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Mehr als Beethovens Sekretär

Von François Lilienfeld – Ferdinand Ries (Bonn, 1784 – Frankfurt a/M., 1838), Spross einer bedeu­ten­den Musikerfamilie, ist heu­te, wenn über­haupt, nur noch als Zeuge der Musikgeschichte bekannt. Sein kom­po­si­to­ri­sches Werk wird erst lang­sam wie­der ent­deckt. Er stu­dier­te bei sei­nem Vater Franz Anton Ries Geige und Klavier, dazu Cello bei Bernhard Romberg.

Einer sei­ner Geigen-Mitschüler war Beethoven. Mit ihm soll­te ihn spä­ter eine tie­fe Freundschaft ver­bin­den. Ries war 1801–1805 Beethovens Klavierschüler, Kopist und Sekretär. Aus Furcht vor einer Konskription durch die napo­leo­ni­sche Armee floh er nach Paris. Damit begann ein Reiseleben als Klaviervirtuose, das ihn in London – wo er mit dem aus der Haydn-Biographie bekann­ten Geiger und Impressario Johann Peter Salomon zusam­men­ar­bei­te­te –, aber auch in Kassel, St. Petersburg, Stockholm u. a. bekannt mach­te. Ab 1826 leb­te er in Frankfurt a/M.

Seine Biographischen Notizen über Ludwig van Beethoven und sein umfang­rei­cher Briefwechsel mit dem Komponisten sind unschätz­ba­re Zeugnisse.

Als Komponist gelang Ries das Kunststück, eine sehr star­ke Beeinflussung durch Beethoven (mit gele­gent­li­chen Zitaten!) mit Originalität und star­ken per­sön­li­chen Elementen zu ver­bin­den. Seine Symphonien, Klavierkonzerte und ein rei­cher Strauß an Kammermusik für diver­se­ste Besetzungen, aber auch das Oratorium «Die Könige in Israel», sind unbe­dingt hörens­wert. Dass die­se musi­ka­li­schen Erlebnisse heu­te wie­der mög­lich sind, ver­dan­ken wir ein­mal mehr zwei zu Abenteuern berei­ten CD-Firmen: Die Klavierkonzerte fin­den wir bei Naxos, vie­le ande­re Werke bei cpo.

Und cpo haben wir es auch zu ver­dan­ken, dass end­lich Ries’ Oper «Die Räuberbraut» aus der Vergessenheit geholt wur­de. Auf zwei CDs (cpo 777 655–2) ist sie als Produktion des WDR erschie­nen, in Köln im November 2011 unter der Leitung von Howard Griffiths ein­ge­spielt. Dieser Dirigent hat sich schon län­ge­re Zeit um die Musik von Ries ver­dient gemacht, unter ande­rem mit der Gesamtaufnahme der acht Symphonien.

Das Libretto bie­tet eine typi­sche, roman­ti­sche Räuber- und Liebesgeschichte mit kom­pli­zier­tem Ablauf, Happy End und Hymne an die Freiheit. Sein ursprüng­li­cher Autor, Johann Josef Reiff, stieß beim Komponisten immer mehr auf Widerstand. Georg Döring über­ar­bei­te­te das Libretto dar­auf­hin so grund­le­gend, dass der belei­dig­te Reiff sei­ne Librettofassung spä­ter sepa­rat ver­öf­fent­lich­te!

Ehrlich gesagt: Auch Dörings Libretto ist – sehr mil­de aus­ge­drückt – kein dich­te­ri­sches Meisterwerk, und man kann die Entscheidung der Produzenten, auf den CDs den gespro­che­nen Dialog weg­zu­las­sen, nur begrü­ßen.

Ganz anders die Musik! Dass Ries über gro­ßes Talent für dra­ma­ti­schen Aufbau und Finessen der Instrumentation ver­füg­te, hört man schon in der Ouvertüre, und die drei Akte der Oper bestä­ti­gen es.

Besonders gelun­gen ist die Erkennungsszene im ersten Akt zwi­schen Fernando und Laura, ein­ge­bet­tet in ein dra­ma­ti­sches Geschehen, die miss­lun­ge­ne Verhaftung des Grafen Viterbo.

Einen wei­te­ren Höhepunkt bil­det die groß­ar­tig instru­men­tier­te Einleitung zum zwei­ten Akt (die Bläser!), wel­che direkt in Lauras ergrei­fen­de Romanze über­geht. Das Ende des fol­gen­den Terzetts ist eine deut­li­che Hommage an Fidelio!

Am Anfang des letz­ten Aktes nimmt die Inspiration zeit­wei­lig ab: Das Räuberlied klingt recht künst­lich, und das fol­gen­de Duett Laura/Fernando ent­hält eini­ge Längen. Umso wir­kungs­vol­ler ist das Finale.

Schön, dass die zwei­te CD als Anhang die Ballettmusik mit ihren hin­rei­ßen­den Hornpartien und Rossini-Anklängen ent­hält.

Chor und Orchester las­sen kei­ne Wünsche offen; Howard Griffiths diri­giert dif­fe­ren­ziert und mit Sinn für die Dramaturgie des Werkes.
Auch von den Sängern ist Gutes zu sagen. Jochen Kupfer als Graf Viterbo erin­nert mit sei­nem klang­schö­nen, lyri­schen Bariton an das Timbre von Herrmann Prey. York Felix Speer als Räuberhauptmann Roberto ver­fügt über einen für die­se Rolle idea­len, sehr dunk­len und oft bedroh­li­chen Bass.

Jochen Kupfer (Tenor) mei­stert die äußerst anspruchs­vol­le Rolle von Lauras Geliebtem Fernando mit star­ker Emotionalität, und hat auch die hals­bre­che­ri­schen Koloraturen im zwei­ten Akt – in der Polonaise «Wohl her­be sind der lie­be Schmerzen» – nicht zu fürch­ten. Erfreulich ist, dass die zwei (ver­meint­li­chen) Schwestern, bei­de Soprane, gut aus­ein­an­der­zu­hal­ten sind: Ruth Ziesak als Titelfigur Laura hat eine hel­le, jugend­lich lyri­sche Stimme, die vor allem im Gebet des ersten Aktes ein gro­ßes Ausdrucksspektrum hören lässt. Sie ist auch den gele­gent­li­chen dra­ma­ti­schen Ausbrüchen gewach­sen. Julia Borchert als Gianettina ist etwas dunk­ler tim­briert und ihrer «Schwester» durch­aus eben­bür­tig.

Ferdinand Ries gehört ohne Zweifel zu den Komponisten des 19. Jahrhunderts, deren Musik unbe­dingt öfter auf­ge­führt wer­den soll­te.

Foto: zVg.
ensuite, Juni/Juli 2014