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L’écume des jours

Von Sandro Wiedmer – Michel Gondry hat «L’écume des jours», den Kult-Roman von Boris Vian (1920–1959) aus dem Jahr 1946 ver­filmt. Zwei Meister der unge­zü­gel­ten Phantasie, ver­ei­nigt in einem Werk – da kann doch eigent­lich nichts schief gehen: das wird mit Sicherheit schräg her­aus­kom­men.

Boris Vian war Ingenieur, Chansonnier, Journalist, Jazz-Trompeter, Schriftsteller, Erfinder, Schauspieler – ein Mann mit vie­len Talenten. Dass sei­nem in den 60er und 70er-Jahren zum Kult erho­be­nen Roman «L’écume des jours» zur Zeit sei­nes Erscheinens (1947), trotz der Unterstützung von Jean-Paul Sartre und Raymond Queneau, kein gros­ser Nachhall zuteil wur­de, beweist wohl vor allem, dass er sei­ner Zeit weit vor­aus war: Die zart-bit­te­re Liebesgeschichte zwi­schen Colin und Chloé, vol­ler Tragik und Melancholie, jedoch erzählt in leich­tem Ton, durch­setzt mit dem Rhythmus des Jazz und zahl­lo­sen bizar­ren Einfällen, die ihn in die Tradition des Surrealismus stel­len, kam erst in den Jahren des Aufbruchs, der Revolten der 68er-Generation zu Ehren.

Dass der Roman mitt­ler­wei­le zum Allgemeingut gewor­den ist, zur Schullektüre in fran­ko­pho­nen Ländern, mag Gondry vor eini­ge Probleme gestellt haben: Die in Worte geklei­de­ten Vorstellungen regen die Lesenden an, sich ihre eige­nen Bilder des Beschriebenen zu machen. Diese real fest­zu­hal­ten in einer Weise, dass sie gleich­zei­tig die mit dem Buch Vertrauten wie ein unvor­be­rei­te­tes Film-Publikum zu fes­seln ver­mö­gen, ist eine gros­se Herausforderung. Um so mehr, als die Verfremdungs-Effekte in der Schreibe zum einen aus Wortspielereien bestehen, zum ande­ren Teil auch aus vor­bei­flie­gen­den Imaginationen, etwa einer rosa­ro­ten Wolke, wel­che die Verliebten beim Ausflug zu den sehens­wür­di­gen Orten von Paris beglei­tend umhüllt, oder einem künst­li­chen Eisfeld voll mit Schlittschuhlaufenden, wel­ches beim Eintreffen einer schlech­ten Nachricht für den Protagonisten schlicht aus­ein­an­der­bricht.

Der Regisseur, des­sen Ruhm unter ande­rem auf unzäh­li­gen Video-Clips im musi­ka­li­schen Bereich beruht (zum Beispiel für Björk, White Stripes, Massive Attack, Beck, Rolling Stones, Chemical Brothers, Radiohead etc.), ein akri­bi­scher Analog-Bastler, ist ohne Zweifel hei­misch in der Bilderwelt des Romans, fin­det aber auch sei­ne eige­nen Umsetzungen zur Illustration der Geschichte des Jazz-Liebhabers, wel­cher Duke Ellington ver­ehr­te und Teil des Kreises um Jean-Paul Sartre war, der Initiation des Existentialismus – der in der Figur des Jean-Sol Partre eine nicht unwich­ti­ge Rolle in Buch und Film ein­nimmt. Seine Interpretation ist jedoch auch nicht frei von aktu­el­len Bezügen, Verweisen auf sei­ne Zeit. Da ist zum Beispiel das gran­dio­se Intro in einem Grossraum-Büro, in wel­chem am Roman geschrie­ben wird: Menschen hin­ter Schreibmaschinen auf Fliessbändern, wel­che einen Satz ein­tip­pen wäh­rend das Band wei­ter­läuft und sie auf der näch­sten Maschine einen neu­en Satz ein­ge­ben. Am Ende der Kette wer­den die Seiten gesam­melt, illu­striert, als Buch gedruckt und gebun­den.

Einziges Problem des Films könn­te sein, dass er, wie auch das Buch, rand­voll ist mit skur­ri­len, zum gros­sen Teil fast wört­lich aus der schrift­li­chen Vorlage über­nom­me­nen Einfällen, auf Gondrys ver­spiel­te Art ange­rei­chert mit Anachronismen wie dem Magic Cube als Orakel etwa, oder der rie­si­gen Baugrube um Les Halles als Sehenswürdigkeit von Paris. Oft kommt fast das Gefühl auf, als müs­se das hoch­ka­rä­ti­ge Ensemble der Darstellenden, allen vor­an Romain Duris, Audrey Tautou, Gad Elmaleh und Omar Sy, gegen die üppi­gen Dekors regel­recht anspie­len – ohne dass sie, die Menschen, jedoch in der Konkurrenz den Kürzeren zie­hen wür­den. Allenfalls kann das Bedürfnis ent­ste­hen den Film mehr­mals anzu­se­hen, um sich kein Detail ent­ge­hen zu las­sen.

Vian hat ein­mal gesagt, dass er nicht ger­ne Sachen lese, die er bereits ken­ne – dass er, was er ger­ne lesen wür­de, sel­ber schrei­ben müs­se, ent­täu­sche ihn ein wenig: Gerne hät­te er das Schreiben sei­ner bevor­zug­ten Lektüre ande­ren Leuten über­las­sen. Mag sein, dass er sich beim Sehen die­ser Verfilmung sei­nes Romans glän­zend unter­hal­ten hät­te.

«L’écume des jours», Frankreich/Belgien 2013, Regie: Michel Gondry, 94 Min.

Foto: zVg.
ensuite, Oktober 2013