Lautlose Explosionen

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By Carmen Beyer

«Hohle Worte, hoh­le Menschen», sin­niert Iwanow am Beginn. Es ist eine Klage, die auf den Punkt zu brin­gen scheint, wie es in den Augen von Amir Reza Koohestani und sei­ner Mehr Theatre Group um die ira­ni­sche Gesellschaft steht. Sie blicken mit ihrer Adaption von Anton Tschechows Milieustudie «Iwanow» auf die ira­ni­sche Seele und stel­len die­ser ein düste­res Zeugnis aus.

Lähmung auf der Bühne

Doch dafür braucht der Zuschauer Geduld, denn die zwei­ein­halb­stün­di­ge Inszenierung ist geprägt von einer ruhi­gen, fast sta­ti­schen Atmosphäre. Das Bühnenbild ist mini­ma­li­stisch gehal­ten und kommt ohne gros­sen insze­na­to­ri­schen Schnickschnack aus. Stattdessen bil­det den Bühnenmittelpunkt eine meter­lan­ge Couch, die erst im zwei­ten Teil des Abends durch ein ähn­lich aus­la­den­des Doppelbett getauscht wird. Darauf lun­gert Iwanow, der nicht min­der trä­ge Protagonist: Nachlässig beklei­det, ver­wu­schel­tes Haar und mit der gleich­gül­ti­gen Bewegungsfreude eines Faultiers auf Beruhigungsmitteln, lauscht er in sei­nen Kopfhörer bestän­dig auf ein Englischlernprogramm, das Ausdruck einer stil­len Hoffnung auf Flucht ist, zu der es aber nie kom­men wird.

Nein, dies ist kein Held, der gegen sei­ne Geldnot, die ver­dor­be­nen Kräfte in sei­ner Umgebung oder gar gesell­schaft­li­che Missstände tap­fer ankämp­fen könn­te. Vielmehr scheint er allem lethar­gisch aus­ge­lie­fert: Seine Frau unheil­bar an Krebs erkrankt, Schulden bei den eben­so rei­chen wie unbarm­her­zi­gen Gläubigern, die Zuneigung der jun­gen Sascha zu ihm, die er jedoch nicht erwi­dern kann oder will. Stattdessen hadert er still mit sei­nem Schicksal, bis er dar­an zer­bricht. Allerdings nicht mit einer gros­sen Explosion, die etwas bewir­ken könn­te, son­dern als lau­es Windchen, das nicht ein­mal Mitleid ins Publikum weht.

Überflüssige Menschen statt Helden

Es ist die­se gelähm­te Verzweiflung, die den ira­ni­schen Regisseur beson­ders reiz­te, das rus­si­sche Drama von 1889 zu insze­nie­ren. Wie Tschechow zeigt auch er ‹über­flüs­si­ge Menschen› (syn­onym für ‹Iwanows›). Helden gibt es kei­ne in sei­nem Stück. Seine Figuren fol­gen nur ihren eige­nen Überlebensstrategien, manö­vrie­ren irgend­wie durch die auf­er­leg­ten Gesetze, um sich dabei immer mehr in ihnen zu ver­hän­gen. Es sind Angehörige einer Gesellschaftsklasse, die äus­ser­lich den Schein wahrt, auf kor­rek­tes Äusseres setzt, aber mora­lisch ver­rot­tet erscheint, wenn sie lästernd Fleischspiesse auf dem Bett einer Sterbenden her­rich­ten oder sich igno­rant wei­gern Iwanow aus sei­ner finan­zi­el­len Schieflage zu hel­fen.

Zensiert und doch gehört?

In sei­ner Adaption des rus­si­schen Klassikers ver­steht es Koohestani, zum Teil geschickt ver­steckt, die Probleme des heu­ti­gen Irans abzu­bil­den: Jugendabwanderung, wirt­schaft­li­cher Missstand, andau­ern­de Isolation des Landes, man­geln­de Meinungsfreiheit. Um das zum Ausdruck zu brin­gen, ver­setz­te er das Stück in den heu­ti­gen Iran, redu­zier­te die Dialoge auf ihre wich­tig­sten Aussagen und über­setz­te sie in Umgangssprache. Er folgt damit ande­ren Theatermachern im zen­sur­be­stimm­ten Iran, die sich auf der Suche nach neu­en nar­ra­ti­ven Strategien häu­fig Klassikeradaptionen bedie­nen, um auch aus­ser­halb der Underground und Off-Theaterszene agie­ren zu kön­nen.

Doch das Stück klagt nicht nur an, son­dern zeigt vor­sich­tig und lei­se – wie es die gesam­te Inszenierung ist – auch einen Ausweg, wenn Sascha, die jüng­ste und ein­zig eman­zi­pier­te Figur zu Iwanow spricht: «Du kom­mu­ni­zierst dich nicht, teilst dich nicht mit […]. Schlucke es nicht ein­fach her­un­ter. Handle!». Das Stück weckt die Hoffnung gehört zu wer­den in sei­nen laut­lo­sen Explosionen und viel­leicht Widerhall zu pro­du­zie­ren, der aus der Lähmung erwa­chen lässt. Dafür lohnt sich die Geduld.

: http://www.kulturkritik.ch/2014/theaterspektal-amir-reza-koohestani-mehr-theatre-group-iwanow/

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