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Kultur ist kein Luxus

Von Jean-Frédéric Jauslin – In der Frühlingssession hat der Nationalrat sei­ne Beratungen des Kulturförderungsgesetzes (KFG) abge­schlos­sen. Das Gesetz wur­de mit 125 zu 50 Stimmen bei 2 Enthaltungen ver­ab­schie­det, was als gros­ser Erfolg zu wer­ten ist, hät­te doch vor eini­gen Monaten noch nie­mand mit einer so deut­li­chen Mehrheit gerech­net. Das Gesetz hat einen lan­gen Weg hin­ter sich. Vor zwan­zig Jahren lehn­te das Volk den Vorschlag eines erwei­ter­ten Kulturengagements des Bundes noch ab, indem es einen ent­spre­chen­den Verfassungsartikel ablehn­te. Es ist beson­ders wich­tig, dass die Kultur in der heu­ti­gen Zeit Anerkennung erhält.

Weltweit wird nach Auswegen aus der Finanz- und Wirtschaftskrise gesucht, die in die­ser Form kaum jemand vor­aus­ge­se­hen hat. Es zeigt sich, wie rat­los selbst Experten in der gegen­wär­ti­gen Lage sind. Wir haben es also der­zeit mit einer Krise zu tun, bei der wir nicht wis­sen, wann und – vor allem – wie wir sie über­win­den wer­den.

In die­ser Situation haben der Staat und ande­re öffent­li­che Institutionen an Bedeutung gewon­nen. Es wird von ihnen ver­langt, dass sie len­ken und lang­fri­sti­ge Werte set­zen. Die Mittel sol­len gerecht und trans­pa­rent ver­teilt wer­den und dem Wohle aller die­nen. Kultur gehört ohne Zweifel zu den Werten, die für das Wohl unse­rer Gesellschaft grund­le­gend sind.

Kultur ist eine Plattform des Austausches, ein gemein­sa­mer Erfahrungs- und Erlebnisplatz. Kultur wider­spie­gelt uns und unse­re Zeit; sie ermög­licht uns, aus den flüch­ti­gen Augenblicken des Alltags aus­zu­bre­chen und uns der Reflexion und des Betrachtens zu wid­men. In einer Zeit der per­ma­nen­ten Beschleunigung und Ablenkung ist Zeit für die Reflexion und Betrachtung, die den Blick auf die Zusammenhänge rich­tet, zu einem raren Gut gewor­den. Nicht aus­ge­schlos­sen, dass die gegen­wär­ti­ge Krise hät­te ver­hin­dert wer­den kön­nen, wenn sich die rich­ti­gen Leute mehr Zeit für die­se Reflexion genom­men hät­ten.

Besonders in Krisenzeiten muss die Kultur von den öffent­li­chen Institutionen gestützt und getra­gen wer­den. Kultur ist kein Luxus, son­dern ein wesent­li­ches Element für eine funk­tio­nie­ren­de Gesellschaft. Anders als bei­spiels­wei­se in den USA, wo die Kulturbetriebe haupt­säch­lich pri­vat unter­stützt wer­den, wird die Kultur in der Schweiz zu einem über­wie­gen­den Teil von den Kantonen, den Gemeinden und dem Staat finan­ziert, wobei die Kantone und Gemeinden über 80 Prozent der Finanzierung lei­sten und die Eidgenossenschaft rund 14 Prozent.

Die öffent­li­che Hand ist in der Schweiz von grund­le­gen­der Bedeutung. Der Bund defi­niert gegen­wär­tig eine eige­ne Kulturförderungspolitik, in der das Parlament eine akti­ve Rolle ein­neh­men soll. Es ist wich­tig, dass die­se Aufgabe und die damit ver­bun­de­ne Verantwortlichkeit sehr ernst genom­men wer­den. Es ist zu erwar­ten, dass die Kulturfinanzierung mit den sin­ken­den Steuereinnahmen und Erträgen (von die­ser Entwicklung sind vor allem die Stiftungen betrof­fen) unter Druck gerät. Umso wich­ti­ger ist, dass die Eidgenossenschaft zu ihren Verpflichtungen hält. Wenn ich die Entscheide des Parlaments in der ver­gan­ge­nen Wintersession betrach­te, bin ich zuver­sicht­lich: So hat das Parlament die Mittel für den Heimatschutz und die Denkmalpflege erhöht, und die Aufstockung des Kredits für die Filmförderung ist nur knapp geschei­tert.

Eine gros­se Mehrheit des Parlaments aner­kennt aus­ser­dem die Notwendigkeit des KFG, das der Kulturförderung der Eidgenossenschaft als Ganzes eine recht­li­che Grundlage gibt. Etliche Änderungsanträge, die das KFG betref­fen, ver­lang­ten nicht etwa eine Beschneidung der Kulturförderung des Bundes, im Gegenteil: Sie woll­ten deren Ausbau. Die hohe Zahl der Anträge mach­ten deut­lich, wie gross das Interesse für die Kultur und ihre Anliegen in unse­rem Land sind, auch wenn die Meinungen, was und wie geför­dert wer­den soll­te, unter­schied­lich waren. Wir wer­den mit gros­sem Interesse die Debatten im Ständerat mit­ver­fol­gen.

Jean-Frédéric Jauslin
Direktor Bundesamt für Kultur