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Kritik – Gedanken zum Umgang mit ihr

Von Karl Schüpbach – Der Artikel «Eine halt­lo­se Behauptung», vgl. ensuite Nr. 112, April 2012, Seite 50 hat mir viel Kritik ein­ge­bracht, und zwar von Seiten des Stiftungsrates Konzert Theater Bern (KTB), was nicht wei­ter über­rascht, sehen sich doch ver­schie­de­ne Mitglieder im Visier mei­ner Kritik. Völlig über­ra­schend war es, dass der Orchestervorstand des Berner Symphonieorchesters (BSO) sich mit dem Stiftungsrat KTB soli­da­ri­siert, und mir ein Protest-Schreiben mit Verhaltensmassregeln zukom­men liess. Wenn es auch in den Fingern juckt, auf Vorwürfe ein­zu­ge­hen, die ich zum Teil nicht ein­mal aus direk­ter Quelle ken­ne, so las­se ich dies blei­ben aus der Überlegung her­aus, dass es für den Moment mehr bringt, ein­mal gene­rell über Kritik nach­zu­den­ken.

Kritik üben Freie Meinungsäusserung ist ein unan­tast­ba­res Grundrecht der Menschheit. Ob sie gewährt wird oder nicht, wie in tota­li­tä­ren Staaten, ändert dar­an rein nichts! Daraus lässt sich die Folgerung zie­hen, dass die Äus-serung von Kritik an sich beden­ken­los ist. Die Frage kon­zen­triert sich also dar­auf, wie Kritik geäus­sert wer­den muss. Um nicht ins Theoretische abzu­drif­ten, möch­te ich hier dar­le­gen, wel­che Kriterien dabei für mich per­sön­lich mass­ge­bend sind:

Kritik darf kei­ne Tabus ken­nen. Es geht nicht an, dass wir unse­re Kinder wegen ihrer Unordnung im Zimmer scharf kri­ti­sie­ren, um dann bei einer schrei­en­den Ungerechtigkeit z.B. sei­tens des Arbeitgebers zu schwei­gen – aus Angst! Ich weiss, das Beispiel ist extrem, aber es leuch­tet eine ver­häng­nis­vol­le Tendenz aus: wir kate­go­ri­sie­ren die Menschheit in Gruppen, die wir hem­mungs­los kri­ti­sie­ren, und sol­che, bei wel­chen wir dies, aus Vorsicht, blei­ben las­sen – in mei­nen Augen eine kras­se Fehlleistung.

Das Wissen dar­um, dass sach­li­che Kritik also immer erlaubt sein muss, ent­bin­det uns aber nicht von dem Imperativ, dass sie nie per­sön­lich belei­di­gend sein darf! Im Wissen dar­um und im Bestreben, die­sen Grundsatz zu leben, wei­se ich die bereits erwähn­te Kritik des Präsidenten des Orchestervorstandes und sei­ner Mitunterzeichnenden, auf das Entschiedenste zurück, wenn sie schrei­ben: «…Wir sind jedoch der Meinung, dass Artikel, wel­che öffent­lich Kritik an Personen üben, die sich im Moment sehr für das BSO ein­set­zen, uns nur scha­den und bit­ten dich, von wei­te­ren Artikeln in der Form abzu­se­hen»…

Zwei per­sön­li­che Reaktionen auf den Auszug aus die­sem Brief:

Nach mei­nen oben ste­hen­den Ausführungen über das Recht zu per­sön­li­cher Meinungsfreiheit ist das Schreiben des Orchestervorstandes Makulatur. Wenn ich dar­auf ver­zich­te, den Stiftungsrat des KTB zu kri­ti­sie­ren, aus wel­chen Gründen auch immer, so ist dies mei­ne urei­gen­ste per­sön­li­che Entscheidung, der erwähn­te Brief spielt dabei nicht die gering­ste Rolle…

Weiter: wenn dem Stiftungsrat wider­spro­chen wird, so scha­det dies dem Orchester, wahr­lich eine eigen­ar­ti­ge Interpretation des Demokratieverständnisses die­ses Gremiums…

Kritik erdul­den Um es gleich vor­weg zu neh­men: wir alle ken­nen die HeroInnen mit ihrem Bluff: Kritik, das macht mir über­haupt nichts aus! Das ist natür­lich Unsinn, jede Kritik, ob berech­tigt oder nicht, tut irgend­wo weh. Uns inter­es­siert in die­sem Zusammenhang nur die kor­rekt vor­ge­tra­ge­ne Kritik, mit nach­weis­bar berech­tig­tem Kern. Um nicht ins all­zu Theoretische abzu­glei­ten hal­te ich mich an die von mir immer wie­der geäus­ser­te Kritik: war­um fällt es dem Stiftungsrat KTB so schwer, gewis­se Unstimmigkeiten, die sich im Verlaufe der Fusion zwi­schen BSO und Stadttheater Bern erge­ben haben, in einer zu fin­den­den Form öffent­lich dar­zu­stel­len und aus­zu­dis­ku­tie­ren? Warum wählt man den Umweg über eine zur Schau gestell­te unge­trüb­ten Harmonie, so gesche­hen an der Pressekonferenz zur Vorstellung des neu­en Generalprogrammes? Will man uns wirk­lich weis­ma­chen, dass die künst­le­ri­sche Basis der bei­den betrof­fe­nen Institutionen die­se Harmonie wirk­lich teilt?

Zur Auflockerung: so natür­lich nicht Während der Niederschrift die­ser Zeilen tauch­te die fol­gen­de Begebenheit, im Grossen Saal des Salzburger Festspielhauses, immer wie­der tau­frisch auf: der gros­se Karl Böhm prob­te mit den Berliner Philharmonikern die Tondichtung «Till Eulenspiegel». Vor dem berühm­ten Horn-Solo brach er immer wie­der ab, weil ihm eine Passage der Streicher nicht gefiel. Natürlich zwang er dadurch den Solo-Hornisten, sich immer wie­der auf das gros­se Solo vor­zu­be­rei­ten, dies solan­ge, bis der Musiker sein Horn senk­te, und der Dinge harr­te, die da kom­men soll­ten. Als Böhm sich schliess­lich ent­schloss, wei­ter zu fah­ren, war der Hornist über­rum­pelt, und nicht bereit, was einen Zornausbruch des Dirigenten, beglei­tet von schar­fer Kritik nach sich zog. Der Hornist wehr­te sich, und mach­te den Maestro dar­auf auf­merk­sam, dass er etwa zwan­zig Mal bereit gewe­sen sei fort­zu­fah­ren. Böhm wand­te sich, für den gan­zen Saal ver­nehm­bar, zum Konzertmeister: «Haben Sie gehört? Der Mensch (sic!) spricht mit mir …»

Foto: zVg.
ensuite, Juni/Juli 2012