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Mehr Licht! – Mehr Leuchttürme?

Von Heike Gerling – «Hundert Räume geben mehr Licht als ein Leuchtturm» – unter die­sem Titel wur­den in den ver­gan­ge­nen Monaten Unterschriften für eine Petition gesam­melt, die sich an Bundesrat Alain Berset und an die Mitglieder der Kommission für Wissenschaft, Bildung und Kultur des Stände- und Nationalrates rich­tet.

Ihr Anliegen ist «die finan­zi­el­le und struk­tu­rel­le Unterstützung von selbst-orga­ni­sier­ten Räumen und Strukturen im Bereich der bil­den­den Kunst in der Schweiz». Initianten der Petition sind Charta 2016 und Off Off; unab­hän­gi­ge Kunsträume, Betreiberinnen selbst orga­ni­sier­ter Kunsträume, Kunstschaffende, KuratorInnen und wei­te­re Interessierte, die sich 2012 zusam­men­ge­schlos­sen haben, nach­dem mit dem Inkrafttreten der neu­en Kulturförderungsverordnung die Vergabe der «Preise für inno­va­ti­ve Kunsträume» vom Bundesamt für Kultur ein­ge­stellt wor­den war.

Für klei­ne­re bis mitt­le­re Kulturräume und noma­di­sche Kunstprojekte fällt seit­her auf eid­ge­nös­si­scher Ebene jeg­li­che finan­zi­el­le Unterstützung weg. Private Stiftungen sehen sich infol­ge der Streichung der Preise mit mehr Gesuchen kon­fron­tiert, kön­nen den Verlust aber nicht kom­pen­sie­ren, da auch ihre Mittel begrenzt sind. Kleine und mitt­le­re Kunsträume mit nicht kom­mer­zi­el­ler Ausrichtung sehen sich in ihrer Existenz bedroht. Die Infrastrukturkosten kom­plett aus pri­va­ter Tasche zu finan­zie­ren – ins­be­son­de­re die Miete der Räumlichkeiten –, ohne für die dort gelei­ste­te Arbeit aus­rei­chend ent­löhnt zu wer­den, wird vie­le auf die Dauer über­for­dern. Übrig blei­ben da am Ende nur die­je­ni­gen, die es sich auf­grund pri­vi­le­gier­ter mate­ri­el­ler Voraussetzungen lei­sten kön­nen.

Die Petition ruft die Öffentlichkeit und ihre admi­ni­stra­ti­ven Vertreter, die Politiker, dazu auf, sich mit den Bedingungen der Kulturproduktion, den pre­kä­ren Lebensverhältnissen und Arbeitsbedingungen von Kunstschaffenden, KuratorInnen und KunstraumbetreiberInnen aus­ein­an­der­zu­set­zen, und im Dialog mit den Betroffenen neue Unterstützungsformen zu ent­wickeln.

Dabei geht es um mehr als um Partikularinteressen. Es geht zunächst ein­mal dar­um, dass zur Kenntnis genom­men und aner­kannt wird, wel­che Art von Öffentlichkeit die klei­nen, nicht insti­tu­tio­na­li­sier­ten Kunsträume her­stel­len, bzw. her­ge­stellt haben – und was ver­lo­ren geht, wenn sol­che Räume nicht mehr exi­stie­ren kön­nen:

Die selbst­or­ga­ni­sier­ten, oft kol­la­bo­ra­ti­ven Strukturen unab­hän­gi­ger Kunstorte bie­ten öffent­li­che Freiräume. Es sind Orte, an denen neue künst­le­ri­sche und kura­to­ri­sche Strategien und Formen erprobt, wahr­ge­nom­men und dis­ku­tiert wer­den kön­nen, ohne die Zensur der Gedanken an Marktchancen und kom­mer­zi­el­le Verwertbarkeit. Die klei­nen Kunsträume schaf­fen die Möglichkeit, sich mit ver­schie­den­sten Positionen und Möglichkeiten zeit­ge­nös­si­scher Kunst aus­ein­an­der­zu­set­zen – auch sol­chen, die im eta­blier­ten Kunstbetrieb (noch) wenig bekannt sind.

Solange es vie­le ver­schie­de­ne, dezen­tral orga­ni­sier­te Kunsträume gibt, besteht die Möglichkeit, dass sich unter­schied­li­che künst­le­ri­sche Ansätze ent­wickeln, die der Gesellschaft mehr bie­ten als ver­ein­zel­te Leuchttürme: eine plu­ra­li­sti­sche, dis­kur­si­ve Vielfalt. Auch Diskurs und Vermittlung kön­nen hier neue Formen anneh­men… wäre das nicht eine Chance?
Die kul­tu­rel­le Infrastruktur wür­de ohne die­se Räume ver­ar­men; die Möglichkeiten des sozia­len Austauschs und der Vernetzung, die sie Kunstschaffenden und Kunstinteressierten bie­ten, wür­den feh­len. Es ist im Interesse einer demo­kra­ti­schen Öffentlichkeit, sol­che Orte zu erhal­ten und zu för­dern.

Übrigens ver­fügt die Schweiz seit 2 jah­ren, seit Oktober 2010, über den höchst­ge­le­ge­nen Leuchtturm der Welt: den 10m hohen, ver­klei­ner­ten Nachbau des Leuchtturms «Hoek van Holland», der 70 Jahre lang an der Rheinmündung in Rotterdam stand. Rot-weiss, wie es sich gehört in den Schweizer Landesfarben, steht das Exemplar auf dem Oberalppass auf 2046 m.ü.M…

Ist die­se gebau­te Metapher als Parodie auf eine all­zu for­cier­te Leuchtturmpolitik zu ver­ste­hen? – «Aber nein, es han­delt sich um die rea­li­sier­te Vision einer Touristen-Werbekampagne. Standortwettbewerb eben… Sie ver­ste­hen schon.»

Foto: zVg.
ensuite, Oktober 2013