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Kulturpresseschau: Der Kritiker zwi­schen Künstler und Leser

Die Sprache der Kunstwelt klin­ge oft wie schlecht über­setz­tes Französisch, meint Chelsea Haines in ihrem Essay «Between You And Me» im «Guernica»-Magazin. Der Befund über die eng­lisch­spra­chi­ge Reflexion über Kunst (ein­schliess­lich Journalismus) wur­de auch schon für den deutsch­spra­chi­gen Diskurs gestellt, wie in der Kulturpresseschau vom Juni erwähnt. So wer­de die Kunst oft in wol­ki­ge Phrasen gehüllt, eine Beschreibung und erst recht eine Kritik wer­de unmög­lich. Derart schwer wäre es aber gar nicht, meint Baines: «Wir soll­ten genaue Fragen dar­über stel­len, was wir sehen, anstatt uns in vor­ge­fer­ti­gen Phrasen zu ver­lie­ren.»

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Welchen Einfluss hat die digi­ta­le Sphäre auf die Kritik und ihre Sprache? Diese Frage, bezo­gen auf Twitter, stell­te die New York Times zwei Literaturkritikern. Adam Kirsch nimmt die kon­ser­va­ti­ve Position ein: Er sieht durch­aus Positives im Kurznachrichtendienst, meint aber auch, dass 140 Zeichen zu knapp sind, um eine rich­ti­ge Rezension zu erset­zen. Anna Holmes dage­gen gibt sich pro­gres­siv und erfreut dar­über, dass unter den auf Twitter ver­tre­te­nen RezensentInnen unge­wöhn­lich vie­le Frauen sind. Sie for­dert von allen Literaturkritikern Offenheit gegen­über neu­en Technologien.

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Das Verhältnis von Kritikern und Künstlern – und auch deren Managern und Promotern – ist nicht immer ganz ein­fach, wie Christian Jungen in der «NZZ am Sonntag» am Beispiel der Filmszene aus­führt. Weil immer mehr Schweizer Filme pro­du­ziert wür­den, die Filmjournalisten aber immer weni­ger Zeit und Platz hät­ten, kom­me es zu Spannungen. Filmkritik wer­de den Werken oft nicht gerecht, wird Regisseurin Bettina Oberli zitiert. Kritiker sei­en natür­lich fehl­bar, aber die Ansprüche der Filmschaffenden sei­en ange­sichts der Umstände schlicht ver­mes­sen, hält Jungen dage­gen. Gar eine «Kriminalisierung der Kritiker» wit­tert Alex Bänninger im «Journal 21»: Wer an Pressevisionierungen teil­neh­me, müs­se sich an Sperrfristen hal­ten und Verträge unter­zeich­nen, die bei Zuwiderhandlung mit dra­ko­ni­schen Strafen dro­hen.

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Doch die Kritiker sind ja eigent­lich mehr der ande­ren Seite ver­pflich­tet, näm­lich den Lesern. Hier ver­brei­te­re sich der Graben, resü­miert Adam Critchley in «Publishing Perspective» eine Podiumsdiskussion; die Kritik drif­te immer mehr weg von den Lesern. Das Hauptproblem lie­ge in der über­aka­de­mi­sier­ten Sprache, wie Critchley den Schriftsteller Eliot Weinberger zitiert: «Literaturkritiker schrei­ben heu­te so spe­zia­li­siert wie Nuklearphysiker.»

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Übernimmt bald der Algorithmus, folgt die Kritik nur noch dem Empfehlungsmuster von Amazon & Co.? Popkritik wer­de weg­de­mo­kra­ti­siert, meint Klaus Walter in der «WOZ»-Musikbeilage, ihre «Päpste» ver­schwin­den lang­sam, der Mainstream wer­de immer domi­nie­ren­der. In der Pflicht sieht er die öffent­lich-recht­li­chen Sender. Eine ähn­li­che Diagnose stellt in den glei­chen Seiten Altmeister Hanspeter Künzler: «Der Verlust an Tiefgang und die feh­len­de Artenvielfalt im Schweizer Musikjournalismus sind besorg­nis­er­re­gend und scha­den MusikerInnen und KonsumentInnen. Es wird für alle immer schwie­ri­ger, Musik zu ent­decken, die abseits der Modeströmungen oder aus­ser­halb des Wirkungskreises zah­len­der InserentInnen liegt.»

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In der Praxis haben Algorithmen in der Kulturkritik, zumal der auf die­sem Kanal prak­ti­zier­ten, glück­li­cher­wei­se noch nichts ver­lo­ren. Dass dies so bleibt, dafür kön­nen auch Leser etwas tun, um mit etwas Werbung in eige­ner Sache abzu­schlies­sen: Unterstützen Sie Kulturkritik.ch via Wemakeit.ch, bei­spiels­wei­se durch die Übernahme einer Rezensions-Patenschaft. (Und wer noch ein Weihnachtsgeschenk für kul­tur­in­ter­es­sier­te Postmaterialisten sucht: Wer bis heu­te 23.12. 18.00 Uhr eine ent­spre­chen­de Unterstützung über­nimmt, in der Stadt Zürich wohnt und uns dar­über hin­aus ein kur­zes Mail mit der Adresse an foerderverein@kulturkritik.ch schickt, dem lie­fern wir das exklu­si­ve Moleskine-Notizbuch mit Prägedruck mor­gen 24.12. auch noch frei Haus!).

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