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Kulturberichterstattung zwei­ter Ordnung

Wie funk­tio­niert die Bündelung kul­tur­jour­na­li­sti­scher Angebote auf dem Netz? Die Beispiele der Pioniere «Perlentaucher» und «Artsjournal» zei­gen: Hinter der klei­nen fei­nen Presseschau lau­ert die alles fres­sen­de Suchmaschine.

Kulturveranstalter haben heu­te Mühe, öffent­lich wahr­ge­nom­men zu wer­den. Ein Grund dafür ist: Auch Medien, die über Kultur berich­ten, haben heu­te Mühe, öffent­lich wahr­ge­nom­men zu wer­den. Solchen Medien ist gemein­sam, dass sie aus­wäh­len müs­sen, und dass sie als ein­zel­ne wahr­ge­nom­men wer­den wol­len. Der Bedarf der Bündelung und das Bedürfnis nach Übersicht kommt so zu kurz. Im deutsch­spra­chi­gen Kulturjournalismus lei­stet ihn nur ein Anbieter: Der Perlentaucher.

Die Feuilleton-Rundschau

«Wir haben die Feuilleton-Rundschau erfun­den, indem wir jeden Morgen um 9 Uhr sag­ten, was in der Zeitung steht.» So fasst Thierry Chervel, der 1999 Mitgründer war, im Berliner Redaktionsbüro zusam­men, was perlentaucher.de bis heu­te lei­stet: Berichterstattung über die Kulturberichterstattung. Ein Kernteil des Angebotes ist die seit rund zehn Jahren bei­na­he lücken­lo­sen Übersicht über die Feuilleton-Buchbesprechungen in den über­re­gio­na­len Feuilletons. Was erstens erklä­ren hilft, war­um repu­tier­te Buchverlage auf Perlentaucher wer­ben. Und zwei­tens, war­um die Frage, was ein geset­zes­kon­for­mes ver­öf­fent­lich­tes Resümee einer Rezension ist, seit sechs Jahren zwi­schen dem Perlentaucher und zwei über­re­gio­na­len Tageszeitungen vor dem Richter aus­ge­foch­ten wird. Weitere Anzeichen der Wahrnehmung und des Erfolges sind: zwei Grimme-Preise und monat­lich 310’000 uni­que cli­ents.
Ähnliche Kennzahlen weist artsjournal.com auf, eine Website, die auf den ersten Blick wie ein Zwilling von Perlentaucher daher­kommt: Gegründet im glei­chen Jahr und nach aus­sen reprä­sen­tiert von einer prä­gen­den Figur mit Printvergangenheit (Doug McLennan), sich­tet das im Nordwesten der USA behei­ma­te­te Artsjournal mit besten­falls einer Handvoll bezahl­ter Stellen regel­mäs­sig die Kulturteile von rund 200 Medien. Der wich­tig­ste Unterschied nebst der sprach­be­ding­ten Reichweite: McLennan bin­det Nutzer und stei­gert Werbeeinnahmen dadurch, dass er eine Anzahl Blog-Schreiber auf sei­ner Website ver­sam­melt, die in ihren Szenen gut ver­netzt sind.

Das Problem der Grösse

Das Internet hat dem Perlentaucher und Artsjournal nicht nur neue Räume geöff­net, es setzt ihnen in Sachen Finanzierbarkeit auch har­te Grenzen. Thierry Chervel: «Die Existenz ist immer pre­kär, das kann man nicht anders sagen.» Doug McLennan, wenn auch in der Tonart trot­zi­ger, spricht von der glei­chen Problematik: «Historisch trifft es zu, dass, wenn Sie ein Publikum für Ihren Inhalt gene­rie­ren konn­ten, die­ser Inhalt auch finan­zier­bar war. Ich wei­ge­re mich zu glau­ben, dass die Gesetze der mensch­li­chen Natur wegen des Internet nicht mehr gel­ten sol­len.»
Was McLennan wohl sieht, aber so nicht sagen mag: Im Internet kom­men die «Gesetze der mensch­li­chen Natur» ein­fach anders zur Geltung als im klas­si­schen System des Konsums von Kultur und Kulturmedien. Perlentaucher und Artsjournal sind unschlag­bar als Onlinemedien zwei­ter Ordnung mit einer redak­tio­nel­len Leistung, die auf weni­gen lesen­den und den­ken­den Köpfen beruht. Als Geschäftsmodelle haben sie das glei­che Problem wie die an den Rand gedräng­ten Kulturveranstalter und Printmedien: Sie wol­len als ein­zel­ne Angebote wahr­ge­nom­men wer­den. Die wirk­lich erfolg­rei­chen Online-Anbieter hin­ge­gen bün­deln Kulturinhalte im wirk­lich gros­sen Stil. So bei­spiels­wei­se I Tunes und Amazon, bei denen der Marktplatz der kul­tu­rel­len Meinungen und der Marktplatz der Kulturproduktion untrenn­bar ver­knüpft ist.
Fazit: Der klei­ne Perlentaucher sieht sich zuneh­mend mit gros­sen Marktplätzen der Kultur und der kul­tu­rel­len Öffentlichkeit kon­fron­tiert. Angesichts der stra­te­gi­schen Ziele von Google, das dem­nächst auch einen «Ebookstore» ein­rich­ten, Musik ver­kau­fen und Nachrichtendienste in sein Angebot ein­bin­den will, sind offen­bar auch I‑Tunes und Amazon noch nicht gross genug gedacht. Der Taucher ist hier, um im Bild zu blei­ben, eine alles schlucken­den Tauchmaschine. Von daher betrach­tet ist die Online Presseschau des Thierry Chervel, gleich wie ein Literaturverlag oder das Feuilleton einer über­re­gio­na­len Qualitätszeitung, besten­falls eine Perle im Ozean, in wel­cher der kom­men­de Kulturberichterstatter Google fischt.

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