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Krankenbett

Von Irina Mahlstein - Das bin ich: Immer vol­ler Energie und Tatendrang, und auch wenn ich mal einen Schnupfen habe, dann schaf­fe ich es trotz­dem noch ins Büro. Schliesslich bin ich Super Woman! So auch am letz­ten Montag, als ich mich nach herr­li­chen Tagen in den Bergen wie­der im Bau ein­ni­ste­te. Nach kur­zer Zeit fängt mein Hals an zu krat­zen, die Nase juckt… Es geht los. Aber wie gesagt, des­we­gen gehe ich noch lan­ge nicht nach Hause. Also ste­he ich den Tag durch, leg mich dann aber doch früh ins Bett. Um vier Uhr mor­gens erwa­che ich mit einem Tannenzweig in mei­nem Hals. Ich krabb­le aus dem Bett, um mir ein Krüglein Tee zu kochen. Das wird schon wie­der, denk ich mir und schlüp­fe wie­der unter die Bettdecke.

Vier Stunden spä­ter sind mir zwölf Köpfe gewach­sen, und jeder ein­zel­ne hat in etwa die Grösse von Indien. An Aufstehen ist nicht zu den­ken. Dafür müs­sen sich zuerst mei­ne zwölf Köpfe zu einem ver­ei­nen. Nach wei­te­ren drei Stunden sind es ledig­lich noch zwei Köpfe, die bei­de mitt­ler­wei­le nur noch die Grösse von je einer Kissenhälfte haben. Langsam däm­mert es mir, ich muss wohl Fieber haben. Und ach je, natür­lich kaum Medikamente oder Essen im Haus. Und mit zwei Köpfen kann ich nicht aus dem Haus. Da lie­ge ich ganz ein­sam in mei­ner Wohnung und wim­me­re nur noch vor mich hin, abso­lut unfä­hig, mich um mich selbst zu küm­mern. «Mama!», das ist das ein­zi­ge, was mir spon­tan in den Sinn kommt.

Tatsächlich geht es mir nach eini­gen Stunden der­mas­sen mies, dass ich tat­säch­lich mei­ne Eltern anru­fen muss, damit sie mich nach Hause holen. Ansonsten wür­de ich wohl elend in mei­ner Wohnung ein­ge­hen. Unter Mamas kun­di­ger Pflege geht’s stünd­lich bes­ser. Ich schreie auch sehr regel­mäs­sig nach Tee, Suppen, bit­te sie, mir ein wenig Gemüse zu kochen. Und dann doch noch ein paar Teigwaren, aber nein, nicht zu viel. Fünf ein­zel­ne Spagetti tun rei­chen. Ich stop­fe fleis­sig Medikamente in mich hin­ein, Roche oder Novartis, das ist mir ganz egal. Hauptsache ich kom­me wie­der auf die Beine. Mit fie­ber­sen­ken­dem Zeug, Hustensirup, Nasensalbe, immer wie­der wie von Zauberhand fül­len­dem Teekrug, Fiebermesser und einem Haufen gebrauch­ter Nastücher lie­ge ich in mei­nem eige­nen Schweiss, stin­ke vor mich hin (ich has­se die­sen Geruch nach krank) und fin­de die Situation irgend­wie amü­sant.

Ich glau­be, seit mei­ner Primarschulzeit war ich nicht mehr so krank, dass ich mich nicht aus dem Bett erhe­ben konn­te (abge­se­hen von die­ser hin­ter­häl­ti­gen Magen-Darm-Geschichte, die mich innert vier Stunden in die Notaufnahme des Triemli-Spitals brach­te, wo ich dann gekrümmt über mei­nem Kotzkübel mei­ne Versichertennummer der Empfangsdame erzäh­len muss­te, denn ohne Versichertennummer komm ich nicht ins Spital, wo sich jemand dar­um küm­mern könn­te, dass ich nicht dau­ernd gekrümmt über mei­nem Kotzkübel hän­gen muss). Und wie in der Primarschulzeit hilft mir Mami die gan­ze Sache durch­zu­ste­hen. Manche Dinge ändern sich nie: Wenn man krank ist, dann redu­ziert man sich auf ein klei­nes Häufchen Elend, wel­ches nicht im Stande ist, irgend­et­was sel­ber in die Hand zu neh­men. Und: Wenn man krank ist, dann kann man ein­fach nichts tun. Es gibt nichts, was nicht zu anstren­gend wäre, aus­ser schla­fen. Und genau dies, das her­um­lie­gen und nicht ein­mal über irgend­et­was nach­den­ken kön­nen, das habe ich in die­sem Moment irgend­wie sehr genos­sen. Und wenn man krank ist, dann hat man eine sehr plau­si­ble Ausrede, war­um man nicht duschen muss (ich fin­de die­ses täg­li­che Duschen unglaub­lich lästig). Weil man dann ganz ein­fach zu schwach ist, um sich aus dem Bett zu erhe­ben.

Nach drei Tagen tun Novartis und Roche ihre Wirkung und ich kann das Bett wie­der ver­las­sen. Bald wird ist es mir sowie­so zu lang­wei­lig, nur im Bett zu lie­gen und über rein gar nichts nach­den­ken zu kön­nen. Der Alltag sickert wie­der in mein Bewusstsein ein und ich füh­le mich wie­der als wie­der­ge­bo­re­ne Super Woman. Dann nichts wie zurück in den Bau!

Foto: Barbara Ineichen
ensuite, Februar 2009