Lokale Kulturpolitik … am Beispiel Dampfzentrale Bern

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Jede Stadt will ein Kulturzentrum für zeit­ge­nös­si­sches Schaffen, oder aber es wird von den Kulturschaffenden und der Bevölkerung gefor­dert. Es klingt gut und gehört zum guten Ton, ähn­lich wie ein Stadttheater. Bei der Finanzierung, den Betriebskonzepten und dem künst­le­ri­schen Programm ent­ste­hen aber Probleme, die struk­tu­rel­ler Art sind. Ein Kulturzentrum ist eben in erster Linie eine kul­tu­rel­le Institution – erst danach kommt die Kunst. Genau das ist die Chance und das Problem. Eine Serie über Kulturpolitik am Beispiel der Berner Dampfzentale, wie wir sie über­all in der Schweiz antref­fen.

Im Frühling 2025 eröff­ne­te die Abteilung Kulturelles der Stadt Bern über­ra­schend, dass der seit vie­len Jahren bestehen­de Leistungsvertrag mit dem Verein Dampfzentrale neu aus­ge­schrie­ben wer­de. Mitte Juni kam die Ausschreibung – Eingabefrist ist Ende September 2025. Alle waren über­rascht – aller­dings besteht die Kritik an der Dampfzentrale seit 2005, also seit genau 20 Jahren unge­bro­chen, und es ist längst an der Zeit, dass etwas geschieht. Das heisst nicht, dass seit 2005 pau­schal alles schlecht war. Aber die Dampfzentrale wur­de 1987 von der Berner Kulturszene besetzt und konn­te nach eini­gem Ringen mit der Stadt und eini­gen Sanierungsarbeiten einen Nutzungsvertrag errei­chen. Zuvor, im Jahr 1981, woll­te man das schö­ne Industriegebäude aus dem Jahr 1904 abreis­sen, es wur­de nur noch als Restmülllager für eini­ge städ­ti­sche «Vintage»-Objekte genutzt.

Die Berner Kulturszene orga­ni­sier­te sich damals. Und wie! Legendär sind die BlueNote-Nights und die DubQuest-Partys, die Berner Tanztage, wel­che dem Haus das inter­na­tio­na­le Renommee ver­lie­hen, Be-Jazz, WIM-Konzerte und die vie­len Veranstaltungen, die das Haus zu einem gross­ar­ti­gen und krea­ti­ven Szenetreffpunkt mach­ten. Es war unbe­strit­ten Berns kul­tu­rel­les Mekka. Zum Teil muss­te der Verkehr gere­gelt wer­den – von über­all aus der Schweiz kamen Menschen hier­her. Im klei­ne­ren Rahmen, aber ganz wich­tig war der Musikkeller, in dem Bänz Oester, Malcolm Braff, Samuel Rohrer, Colin Vallon und ande­re heu­te gros­se Jazzmusiker ihre Anfänge hat­ten und Combos form­ten. Der Restaurantpächter Bruno liess selbst MusikerInnen bis in alle Nacht spie­len … Oftmals konn­te man um 3 Uhr mor­gens noch vor­bei­ge­hen und irgend­was war los in die­ser Dampfere. Am Sonntag ging man zum Brunch hin und ver­lor sich in der Zeit. Doch ab 2005 änder­te sich das: Ich erin­ne­re mich an einen der letz­ten DubQuest-Anlässe, als ich unge­fähr um zwei Uhr mor­gens draus­sen stand und Christian Pauli, damals seit einem hal­ben Jahr zusam­men mit Roger Merguin Co-Leiter der Hauses, hin­zu­kam. Die Dampfere war voll und Pauli mein­te: Wow, das habe er hier noch nie gese­hen. Er hat­te kei­ne Ahnung, was in sei­nem Haus lief. Es war auch eines der letz­ten Male, dass ich so vie­le Menschen da gese­hen hat­te, und ich ken­ne seit­her auch kei­ne KünstlerInnen mehr, die hier gross gewor­den sind und inter­na­tio­nal wahr­ge­nom­men wer­den. In der Schweizer Mediendatenbank sind nur noch spo­ra­di­sche Berichte über das Haus zu fin­den.
Das Duo Pauli-Merguin hielt sich bis 2012, danach kam der Belgier Georg Weinand, der sich als künst­le­ri­scher Leiter und Geschäftsführer über das feh­len­de Publikum ener­vier­te und eine Buslinie for­der­te. Er hat­te eini­ge net­te Ideen und wuss­te von allen am besten, was die­ses Haus braucht – bis man ihn im Jahr 2016 mit sofor­ti­ger Wirkung und «im gegen­sei­ti­gen Einvernehmen» ent­liess. Ich kann mich kaum an etwas erin­nern aus die­ser Zeit. Es gab kei­nen Grund, hin­zu­ge­hen.
Seit da wer­den die Kulturhallen von einem Dreierteam gelei­tet. Auch die­ses muss­te sich schon umstruk­tu­rie­ren – konn­te sich aber bis heu­te hal­ten, bis zu den Vorwürfen, dass in die­sem Haus zu wenig lau­fe, was zu die­ser Ausschreibung des Leistungsvertrages geführt hat. Doch das Leitungsteam ver­tei­digt sich und meint, dass sich mit dem Subventionsgeld nicht mehr rea­li­sie­ren las­se.

Fakt ist, dass die Dampfzentrale eigent­lich seit 2005 als Institution kei­ne gros­se Ausstrahlung mehr hin­be­kom­men hat. Ein paar Event-Peaks, ein paar gros­se Konzerte, eini­ge ein­ge­kauf­te Tanzmomente, aber sonst? Nur in ver­ein­zel­ten Szenen trägt sie noch den stol­zen Namen. Unser Redaktionsbüro ist seit 25 Jahren 200 Meter ent­fernt im benach­bar­ten Firmengebäude unter­ge­bracht, und wir befrag­ten die­sen Sommer ande­re MieterInnen im Haus zur Dampfzentrale – doch sie ken­nen nur das Restaurant. Ein Kulturprogramm? Da war selbst ich über­rascht.

Es ist zu ver­mu­ten, dass die neue Berner Stadtpräsidentin, Marieke Kruit (SP), die seit Januar 2025 wirkt, Mut zeigt und etwas in Bewegung brin­gen will. Ihre Kulturabteilung hat von sich aus in den letz­ten Jahren nicht reagiert, und der vor­he­ri­ge Stadtpräsident Alec von Graffenried glänz­te durch Desinteresse. Ich habe ein Déjà-vu: Der Ursprung des Dampfzentrale-Problems ist auf den ehe­ma­li­gen Kultursekretär Christoph Reichenau zurück­zu­füh­ren, der durch sei­nen Aktivismus die gut funk­tio­nie­ren­de Dampfzentrale-Organisation zer­schlug. Er hat­te Absichten – die­se hät­te man vor­her genau­er ana­ly­sie­ren müs­sen. Auch jetzt wäre erst eine Analyse nötig – doch in aller Eile schreibt Kultur Stadt Bern den Leistungsvertrag ab 2028 aus, ohne die Komplexität zu über­den­ken, die so ein Haus mit sich bringt. Es ist jetzt schon klar: Wenn sich nicht grund­le­gend was ändert, wird sich auch nichts ändern. Im Gegenteil: Durch die Veränderungen des Quartiers, das neue Siedlungskonzept, läuft der Ort Gefahr, pro­vin­zi­ell zu ver­moo­sen. Das betrifft auch unser Bürogebäude neben­an, und wir sind besorgt.

Der Zeitpunkt der Ausschreibung ist drin­gend, denn die Leistungsverträge sind peri­odisch für eine Laufzeit von vier Jahren gül­tig. Für den Neuaufbau einer gan­zen Institution braucht es eine ent­spre­chen­de Vorlaufszeit – wie auch eine Abbauzeit für die bestehen­de Organisation. Der Leistungsvertag wur­de mit dem Verein Berner Dampfzentrale abge­schlos­sen, und die­ser ist jetzt unter Druck: Es kön­nen sich alle juri­sti­schen Personen und Institutionen bewer­ben – lokal, natio­nal, inter­na­tio­nal. Wobei der Bern-Bezug nötig ist – was auch immer das bedeu­ten soll. Wichtig dabei ist: Der neue Leistungsvertrag trennt die heu­ti­gen Vertragsverhältnisse und es ent­steht eine ganz neue Institution. Was nicht klar ist: Wenn der bestehen­de Verein den Zuschlag nicht mehr erhält, was geschieht mit dem Inventar, der Technik, den Daten, dem Netzwerk …? Dazu gibt’s anschei­nend noch kei­nen Plan. Ebenso ist die Sanierung der Dampfzentrale ab 2030/2031 zwar ver­merkt in der Ausschreibung – doch es gibt kein Konzept, kei­ne Ausschreibung für die­se Sanierung, noch wur­de die Finanzierung von irgend­wem bewil­ligt. Die Stadt hat hohen Investitionsbedarf, und eine KI hat mir vor­ge­rech­net, dass Bern bis im Jahr 2035 für Bau und Sanierungen über eine Milliarde benö­tigt.

Ein Trost: Die Dampfzentrale wur­de zu einer Zeit erschaf­fen, als die Usine in Genf, die Kaserne in Basel, die Gessnerallee und auch das Moods in Zürich zu den Leuchtturmprojekten der kul­tu­rel­len Zunft gehör­ten. Alle die­se Institutionen haben in den letz­ten 20 Jahren Veränderungen durch­ge­macht und alle die­se Veränderungen haben mit dem glei­chen struk­tu­rel­len Problem zu tun: «Die Grundlage ist der UNESCO-Kulturbegriff, die Kulturförderung küm­mert sich um die Unterstützung von Recherchen, Produktion und Diffusion des pro­fes­sio­nel­len Kulturschaffens mit dem Ziel, der Bevölkerung ein mög­lichst brei­tes Kulturangebot zur Verfügung zu stel­len», so schrieb mir Marieke Kruit Anfang Jahr per Mail. Doch Kultur und Kunst sind nicht das Gleiche. Gerade die­ser UNESCO-Kulturbegriff grenzt sich gezielt von einem engen, eli­tä­ren Kulturbegriff ab, der Kultur nur mit «hoher» Kunst gleich­setzt. Nur liest das eben nie­mand genau­er: Per die­ser Definition gilt alles, was von Menschen geschaf­fen und wei­ter­ge­ge­ben wird, Gruppenzugehörigkeit stif­tet, als Kultur. Kunst ist «nur» ein Teilbereich davon. Und somit gibt es die­ses «pro­fes­sio­nel­le Kulturschaffen» nicht. Es wird ver­wech­selt mit dem «pro­fes­sio­nel­len Kunstschaffen». Das sind zwei unter­schied­li­che Konzepte: Kunst ist ein Produkt. Kultur ein Zustand.
Die Dampfzentrale war und ist ein Kulturhaus, kein Kunsthaus. Als Kunsthaus ist der Bau recht unge­eig­net. Sobald wir ein künst­le­ri­sches Kuratorium ein­set­zen, und das wur­de ab 2005 hier gemacht, wird nicht mehr inte­griert, son­dern aus­ge­schlos­sen. Ein Kulturhaus lebt von Vielfalt und Breite – und genau das ist bei künst­le­ri­schen Leitungen kaum sinn­voll zu gestal­ten, denn die­se bestim­men, was «Kultur oder Kunst» ist oder eben nicht. Denn es geht dabei auch um ein per­sön­li­ches Renommee, so wie auch die Stadt und die Politik sich mit der Institution prä­sen­tie­ren wol­len. Das heisst: Eine künst­le­ri­sche Leitung schliesst mehr aus, als sie inte­griert.
Und genau an die­sem Fehlkonzept zer­bre­chen alle Institutionen. Es ist ein Systemfehler in der Kulturpolitik. Aus der Kultur- und der Kunstszene ist dabei kaum Kritik oder Widerstand zu erwar­ten, denn die­se sind abhän­gig von die­sem System, wel­ches ihre Projekte finan­ziert.

Kulturpolitik Wir ver­wech­seln immer wie­der, dass wir zwar städ­ti­sche und kan­to­na­le Kulturabteilungen haben, aber dies eigent­lich Kunstförderungsabteilungen sind. Kulturabteilung wäre: Publikum im Fokus. Kunstabteilung ist: KünstlerInnen im Fokus. Ich zitie­re noch­mals die Stadtpräsidentin Kruit: «Wir haben ein tol­les Programm, ein brei­tes Angebot, viel­be­ach­te­te Ausstellungen, tol­le AutorInnen und durch­aus gesell­schafts­re­le­van­te Stücke.» Und wer sind «wir»? Kruit erklärt das Angebot, wel­ches von der Stadt geför­dert wird, aber nicht, für wel­che Bevölkerungsschichten es erschaf­fen wur­de. Kann sie nicht, weil eine sol­che sozio­kul­tu­rel­le Analyse schlicht nie­mand macht. Im haus­ei­ge­nen Kulturkonzept wäre zum Beispiel die Migrationskultur ein Thema – in Realität gibt es das nicht in Bern. Oder eben: Die einst gross­ar­ti­ge akti­ve und pro­fes­sio­nel­le Tanzszene von Bern im einst gross­ar­ti­gen Tanzhaus Dampfzentrale wur­de durch die Definition, wie Tanz aus­zu­se­hen hat («avant­gar­di­stisch»), zer­schla­gen und zer­stört.

Kulturthese: Es ist wich­ti­ger, was VOR der Bühne spielt, als was AUF der Bühne pas­siert. Ich höre den Aufschrei, doch eine kur­ze Erklärung dazu: Sicher ist das Programm mit­ent­schei­dend, ob man irgend­wo hin­geht. Doch wich­ti­ger ist, ob man die Leute kennt, die man dort antref­fen wird. Man möch­te sich aus­tau­schen über das Gesehene oder Gehörte. Und das geht nun mal ein­fa­cher, wenn man mit Bekannten spricht. Gehen Sie, lie­be LeserInnen, mal an eine Kunstvernissage. Wenn Sie nicht selbst KünstlerIn sind oder zu einer Kunstszene gehö­ren, dann ste­hen Sie mit Ihrem Apéroglas immer etwas abseits. Das kann unan­ge­nehm wer­den – irgend­wann wer­den Sie es mei­den, weil Sie nicht dazu­ge­hö­ren. Wenn Kulturprogramme ein­sam machen, haben wir das Ziel ver­fehlt. Wenn sich nur noch Bubble-Gruppen in Kulturinstitutionen zu Hause füh­len, dann läuft was falsch.

Anderes Beispiel: Werfen wir ein paar KünstlerInnen in ein Kulturhaus, ent­steht irgend­et­was. Sie wer­den aktiv, kre­ieren etwas mit Material, den Räumen, der Umgebung, dem Ort. Das kann durch­aus aus­ar­ten. Das Publikum wird gefor­dert und kann reagie­ren. Werfen wir aber KuratorInnen in ein Kulturhaus, so las­sen die­se etwas dar­stel­len. Das ist füh­ren­der Wille – die künst­le­ri­sche Leitung will etwas zei­gen. Das ist indi­rekt. Der Bezug zum Ort ist damit aber nicht mehr gege­ben, die Produktion kann irgend­wo erschaf­fen wor­den sein und auch irgend­wo gezeigt wer­den. Es wird reprä­sen­ta­tiv und unter­hal­tend. Beim ersten Beispiel ist das Publikum ein Teil des Geschehens und beim zwei­ten ist es nur noch Empfängerin.

Kontrolle und Führung der Kreativität sind das Problem. Definitionen schlies­sen immer etwas aus. Wenn die Dampfzentrale ein Tanz- und Musikhaus sein soll, dann schliesst sie bil­den­de Kunst aus. Warum? Und von wel­chem Tanz reden wir? Von wel­cher Musik? Wenn wir die Definition mit dem im bis­he­ri­gen Leistungsauftrag genann­ten Begriff Avantgarde ver­knüp­fen, dann wird ganz viel zeit­ge­nös­si­sches Schaffen weg­fal­len. Zudem kön­nen wir dar­über strei­ten, ob wir jetzt in einem Kulturhaus ein brei­tes Publikumsprogramm anbie­ten oder ob wir ein Kunsthaus haben wol­len, wel­ches per Definition nur noch eine sehr klei­ne Gruppe anspricht. Die Ausschreibung des neu­en Leistungsvertrags ist da nicht so klar.

Und in die­ser gan­zen Diskussion kom­men noch die stadt­ei­ge­nen Definitionen dazu: sozia­le Sicherheit für Kunstschaffende, kor­rek­te Abrechnungen, pro­fes­sio­nel­le Arbeitsumgebung etc. Die Komplexität die­ser Ausschreibung ist rie­sig. Und alle Kulturabteilungen in der Schweiz und anders­wo kämp­fen damit – aber unter Ausschluss der Bevölkerung, für die ent­schie­den wür­de.

Das war der erste Teil die­ser Serie um die Thematik der Ausschreibung des Leistungsauftrages der Dampfzentrale. Wir beglei­ten den Prozess die­ser Ausschreibung in den näch­sten Ausgaben, erklä­ren die Komplexität der Sache. Es geht um viel Geld, das je nach Betrachtung sinn­voll oder unsin­nig aus­ge­ge­ben wird. Um das zu ver­ste­hen, muss man mehr wis­sen. Wir ver­su­chen im ensuite, die­se Komplexität etwas trans­pa­ren­ter zu machen.

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