- ensuite | kulturagenda | enBlog - https://ensuite.we-are.gmbh -

Klingt wie Musik: Jorane

Von Lukas Vogelsang - Der Name, die Bewegung, die Stimme, die Worte, die Stille – all das ist ihre Musik. Ein Fluss aus ehr­li­chen Emotionen, kein Kitsch, kei­ne bil­li­ge Seifenoper, kein Zuviel. Einatmen, aus­at­men. Ein Fluss aus Herzblut, echt, rot, inten­siv, weib­lich dyna­misch. Sie ist intim, kommt uns gefähr­lich nahe ans Herz, macht Angst und dür­stet nach Verlangen, kei­ne Bedingung und klingt. Einatmen, aus­at­men. Sie wird im glei­chen Atemzug wie Tori Amos (ensuite – kul­tur­ma­ga­zin Feb 2003), Sinéad O’Connor, Mari Boine genannt – was man bit­te nie in ihrer Anwesenheit erwäh­nen soll­te.

Im Februar 2003 kam die kana­di­sche (Quebec) Musikerin zum ersten Mal auf Tour nach Europa. Sie spiel­te als Vorgruppe von Noa, der israe­li­schen Sängerin. Der Presse feh­len die Worte, die Musikberichterstatter haben sich hin­ge­setzt und zuge­hört. Sprachlos und vol­ler Bilder. Sie erklä­ren alles mög­li­che, doch Jorane bleibt geheim­nis­voll hin­ter einem Schleier. Als sie im Mai die­ses Jahres in der Mühle Hunziken auf­trat, kamen nur knap­pe 20 Besucher an das Konzert. Zu wenig für ein Mysterium. Obwohl, an der Werbung man­gel­te es nicht – wohl eher an der Experimentierlust des Berner Publikums. Wer da war, war begei­stert.

Jorane ist 27-jäh­rig und unge­wöhn­lich. Sie spielt das Cello und singt dazu. Wenn sie kei­ne Liedtexte hat – und das war bis­her oft der Fall – so benutz­te sie eine Fantasiesprache. Die Stimme sei ein Instrument, die viel­sa­gen­den Nichtworte geben dem Klang Charakter und Sinnlichkeit. Sie küm­mert sich weni­ger um Konventionen ihrer Instrumente. Auch das Cello ist ein Allround-Klangkörper und sie gestal­tet die musi­ka­li­schen Welten nach eige­nem Gusto. Das macht Jorane span­nend. Ihre Musik sind Reisen. Sie öff­net ihre Klänge dem­je­ni­gen, wel­cher sich am kom­mer­zi­el­len Einheitsbrei ver­schluckt. Jorane spielt Kammermusik, spielt Rock und flippt auch mal ganz wild ver­zerrt mit dem Cello auf der Bühne, um im näch­sten Augenblick, wie ein Herbstblatt, sanft auf den Boden zu glei­ten. Die Arrangements sind aus­ge­klü­gelt, aus­ge­feilt und spar­sam ein­ge­setzt. Oft wird sie nur durch eine aku­sti­sche Gitarre oder lei­se Perkussion beglei­tet. Sie spiel­te an Jazz-Festivals mit Bobby McFerrin oder mit gan­zen Symphonie-Orchestern. Diese Dynamik hat ihr mit 22 Jahren eine Nominierung für die Beste Solokünsterlin und für das Beste Soloalbum-Design bei den Juno Awards 2000 ein­ge­bracht. Eine Nominierungen für die Beste Weibliche Künstlerin, Bester Newcomer und Bestes Album bei den Adisq Awards brach­te das­sel­be und immer noch erste Album „Vent fou“ im sel­ben Jahr ein. Das dar­auf fol­gen­de Album „16 mm“ beein­druck­te eben­falls. Deswegen sind alle ganz wild auf sie. Jetzt arbei­tet sie mit den ganz gros­sen Produzenten zusam­men. Michael Brook – ein genia­ler Musiker und Toningenieur, der auch für Peter Gabriel schon Studioproduktionen für das Real World Label pro­du­zier­te hat ihr bereits vier­tes Album „the You and the Now“ geschaf­fen. Nach „16mm“ wuss­te sie, dass „ich jemand brau­chen wür­de, um das näch­ste Album zu pro­du­zie­ren“. Fordern las­sen und die­ses Fordern auch durch die Studioproduktionen nach aus­sen brin­gen. Eine lan­ge, anfäng­lich ent­täu­schen­de Suche nach dem per­fek­ten Produzenten ende­te nahe­zu schick­sal­haft, als sich Michael Brook bei ihrem Management mel­de­te. Ob Jazz, Weltmusik oder auch här­te­re Musik, Brook fin­det die Perlen. Auf dem neu­en Album hat er neben der Tonkonstruktion auch vie­le Gitarrenparts sel­ber über­nom­men.

In der Namensliste bekann­ter Mitwirkender spielt noch ein ande­rer wich­ti­ger Mann eine ele­men­ta­re Rolle: Daniel Lanois. Auch er ist einer der begna­detsten kana­di­schen Klangkünstlern und unzäh­li­ge sei­ner pro­du­zier­ten Alben von Peter Gabriel, U2, Bob Dylan und noch ziem­lich vie­len musi­ka­li­schen Klassikern, hat er mit sei­ner Handschrift zum Erfolg gebracht. Für Jorane hat er das wun­der­sa­me Lied „pour ton souri­re“ geschrie­ben und wohl auch hier und da Händchen gehal­ten. Zum Beispiel im Video-Clip zu die­sem Stück.

Und dann ist Jorane auch noch schön, ein­fach, nor­mal. Ihr Lächeln über­zeugt, auf der Bühne oder wenn sie die CDs für das Publikum signiert. Sie ist prä­sent, unver­braucht, echt. Und das wäre dann auch schon der kri­ti­sche Punkt in der Geschichte. Mit jedem Verständnis für den Aufbau einer musi­ka­li­schen Karrieren, so sitzt die Angst, dass sie in den Fluten der Musikindustrie unter Wasser gerät, dahin­ter. Nicht, dass man sie aus­nut­zen wür­de – ich den­ke, dass ist weni­ger die Gefahr, als ein künst­le­ri­sches Wundlaufen. Wer zu schnell wächst, hat bald zuwe­nig Bodenhaftung. Hoffen wir, dass Jorane nicht so weit reist. Trotzdem: Mit dem Konzert in der Mühle Hunziken hat es Bern wie­der ein­mal ver­passt, eine wah­re Entdeckung zu machen.

Empfehlenswerte Discographie:

„Vent fou»
Das erste Album von Jorane. Jugendlich, zum Teil rebel­lisch wild. Eines der schön­sten Alben zugleich, weil mit sehr wenig Brimborium pro­du­ziert. Dass sie damit Aufsehen erreg­te, ist ziem­lich deut­lich nach­zu­emp­fin­den…

„16mm“
Die brü­chi­ge Beschaffenheit von „16mm“ und künst­le­ri­sche Natürlichkeit erin­nern an einen 16-mm-Film. Die sanf­te, teils sehr inten­si­ve Musik illu­sio­niert dem Zuhörer, dass er Teil eines Films ist. Durch ihre Arbeitsweise hat Jorane eine gute Beziehung zum Film. Sie kann Atmosphären und Bilder ein­drucks­vol­ler wer­den las­sen – so auf dem Soundtrack zu dem neu­en Film „I am Dina“ mit Gérard Depardieu oder dem Film „Je n’aime que toi“.

„Jorane – Live»
Ein wirk­lich fas­zi­nie­ren­des Album. Die Bühne wird zum Klangkörper und zeigt ein­drück­lich, was man bei einem Konzert von Jorane alles erwar­ten kann. So hat sie in der Mühle Hunziken gespielt – echt, frisch musi­ka­lisch breit.

„Jorane»
Dieses Album wur­de spe­zi­ell für den deut­schen Markt ent­wickelt und zusam­men­ge­stellt. Keine welt­be­we­gen­de Sache, doch eine gute „Sammlung“ einer kana­di­schen Wilden…

„The You and The Now»
Dies sei das per­sön­lich­ste Album, sagt Jorane sel­ber. Hier haben die gros­sen Herren mit­ge­wirkt, hier hat sie sich auch im Stil ziem­lich weit bewegt. Man merkt, dass die Balance der frü­he­ren Alben ver­än­dert und neue Grenzen gesucht wur­den. Das ist gut gelun­gen. Es hat schön­ste Juwelen und Balladen auf der CD – es lohnt sich hier rein­zu­hö­ren.

www.jorane.com

Bild: zVg.
ensuite, Dezember 2004