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La Jaula de Oro

Von Sonja Wenger – Es wird nicht viel gespro­chen im mexi­ka­ni­schen Film «La Jaula de Oro», was soviel wie Goldener Käfig bedeu­tet, und in dem das Publikum vier Teenager aus Guatemala auf ihrer gefähr­li­chen Reise in Richtung USA beglei­tet. Was soll­te auch viel gespro­chen wer­den ange­sichts der über­wäl­ti­gen­den Armut und läh­men­den Perspektivenlosigkeit, die die Menschen Zentralamerikas schüt­telt, und die jähr­lich Hunderttausende ver­treibt, die sich im neu­en gelob­ten Land ein bes­se­res Leben erhof­fen.

Dass die­se Männer, Frauen und Kinder auf die­ser Reise oft genug aus­ge­raubt, ver­ge­wal­tigt, miss­han­delt oder erpresst wer­den, man­che gar ihr Leben ver­lie­ren, ist längst bekannt, und schon in vie­len Reportagen, Dokumentationen und Filmen erzählt wor­den. Ein Vergleich mit dem mexi­ka­nisch-ame­ri­ka­ni­schen Film «Sin nombre» von 2009 ist nahe­lie­gend. Menschenrechtsorganisationen beschäf­ti­gen sich den Folgen der Migrationsströme durch ganz Zentralamerika. Gemeinnützige Einrichtungen und die Kirche ver­su­chen, das Leid der Betroffenen etwas zu lin­dern. Und den­noch ändert sich nichts. Für jene mit Waffen und genug Skrupellosigkeit sind die Migranten ein lukra­ti­ves Geschäft; und jene mit der poli­ti­schen Macht, etwas zu ändern, haben dar­an kein Interesse.

So reibt man sich wei­ter die Augen ob der Zahlen, obwohl es dazu kaum ver­läss­li­che gibt. Laut der US-Grenzwache wur­den zwi­schen 2011 und 2012 allein 365’000 ille­ga­le MigrantInnen auf­ge­grif­fen. Die genaue Zahl jener, die es über die Grenze schaf­fen oder die unter­wegs umkom­men, bleibt unbe­kannt. Dass hin­ter die­sen Zahlen eine Unzahl mensch­li­cher Schicksale ste­hen, zeigt «La Jaula de Oro» ein­drück­lich. Denn der Spielfilm ist weni­ger Fiktion denn Dokumentation. Er zeich­net mehr auf, als dass er erzählt. Und trotz sei­nes Fokus auf drei Einzelschicksale ist «La Jaula de Oro» eine Allegorie auf die Migration an sich.

So bezieht der Film sei­ne Stärke unter ande­rem dar­aus, dass bis auf die Hauptdarsteller fast sämt­li­che ande­ren Mitwirkenden ech­te Migranten sind, die vom Filmteam wäh­rend ihrer Reise auf den rea­len Güterzügen und Zuckerrohrfarmen und in den Herbergen ange­spro­chen wur­den. – Dass Regisseur und Ko-Drehbuchautor Diego Quemada-Díez über­dies teil­wei­se bru­tal mit sei­nen Protagonisten Sara (Karen Martínez), die sich als Junge ver­klei­det und Osvaldo nennt, ihrem Freund Juan (Brandon Lopez) und dem Indio-Jungen Chauk (Rodolfo Domínguez) umgeht, ver­stärkt die Authentizität des Filmes enorm. Denn nur weil sie fast noch Kinder sind, nimmt kaum jemand auf sie Rücksicht.

Das macht den Film über wei­te Strecken schwer ver­dau­lich, beson­ders wenn am Ende der lan­gen Reise vol­ler Entbehrungen und Verluste in Los Angeles nicht mehr als ein übler Job am unter­sten Ende der Hackordnung übrig bleibt. Dennoch ist nicht alles düster in «La Jaula de Oro». Wenn die jun­gen Menschen zwi­schen­durch Arbeit fin­den um die Weiterreise zu finan­zie­ren, wenn sie sich zusam­men­rau­fen und es doch mal etwas zu Essen oder etwas Solidarität von ande­ren gibt, und sie es wagen, ihre Träume zu träu­men, dann ver­fügt der Film auch über leich­te­re Momente. Und macht einem bewusst, dass der all­zu oft zitier­te Spruch, dass «die­se Menschen nichts zu ver­lie­ren haben», nicht stimmt. Dass dies ein wich­ti­ges Element ist, zeigt der heim­li­che Siegeszug von «La Jaula de Oro», der seit eini­gen Monaten auf den renom­mier­te­sten Filmfestivals der Welt einen Preis nach der ande­ren ein­heimst. So wur­de er nicht nur in Cannes als bester Film in der Kategorie «Un cer­tain regard» aus­ge­zeich­net, son­dern war auch für den spa­ni­schen Goya nomi­niert, und erhielt das «Goldene Auge» des dies­jäh­ri­gen Zurich Filmfestivals für den Besten Film im Internationalen Spielfilmwettbewerb.

«La Jaula de Oro», Mexiko/Spanien 2013. Regie: Diego Quemada-Díez. Länge: 109 Minuten. Ab dem 12. Dezember 2013 in Deutschschweizer Kinos.

Foto: zVg.
ensuite, Dezember 2013