Korrepetition: Frau Sonja Lohmiller

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Interview von Karl Schüpbach – Ein Blick hin­ter die Kulissen.. Karl Schüpbach: Der Besetzungsliste zum Programmheft der Oper «Don Giovanni» von W.A. Mozart – sie kam wäh­rend die­ser Spielzeit im Stadttheater Bern zur Aufführung – ist zu ent­neh­men: Korrepetition – Sonja Lohmiller. Hier ste­hen auch die Namen für die Verantwortlichen von Regie, Bühnenbild und Kostüme, Berufe, die den OpernliebhaberInnen sicher­lich geläu­fig sind. Aber Korrepetition? Würden Sie uns Einzelheiten über die­se so emi­nent wich­ti­ge Arbeit zwi­schen Pianistin und Sängerin ver­ra­ten, wel­che die Aufführung einer Oper erst ermög­li­chen?
Frau Sonja Lohmiller: An der Aufführung einer Oper selbst sind wir als Korrepetitoren nicht betei­ligt. Wir spie­len unse­re Rolle nur in der Vorbereitung der Aufführung, indem wir das Orchester, das erst etwa eine Woche vor der Premiere zu den Proben dazu­kommt, ver­tre­ten.

Korrepetieren heisst wört­lich: «mit wie­der­ho­len». Ein Sänger kann eine Partie nur bis zu einem gewis­sen Grad allein im stil­len Kämmerlein ler­nen. Wenn er sich mit dem Text ver­traut gemacht hat und sei­ne Melodien unge­fähr «in der Stimme hat», hel­fen wir ihm, sich an die Begleitung zu gewöh­nen und das musi­ka­li­sche Material sicher zu beherr­schen. Ausserdem geben wir ihm Rückmeldung zum Klang sei­ner Stimme; denn im Gegensatz zum Instrumentalisten hört der Sänger sein Instrument ja von innen her­aus und braucht des­halb manch­mal ein objek­ti­ves «äus­se­res Ohr». Da sich Sänger oft auf die Gesangslinien ihrer Partner stüt­zen, um bei­spiels­wei­se einen Einsatz zu fin­den, müs­sen wir die­se Stimmen mar­kie­ren, also sin­gen – so gut es eben geht! Ein wich­ti­ges Ziel für den Sänger ist auch das Auswendiglernen der Rolle. Dazu sind vie­le Wiederholungen nötig. Die wich­tig­ste Vokabel im Arbeitsleben eines Korrepetitors ist «noch­mal»…

Der zwei­te gros­se Aufgabenbereich ist die Begleitung der sze­ni­schen Proben. Es kann sehr anstren­gend sein, wie­der und wie­der einen bestimm­ten Ausschnitt zu spie­len, weil der Regisseur noch nicht mit der Darstellung sei­ner sze­ni­schen Idee durch den Sänger zufrie­den ist. Je wei­ter die Proben fort­ge­schrit­ten sind, desto län­ger wer­den die am Stück gespiel­ten Abschnitte. Der Abschluss unse­rer Arbeit am Klavier ist die Klavierhauptprobe, in der das Stück zum ersten Mal mit Kostümen und Maske ganz durch­ge­spielt wird. Für Sänger und Dirigenten beginnt anschlies­send die eigent­lich inter­es­san­te Phase der Proben: Das Orchester kommt dazu! Erst jetzt erklingt die Musik so, wie der Komponist sie sich gedacht hat. Die Tatsache, dass der «Höhepunkt» der Arbeit des Korrepetitors, die Klavierhauptprobe, für alle ande­ren Beteiligten ein eher unwich­ti­ges und pro­vi­so­ri­sches Ereignis ist (der Ablauf kann jeder­zeit unter­bro­chen wer­den, die Sänger mar­kie­ren oft, es gibt kei­nen Applaus am Ende), zeigt, dass unser Beruf Bescheidenheit erfor­dert: Wir kön­nen das Orchester ver­tre­ten, aber nie ganz befrie­di­gend erset­zen.

Zusätzlich gibt es noch die «Tastendienste»: Wenn ein Stück Tasteninstrumente erfor­dert, wie Klavier, Orgel, Harmonium oder Celesta, spie­len wir im Orchester mit, und wir beglei­ten die Rezitative auf dem Cembalo.

Wenn eine Sängerin eine Rolle in einer frem­den Sprache inter­pre­tie­ren muss, ist hier auch die Korrepetitorin für Hilfeleistungen in punk­to Textverständnis und kor­rek­ter Aussprache zustän­dig?

Ja. In der kom­men­den Spielzeit wer­den wir Opern auf Italienisch, Deutsch und Englisch auf­füh­ren. Jede Sprache hat ihre eige­nen Schwierigkeiten für einen Nicht-Muttersprachler. Und eine nur kor­rek­te Aussprache reicht für die Oper nicht aus, um aus­drucks­voll zu sein: Der Sänger muss ein Gefühl dafür haben, wo die Schwerpunkte in einem Satz lie­gen, wel­che Wörter eine beson­de­re emo­tio­na­le Färbung haben kön­nen, und er muss der Prosodie der Sprache, also dem Verhältnis von Rhythmus des gespro­che­nen Textes und Rhythmus der Musik, nach­spü­ren. Selbst für Muttersprachler gibt es also in die­ser Hinsicht viel zu tun. Ich fand es immer fas­zi­nie­rend, dass Sänger als ein­zi­ge Musiker mit Sprache arbei­ten, und es ist einer der Gründe, war­um ich mei­nen Beruf gewählt habe.

Eine fach­li­che Frage, die für mich stets etwas Mysteriöses an sich hat: vor vie­len Jahren hat ein Chefdirigent einem Kollegen, der ihn um Unterricht bat, die Frage gestellt, ob er in der Lage sei, eine Partiturseite von Wagner vom Blatt zu spie­len. Als er ver­nein­te erhielt er zur Antwort: «Lassen sie sich von einer Korrepetitorin in die­se Kunst ein­füh­ren, dann spre­chen wir wei­ter.» Wie ist es mög­lich, sich die­se Fähigkeit anzu­eig­nen?

Gleich vor­weg: Ich selbst kann noch kei­ne Partitur von Wagner vom Blatt spie­len. Nur «Semele» haben wir in der letz­ten Spielzeit aus der Partitur gespielt, weil kein Klavierauszug von die­ser Fassung exi­stiert, und auch wenn eine Partitur von Händel viel ein­fa­cher zu lesen ist als eine von Wagner, war es für mich sehr müh­sam. Aber um ihre Frage zu beant­wor­ten: Wer ein­mal Anfänger im Klavierspiel war, weiss, wie schwie­rig es zunächst ist, mit bei­den Händen Noten, die in ver­schie­de­nen Schlüsseln geschrie­ben sind, zu spie­len. Am Anfang «buch­sta­biert» man ein­zel­ne Töne, irgend­wann ist man dann in der Lage, grös­se­re Einheiten auf einen Blick zu erfas­sen. Eine Orchesterpartitur mit ihren vie­len Systemen und ver­schie­de­nen Schlüsseln für die ein­zel­nen Instrumente zu spie­len, lernt man wahr­schein­lich nach dem glei­chen Prinzip wie der Anfänger im Klavierspiel. Dabei ist es gar nicht mög­lich, alle Stimmen des Orchesters auf dem Klavier dar­zu­stel­len, man muss also ent­schei­den, wel­che Elemente für den Gesamteindruck unver­zicht­bar sind, und die ande­ren weg­las­sen. In der Praxis benut­zen Korrepetitoren mei­stens Klavierauszüge, wenn auch dadurch, dass der Verfasser des Auszugs schon eine Vorauswahl getrof­fen hat, manch­mal wich­ti­ge Inhalte der Musik ver­lo­ren gehen oder ver­zerrt wer­den. Das hat auch einen rein tech­ni­schen Aspekt: Schnelle, lei­se Tonwiederholungen auf einer Note zu spie­len, ist für einen Geiger ganz leicht, auf dem Klavier fast unmög­lich. Dagegen kann eine lang­sa­me Kantilene für einen Oboisten eine gros­se Herausforderung bedeu­ten, und auf dem Klavier ist sie ein Kinderspiel. Um nun weder mit ange­streng­ten Tonwiederholungen alles ande­re zu über­decken, noch die Kantilene zu bei­läu­fig zu «klim­pern», muss man immer im Auge (oder im Ohr) behal­ten, für wel­ches Instrument die Musik geschrie­ben wur­de. Deshalb ist es wich­tig, die Partitur zu ken­nen und Aufnahmen des Werks zu hören.

Von Ihrem aus­ser­or­dent­li­chen pia­ni­sti­schen Können konn­te ich mich sel­ber über­zeu­gen, von einer beson­de­ren hand­werk­li­chen Seite haben wir eben gespro­chen. Gibt es noch ande­re Fähigkeiten, die Sie bei der Ausübung Ihres Berufes als Korrepetitorin als wich­tig emp­fin­den – mensch­li­che?

Entscheidend für das Gelingen unse­rer Arbeit ist sicher­lich gute Kommunikationsfähigkeit. Eine unse­rer Hauptaufgaben ist es ja, die Sänger auf Dinge hin­zu­wei­sen, die sie noch ver­bes­sern soll­ten. Wenn man die­se Kritik in einem ungün­sti­gen Moment abgibt, oder sich zu grob aus­drückt, bekommt man viel­leicht zur Antwort: «Ich habe sel­ber Ohren!». Und Sänger haben auch manch­mal Selbstzweifel und brau­chen vor allem Ermutigung. Sänger sein ist ein schwe­rer Beruf, den ich sehr bewun­de­re. Also, respekt­vol­les Kritisieren, das wäre viel­leicht das Ideal. Hilfreiche mensch­li­che Eigenschaften sind auch die schon erwähn­te Geduld, Ausdauer in der Arbeit, Flexibilität gegen­über immer wie­der neu­en Situationen, und viel­leicht eine gewis­se Freude am Unvollkommenen des eige­nen Tuns, also viel­leicht das krea­ti­ve Gegenteil von Perfektionismus.

Wie gestal­tet sich im Verlaufe der Vorbereitung einer Opern-Produktion die Zusammenarbeit mit dem Dirigenten? Gibt es auch Kontakte mit der Regie, dem Dekor und den Kostümen?

Vor Beginn der sze­ni­schen Proben gibt es eine musi­ka­li­sche Probe am Klavier für alle Sänger und Korrepetitoren, in der der Dirigent zeigt, wie er sich die Tempi vor­stellt und wie die musi­ka­li­sche Anlage unge­fähr sein soll. Meist ist der Dirigent dann wäh­rend der sze­ni­schen Proben anwe­send, wenn nicht, muss der Korrepetitor selbst die Einsätze geben und die Tempi im Sinne des Dirigenten wäh­len. Es ist übri­gens für einen Pianisten anfangs gar nicht so leicht, dem Dirigenten wirk­lich wie ein Orchester zu fol­gen und nicht ein­fach den Sänger zu beglei­ten. Das Dirigieren ist wie eine Zeichensprache, die man lesen ler­nen muss.

In den Proben mit Orchester sind wir dann als Assistenten des Dirigenten dafür zustän­dig, sei­ne Anmerkungen den Sängern wei­ter­zu­ge­ben und die Balance zwi­schen Sängern und Orchester im Zuschauerraum zu über­prü­fen.

Natürlich ste­hen wir in Kontakt zu allen Mitwirkenden einer Produktion. Eine beson­ders inter­es­san­te Zusammenarbeit mit dem Regisseur ent­steht, wenn wir in einer Oper die Rezitative beglei­ten. Normalerweise ori­en­tiert sich die Inszenierung am Verlauf der Musik; da die Rezitative rela­tiv frei gesun­gen und gespielt wer­den kön­nen, kann in die­sem Fall umge­kehrt die Musik auf die Szene reagie­ren.

Ihrem aus­ser­or­dent­lich rei­chen Lebenslauf – den wir hier lei­der nur rudi­men­tär abdrucken kön­nen – ent­neh­me ich, dass Sie mit Dietrich Fischer-Dieskau gear­bei­tet haben. Als gros­ser Verehrer die­ses unver­ges­se­nen Sängers rich­te ich die Bitte an Sie, ein wenig in dem dies­be­züg­li­chen Schatzkästlein der Erinnerung nach­zu­se­hen. Was bleibt in Ihrer Erinnerung haf­ten, wenn sie an die­sen gros­sen Künstler den­ken?

Ich hat­te das Glück, mit ver­schie­de­nen Sängern an Meisterkursen Herrn Fischer-Dieskaus teil­neh­men zu kön­nen, und auch eini­ge Unterrichtsstunden bei ihm zuhau­se in Berlin zu erhal­ten. Wir arbei­te­ten an Liedern von Wolf und an der «Schönen Müllerin», und was mir viel­leicht am leb­haf­te­sten in Erinnerung geblie­ben ist, ist, wie sehr Herr Fischer-Dieskau die­se Lieder ver­in­ner­licht hat. Er «inter­pre­tiert» nicht die Sehnsucht des unglück­lich ver­lieb­ten Müllersburschen, er hat sie zu sei­ner eige­nen gemacht, und das­sel­be for­dert er von sei­nen Schülern. Er wur­de ja selbst von den gröss­ten Pianisten sei­ner Zeit beglei­tet und ist auch sehr anspruchs­voll, was die Ausführung der Klavierstimme angeht. Seine uner­schöpf­li­che Neugier und die ein­ma­li­ge Verbindung zwi­schen rie­si­ger musi­ka­li­scher Bildung und phä­no­me­na­lem künst­le­ri­schen Instinkt sind sehr beein­druckend.

Ebenfalls Ihrem Curriculum ent­neh­me ich Städte-Namen wie Leipzig, Dresden und Weimar, um nur eini­ge zu nen­nen. Ohne das Licht unnö­tig unter den Scheffel zu stel­len: erle­ben Sie da nicht einen klei­nen Kulturschock?

Als Musiker muss man ja stän­dig hin- und her-vaga­bun­die­ren, und ein klei­ner Kulturschock von Zeit zu Zeit ist bestimmt nicht das Schlechteste für den Geist. Ich lebe sehr gern in Bern, und die Berner sind wirk­lich sehr freund­lich. Und dann die­se land­schaft­li­che Lage: Vom Rosengarten aus auf die Altstadt, die Aare und die Viertausender zu blicken oder mit­ten in der Stadt im Fluss zu schwim­men: Das ist doch der Himmel auf Erden, oder?

Frau Lohmiller, wir dan­ken sehr herz­lich für die Beantwortung unse­rer Fragen, und wir wün­schen Ihnen viel Erfolg und inne­re Befriedigung bei Ihrer Arbeit in Bern. Vielleicht tref­fe ich Sie in spä­te­ren Jahren in einer ande­ren Stadt, und Sie wer­den mir anver­trau­en, was Ihnen in Gedanken an Bern beson­ders wert­voll in Erinnerung bleibt.

(Bei der Wahl der weib­li­chen Schreibweise ist selbst­ver­ständ­lich auch die männ­li­che Formulierung gemeint.)

 


Sonja Lohmiller, gebo­ren in Berlin. Klavierstudium bei Peter Rösel in Dresden, wei­ter­füh­ren­de Studien für Liedgestaltung und Korrepetition bei Karl-Peter Kammerlander und Phillip Moll in Leipzig und Weimar und für Hammerklavier bei Pierre Goy in Lausanne. 2006/2007 Pianistin des Internationalen Opernstudios Zürich. Zwischen 2003 und 2010 ver­schie­de­ne Lehraufträge an den Musikhochschulen Leipzig, Bremen und Weimar. Seit der Spielzeit 2010/2011 Solokorrepetitorin am Stadttheater Bern.

Foto: Gerardo Garciacano
ensuite, September 2011

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