LESEZEIT

Von

|

Drucken Drucken

Von Gabriele Wild – «Alles was man schrift­lich ins Publikum bringt gleicht einer Arznei die man Jemandem ein­gie­bt: bis­wei­len wirkt sie gleich, bis­wei­len gar nicht, geht ab ohne Wirkung, bis­wei­len wirkt sie sehr spät, und zeigt bis­wei­len ihre Wirkung an Theilen wo man es nicht ver­mu­the­te und auf eine Art an die man nicht dach­te.»

Der jun­ge stür­mi­sche Schopenhauer, Doktor der Philosophie, hat­te sich für sei­ne Lehre eine schnel­le­re Wirkung erhofft. Einschlagen woll­te er wie ein Kugelblitz in der Philosophenwelt. Doch sein Werk «Die Welt als Wille und Vorstellung» erscheint mit Verspätung. Schopenhauer sieht sich von dem Verleger Arnold Brockhaus über den Tisch gezo­gen. Dieser ver­dient sein Geld schliess­lich mit dem Lexikon, natür­lich geht es mit Vorrang in Druck. Zwar hält auch Brockhaus Schopenhauer für einen inter­es­san­ten Kopf – dem Dreigestirn der zeit­ge­nös­si­schen Philosophie Hegel, Fichte, Schelling steht nichts ent­ge­gen, nie­mand, der die Grossen her­aus­for­dert – doch die Befürchtung, mit dem obsku­ren phi­lo­so­phi­schen Werk bloss Makulatur zu drucken, erhär­tet sich. Schopenhauer muss ohne Exemplar sei­nes Buches nach Venedig rei­sen, ein­zig mit einer Empfehlungskarte des ein­fluss­rei­chen Goethe. Schon auf der Reise fällt er der Metternich’schen Geheimpolizei auf. Goethes Empfehlungskarte macht ihn ver­däch­tig, eben­so sein pro­vo­zie­ren­der Einsatz für ein geschun­de­nes Tier.

Christoph Poschenrieder fabu­liert süf­fig leicht, erfin­det glaub­wür­dig, und kon­stru­iert geschickt eine Geschichte um Schopenhauers Italienreise im Jahre 1918, kurz bevor sein Hauptwerk erscheint. Poschenrieder spielt in sei­nem Romandebüt auf eine Handvoll histo­ri­scher Gegebenheiten an, die nicht unbe­dingt etwas mit­ein­an­der zu tun haben. So in etwa die Sachverhalte, dass Schopenhauer von Goethe eine Empfehlungskarte erhielt, an wen ist aller­dings unge­wiss, oder, dass um 1918 Lord Byron seit eini­ger Zeit in Venedig leb­te, dass Schopenhauer eine Geliebte namens Teresa hat­te, dass Byron eben­falls eine Geliebte namens Teresa hat­te. Poschenrieder ver­knüpft die Fakten span­nungs­voll, in dem er Schopenhauer von Goethe bei Byron emp­feh­len, und des Philosophen Teresa und des Dichters Teresa als ein und die­sel­be Person auf­tre­ten lässt. Schopenhauer war­tet auf den idea­len Augenblick, bei Byron vor­zu­spre­chen. Er ver­passt den Moment. Sei es, weil Teresa ihm den Kopf ver­dreht – der Engelskopf küsst nicht nur wie eine dia­vol­es­sa, son­dern gibt mit ihrer ein­fa­chen, ehr­li­chen Art bes­se­re Konter als ein Hegelianer – sei es, weil sei­ne Geliebte auf einem Spaziergang in gros­se Erregung gerät, als Lord Byron vor­bei­ga­lop­piert. Schopenhauer will nicht mit «Hörnern» daste­hen. Schliesslich aber geht Abraham Ludwig Muhl, der Vermögensverwalter der Familie Schopenhauer, Konkurs. Schopenhauers finan­zi­el­le Grundlage, auf der sei­ne phi­lo­so­phi­sche Freiheit fusst, schwin­det. Das hät­te das Ende eines Lebens bedeu­ten könen, das noch nicht ein­mal rich­tig begon­nen hat. «Man kann Philosoph sein, ohne des­halb ein Narr zu sein, Muhl», schreibt Schopenhauer, «der, wel­chen Sie vor sich haben, ist ein Kaufmann noch dazu. Sie wer­den ver­ste­hen, dass ich mir nicht neh­men las­se, was mit dem gröss­ten und unbe­strit­te­nen Recht mein ist und wor­auf mein gan­zes Glück, mei­ne Freiheit, mei­ne gelehr­te Musse beru­hen, ein Gut, das auf die­ser Welt Meinesgleichen so sel­ten zuteil wird, dass es gewis­sen­los und schwach wäre, es nicht auf das Äusserste zu ver­tei­di­gen und mit aller Gewalt fest­zu­hal­ten…». Schopenhauer sieht sich gezwun­gen, Venedig zu ver­las­sen.

Kaum jemand kauf­te «Die Welt als Wille und Vorstellung». Noch weni­ger lasen es. Nach ein paar Jahren liess Friedrich Arnrold Brockhaus den aller­gröss­ten Teil der Auflage ein­stamp­fen – maku­lie­ren.

Christoph Poschenrieder, Die Welt ist im Kopf, Roman Diogenes 2010.

Foto: zVg.
ensuite, September 2010

Einen Text gelesen und der hat gefallen? Spende per TWINT ein paar Franken - ohne Abo, aber mit gutem Gewissen. Geht doch auch.



Newsletter

Unsere Newsletter kommt nicht oft und nur dann, wenn etwas wichtig ist. Sie können sich jederzeit wieder abmelden.




Mit der Nutzung dieses Formulars erklärst Du dich mit der Speicherung und Verarbeitung Deiner Daten durch die Schweizer-Newsletter-Software von «ensuite» einverstanden. (CH-Server)

logo