Kleinstadtblues einer Theatergruppe

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[Von Sylvia Mutti]  Kaum ist das Saallicht erlo­schen, wähnt man sich auch schon im fal­schen Stück. In schwar­zer Robe leuch­tet sich Lady Macbeth mit Kerzenlicht den Weg durch die dunk­le Nacht, beklagt im schön­sten Englisch den dunk­len Fleck auf ihrer Hand, Ausdruck ihrer nicht min­der fin­ste­ren Seele, die das Leben ihres Gatten auf dem Gewissen hat. Doch jäh wird ihr Monolog vom gleis­sen­den Bühnenlicht unter­bro­chen. Unvermittelt fin­det sie sich in einer Gruppe Menschen wie­der, deren Rädelsführer, offen­sicht­lich ein Lehrer, mit Leib und Seele päd­ago­gisch wert­vol­le Klatsch- und Singspiele vor­zeigt und zum Mitmachen ani­miert.

Solch kras­se Wechsel und Brüche zwi­schen Zeit‑, Orts- und Darstellungsebenen sind in Beat Sterchis Theaterstück „Der Fels. Das Fest. Der Fluss“, das im Casino Theater Burgdorf zur Uraufführung kam, Programm. Anlässlich ihres 25-jäh­ri­gen Bestehens hat die Theatergruppe Burgdorf den renom­mier­ten Berner Schriftsteller beauf­tragt, ein Stück zu ihrem Jubiläum zu ver­fas­sen. Entstanden ist ein „Palavertext“, wie Sterchi ihn nennt (vgl. „Ensuite“ Nr. 58, Jan 2010), ein umfang­rei­ches und dich­tes Sprachkonvolut, basie­rend auf teils mehr­stün­di­gen Interviews, die Sterchi mit den vier­zehn Mitgliedern der Truppe geführt hat. Dabei ging Sterchi mit sei­nen Fragen der Theatergruppe selbst und ihrer Stadt auf den Grund. Der Autor hat den acht Darstellerinnen und sechs Darstellern, alle­samt enga­gier­te Amateure mit beacht­li­cher Bühnenpräsenz, die eige­nen Erzählungen mass­ge­schnei­dert wie­der in den Mund gelegt, was das nicht zu unter­schät­zen­de Risiko mit sich bringt, auch mal nie­mand ande­ren als sich selbst spie­len zu müs­sen. Die Aussagen aus den unter­schied­lich­sten Perspektiven reflek­tie­ren nicht nur Theater und Schauspielerei, son­dern auch das Leben in einer Kleinstadt; selbst das zuwei­len ver­schro­be­ne Burgdorfer Brauchtum wie die Solätte wer­den the­ma­ti­siert, wobei die Ansichten dazu von „bire­weich“ bis „ein­fach schön“ aus­ein­an­der­drif­ten.

So pral­len mit Witz und Schalk ver­se­he­ne Meinungen aus den Mündern von Jedermann und Jederfrau auf­ein­an­der, Charaktere, die zur Identifikation gera­de­zu ein­la­den. Da wäre bei­spiels­wei­se der selbst­be­wuss­te Jungspund, ein Zugewanderter aus dem euro­päi­schen Osten, der sich bereits die gros­sen Rollen zutraut und James Dean aus dem Effeff beherrscht, wäh­rend der auf Mami-Typen abon­nier­te Darsteller so ger­ne ein­mal den „Saucheib“ spie­len wür­de; um Aufmerksamkeit heischt auch die dyna­mi­sche Politikerin mit mehr­heits­fä­hi­gem Allerweltsprogramm, die mal von rechts, mal von links Applaus erhält; immer eng am Puls der Zeit bewegt sich die rasen­de Reporterin, die auf all ihre kri­ti­schen Fragen kei­ne brauch­ba­ren Antwort erhält, wäh­rend die hei­mat­ver­bun­de­ne Stadtführerin Burgdorfs Sehenswürdigkeiten prä­sen­tiert und dabei gekonnt vom Bündner in den Berner Dialekt wech­selt.

Fernab von shake­speare­schen Dramenpotenzial ist es vor allem der Alltag, wel­cher die Burgdorfer auf Tab hält. Das nöti­ge Kleingeld für den Migros-Einkaufswagen nicht dabei zu haben, kann sich durch­aus zu einer Tragödie ent­fal­ten, wie auch die Tatsache, stän­dig an die fal­schen Männer zu gera­ten oder wenn nach der Hochzeit zwi­schen „buure“ und „Theater“ nur noch die Alternative „Buuretheater“ übrig bliebt.

Der straf­fen Führung der in Basel leben­den Regisseurin Ursina Greuel ist es zu ver­dan­ken, dass die dis­pa­ra­ten Textteile unter­schied­lich­ster the­ma­ti­scher Ausprägung wie selbst­ver­ständ­lich naht­los inein­an­der über­ge­hen. Für kur­ze Episoden tre­ten ein­zel­ne Protagonisten aus der Gruppe her­aus, die mehr­heit­lich kom­plett die Bühne bevöl­kert. Musikalische, sän­ge­ri­sche und tän­ze­ri­sche Einsprengsel lockern die Textlastigkeit des rund 75minütigen Mundartstückes auf und brin­gen die indi­vi­du­el­len Talente der Schauspielerinnen und Schauspieler zum Vorschein, wäh­rend sich die Schauplätze rasant vom Theater ins Restaurant, an die Solätte oder ans Ufer der Emme ver­schie­ben. Als ver­ein­heit­li­chen­des Element dient das zurück­hal­ten­de Bühnensetting des Burgdorfer Malers Heinz Egger, so dass aus einer Rampe und ein paar Stühlen vor schil­lernd blau-grün-gel­bem Hintergrund lau­fend klei­ne Universen und Oasen für die Schauspieler ent­ste­hen.

Mitten im harm­lo­sen Alltagsgeplänkel wer­den immer wie­der Streiflichter auf die aktu­el­le poli­ti­sche Agenda gewor­fen, wie die längst fäl­li­ge Sanierung des Casino Theaters, was in der ket­ze­ri­schen Frage mün­det, ob denn in Burgdorf über­haupt ein Theater nötig sei. Wenigstens hier fasst sich die Politikerin, im Gewand der brecht­schen Mutter Courage, ein Herz und äus­sert im tief­sten Brustton der Überzeugung: „Natürlich braucht es das!“, ein Votum für die Kultur, wo Spiel und Realität sich untrenn­bar ver­brü­dern.

Wie ein grie­chi­scher Tragödienchor erhebt sich viel­stim­mig in natür­lich dahin­plät­schern­den Alltagsdialogen die all­ge­mei­ne Befindlichkeit der Bevölkerung, die auch mal ihrem geball­ten Unmut Luft ver­schafft. Das rhyth­misch skan­dier­te „Niemer macht öppis“ schwillt zum Kleinstadtblues, eines Ortes, der eben vor allem eines sei: Provinz. Und den­noch ist „Der Fels. Das Fest. Der Fluss.“ eine Liebeserklärung an eine mit­tel­län­di­sche Schweizer Durchschnittsstadt mit­samt ihren Bewohnern und bie­tet auch für nicht in Burgdorf Verwurzelte leicht­füs­sig kurz­wei­li­ge Unterhaltung.

Weitere Vorstellungen:

Sa, 30.1. 20h
So, 31.1. 17h
Sa, 6. 2 , 20h
So, 7. 2. 17 h

Casino Theater Burgdorf
Tickets: www.theaterburgdorf.ch

www.tgburgdorf.ch

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