be­nen Gesetze sei­ner Branche zu bre­chen. An Stelle hart ver­kau­fen­der Slogans ent­warf er bei­spiels­wei­se rea­li­sti­sche. Etwa für Fina-Tankstellen-Kette:

[Unser Motto]*

«Wenn Sie eine Strasse hin­un­ter­fah­ren, und Sie sehen eine Fina-Tankstelle und sie ist auf Ihrer Strassenseite, so dass Sie kei­ne 180-Grad-Wende machen müs­sen, und es war­ten nicht schon fünf oder sechs Autos, und Sie brau­chen Benzin oder sonst was**, dann kom­men Sie vor­bei.»

————————-

* Wir wis­sen, dass das kein beson­ders ein­präg­sa­mes Motto ist, aber es ist rea­li­stisch; und Fina will nicht Unbequemes oder Unvernünftiges von Ihnen.

** Wie Öl. Oder 1503 wei­te­re Dinge.

Das war Gossages kür­ze­ste Anzeige. Alle wei­te­ren waren wesent­lich län­ger. Für die Irisch-Whiskey-Hersteller ent­warf er eine Kampagne, die in der weit­schwei­fi­gen Weise der Iren das Problem erör­ter­te, ob iri­scher Whiskey (also Whiskey in Schaumkaffee) nicht den nach­drück­li­chen, polier­ten Geschmack des Whiskeys ermor­de, ob also sie, die iri­schen Whiskeybrauer, nicht aus Profitgier ihren Stolz an eine bra­si­lia­ni­sche Beere ver­ra­ten hät­ten … Die Anzeige brach dann mit­ten im Satz ab und wur­de wie ein Fortsetzungsroman von Woche zu Woche wei­ter­ge­führt. Gossage par­odier­te auch als Erster Anzeigen der Konkurrenz. Aus David Ogilvys berühm­ter Anzeige «Bei 100 Stundenkilometern ist in die­sem neu­en Rolls-Royce das lau­te­ste Geräusch das Ticken der elek­tri­schen Uhr» wur­de Gossages Plädoyer «Bei hun­dert Stundenkilometern ist in die­sem neu­en Range Rover das lau­te­ste Geräusch das Gedröhn des Motors».

Die Strategie der Werbung damals bestand im Wesentlichen dar­in, dem Publikum ihre Slogans mit einem Sperrfeuer von TV-Spots, Inseraten und Plakaten ein­zu­häm­mern. Dagegen schal­te­te Gossage jede Anzeige strikt nur ein­mal. Sein Argument: «Wenn man wirk­lich etwas zu sagen hat, zum Beispiel ‹Feuer!›, muss man sich auch nicht wie­der­ho­len.» Sein Arbeitsmotto war: «Die Leute lesen kei­ne Anzeigen. Sie lesen, was sie inter­es­siert  – und manch­mal ist es eine Anzeige.»

Diese Haltung gestat­te­te ihm nicht nur den epi­schen Fortsetzungsroman, son­dern auch ver­spiel­te Dinge wie die Fina-Kampagne, in der er für eine mit­tel­gros­sen Tankstellenkette den letz­ten ent­schei­den­den Zusatz der Branche erfand, seit vor zwan­zig Jahren sau­be­re Toiletten ein­ge­führt wur­den: rosa Luft in den Reifen. Finas Fünfjahresplan, die rich­ti­ge Sorte Luft zu ent­wickeln, die Berechnungen für die rosa Rohrleitung, die rosa Radkappen und die Vorschau auf das Endprodukt  – rosa Ballons – ver­kauf­ten Benzin der­art gut, dass die ande­ren Werbeleute dar­an zu zwei­feln began­nen, ob es Gerechtigkeit gab.

Denn Gossages Anzeigen ver­kauf­ten ihre Produkte exakt mit dem, was im Rest der Branche als Erfolgskiller galt: Intelligenz, Charme, Ironie, per­sön­li­chem Stil. Und ihr Erfolg war beweis­bar. Nicht nur, weil die Verkaufszahlen  sei­ner Kunden aus­nahms­los stie­gen. Sondern Gossage pfleg­te an fast jede Anzeige einen Coupon zu hän­gen, um zu sehen, wie die Leser reagier­ten.

Und das taten sie. 9 der 10 erfolg­reich­sten Kampagnenrückläufe der 60er Jahre stamm­ten von ihm. Gossage war der Erfinder der inter­ak­ti­ven Werbung, lan­ge vor dem Netz. Seine Coupons stell­ten Fragen, such­ten Ideen, ver­spra­chen inter­es­san­te Preise. (So etwa konn­te man bei Fina ein Fussballfeld rosa Beton Asphalt gewin­nen, falls man eine Begründung dafür fand, wofür man sowas eigent­lich brauch­te.) Gossages Lieblingsmethode war, dass er mit sei­nen Lesern jeweils eine Konversation star­te­te. Er las die Antworten und schrieb die näch­ste Anzeige wie ein Journalist: als Reaktion dar­auf, was pas­siert war.

Was Gossage für heu­ti­ge Journalisten inter­es­sant macht, ist neben eini­gen Tricks vor allem sei­ne Haltung, zum Publikum wie zur eige­nen Branche. Nicht umsonst wun­der­te sich Gossage, dass die US-Werbung, «die gröss­te und mäch­tig­ste Propagandamaschine, die die Welt je sah, vor allem Langweile her­vor­ge­bracht hat». Dasselbe gilt erschreckend häu­fig auch für die News-Industrie.

Denn in bei­den Branchen domi­nie­ren gern rou­ti­nier­te Einpeitscher. Sie sind über­zeugt, dass dem Publikum die Ware in mög­lichst hohem Rhythmus ein­ge­häm­mert wer­den muss, da es sonst flüch­ten könn­te. Das gilt für die Waschmittelwerbung eben­so wie für die tra­di­tio­nel­len Zeitungen wie für die aktu­el­len Online-Seiten: Fast alle setz­ten auf die Materialschlacht. Man bolzt Nachrichten, Schlagzeilen, Skandale, Klicks nach Rezept.

Und die Leute mit der Peitsche sagen, dass das, was sie – angeb­lich – per­sön­lich schät­zen, das Publikum nicht schätzt: Intelligenz, Charme, Witz, Nebengedanken, Ironie, Freundlichkeit, Individualität, Stil, Schönheit, Aufrichtigkeit, was immer. Sondern dass die Leute nur eines wol­len: mehr von dem immer Gleichen.

Diese Erkenntnis hal­ten sie – gera­de wegen ihrer Trostlosigkeit – für Realismus. Als wäre Trostlosigkeit das Gegenteil von Naivität.

Wer Gossage gele­sen hat, wird an all dies nicht mehr glau­ben. Gerade weil sein Buch sich um das Werbetexten, also die här­te­ste Form des Schreibens dreht – um Texte, die einen mess­ba­ren Erfolg haben müs­sen. Denn Gossage beweist: Die Tretmühle ist eine Verschwendung der wich­tig­sten Ressourcen – von Zeit, Talent und Geld. Nichts ver­kauft sich bes­ser, als auf jewei­li­gen Regeln der eige­nen Branche zu pfei­fen. Den eige­nen zu fol­gen. Und dem Publikum auf Augenhöhe zu begeg­nen: Es also für min­de­stens so intel­li­gent und ver­rückt zu hal­ten wie man selbst.

Die erfolg­rei­chen Praktiker der Branche wuss­ten das immer: Alles mög­lich. Jede Form, jedes Thema, jede Länge. Solange es inter­es­sant ist. Denn Leute lesen kei­ne Zeitungsartikel. Sie lesen, was sie inter­es­siert – und manch­mal ist es ein Zeitungsartikel.

Kafka schrieb ein­mal: «Ein Buch muss die Axt sein für das gefro­re­ne Meer in uns.» Gossages Buch ist so ein Buch.

PS: Da die deut­sche Fassung des „Ist die Werbung noch zu ret­ten“-Buchs ver­grif­fen ist, lässt sich eine Ersatzaxt auch hier fin­den:

  1. Der Artikel zu 40. Todestag von Gossage. Nicht ganz kurz, aber vom Handwerk her der vari­an­ten­reich­ste Artikel, den ich je geschrie­ben habe.
  2. Das auf­wän­di­ge, dicke, präch­ti­ge «Book of Gossage», schwer genug, um damit einen Verlagsbuchhalter zu erschla­gen.
  3. Die schlan­ke, schö­ne, letz­tes Jahr erschie­ne­ne Biographie über Gossage mit dem Titel: «Changing the World is the Only Fit Work for a Grown Man»

.
Dieser Beitag wur­de auto­ma­tisch per RSS auf unse­re Webseite gestellt. Der Originaltext ist über den Tagesanzeiger, dem Blog von Constantin Seibt – http://blog.tagesanzeiger.ch/deadline – zu fin­den.

Einen Text gelesen und der hat gefallen? Spende per TWINT ein paar Franken - ohne Abo, aber mit gutem Gewissen. Geht doch auch.



Newsletter

Unsere Newsletter kommt nicht oft und nur dann, wenn etwas wichtig ist. Sie können sich jederzeit wieder abmelden.




Mit der Nutzung dieses Formulars erklärst Du dich mit der Speicherung und Verarbeitung Deiner Daten durch die Schweizer-Newsletter-Software von «ensuite» einverstanden. (CH-Server)

logo