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Klartext ensuite 2004

Neue Medienpartnerschaft

Als Lukas Vogelsang am 23. März 2004 das Telefon abnimmt, staunt er nicht schlecht. Bei ihm mel­det sich die Espace Media Groupe – die unter ande­rem die «Berner Zeitung» BZ und den «Bund» her­aus­gibt – und lädt ihn als Chefredaktor des Kulturmagazins «ensuite» für den näch­sten Tag zu einer Sitzung ein. Traktandum: Möglichkeiten einer Zusammenarbeit.

Die geplan­te Kulturagenda

Vogelsang ist ein inter­es­san­ter Mann, weil er etwas tut, das man in Bern eigent­lich gar nicht kann: Er macht ein Ausgehmagazin, obschon in Bern der Markt klein und das Inserateaufkommen zur­zeit unbe­deu­tend ist. Das war nicht immer so: In bes­se­ren Jahren hat­ten sich die BZ mit dem «Nonstopp» und der «Bund» mit der «Berner Woche» eige­ne Kulturmagazine gelei­stet. Im April 2002 lan­cier­ten sie mit dem «Ansager» ein gemein­sa­mes Schrumpfprodukt, ein Jahr spä­ter stell­ten sie aus Spargründen auch die­ses ein.

Ende März 2003 wähl­te die Stadt Bern Christoph Reichenau zum neu­en Kultursekretär. Während es sein Vorgänger Peter J. Betts schaff­te, ein Vierteljahrhundert lang ein Gerücht zu blei­ben, misch­te Reichenau sich noch vor sei­nem offi­zi­el­len Arbeitsbeginn in die Kulturmagazin-Debatte ein. Seine Position: Ein Periodikum, in dem die kul­tu­rel­len Anlässe der Region ange­zeigt sind, ist eine Dienstleistung, die erbracht wer­den muss. Wenn sie die Privaten nicht erbrin­gen wol­len oder kön­nen, muss die Öffentlichkeit aktiv wer­den.

Aber Reichenau lan­cier­te nicht nur eine für ein­mal umge­kehr­te Service public-Debatte. Er lud sämt­li­che nam­haf­ten Berner Kulturveranstalter an einen Tisch und initi­ier­te die «Projektgruppe Kulturblatt», die unter der Federführung der «Abteilung Kulturelles» unter­des­sen Statuten für einen «Verein Kulturagenda», das Konzept für eine sol­che Agenda und einen Finanzierungsplan aus­ge­ar­bei­tet hat.

Für das Konzept zeich­net die Burgdorfer «Rederei. Büro für Kommunikation» von Sabine Käch. Danach ist ein 32seitiges, vier­zehn­täg­lich erschei­nen­des Magazin im Tabloidformat vor­ge­se­hen, das in einer Startauflage von 15’000 Exemplaren an rund 150 Auflageorten in Kulturinstitutionen und Restaurants gra­tis abge­ge­ben wer­den soll. Das Magazin besteht aus einer Agenda und einem redak­tio­nel­len Teil, der unter Kächs Leitung von einem «Redaktorenpool, bestehend aus meh­re­ren frei­en Journalisten» gemacht wer­den soll. Letztere erhal­ten neben den Honoraren für ihre Beiträge ein Sockelfixum von 500 Franken.

Das vor­lie­gen­de Grobbudget sieht einen Gesamtaufwand von 776’680 Franken bei Inserateeinnahmen von 208’000 Franken vor. Von der Differenz von 568’680 Franken über­neh­men die KulturveranstalterInnen 300’000 Franken, die Öffentlichkeit 220’000 Franken (150’000 Franken davon die Stadt Bern). Für den Rest der Differenz wer­den Sponsoren gesucht.

Im Grundsatz haben die KulturveranstalterInnen die­ses «Rederei»-Konzept abge­seg­net. Zurzeit wird es ver­fei­nert und danach in die Vernehmlassung geschickt. Anfang August 2004 soll, so der Plan, die erste «Kulturagenda» erschei­nen.

«ensuite» – das Kulturmagazin

Nun ist es aber so, dass es nach der Einstellung des «Ansagers» im April 2003 noch Leben gab in Berns Ausgehmagazin-Wüste. Seit dem Januar erschien näm­lich das Kulturmagazin «ensuite». Dahinter steht der Verein «We are, Bern», der den Auftrag für die Herstellung des Magazins an die «Interwerk GmbH» wei­ter­ge­ge­ben hat. Hinter bei­den Organisationen steht vor allem ein Mann: Lukas Vogelsang, der sich sel­ber als «Initiator und Chefredaktor» von «ensuite» bezeich­net.

Vogelsang ist ein bered­ter Kulturaktivist und ein Medienpionier mit bemer­kens­wer­ter Power. Aus dem Nichts hat er ein unter­des­sen 15 Mal erschie­ne­nes Magazin aus dem Boden gestampft. Zurzeit pro­du­ziert unter sei­ner Leitung ein 23-köp­fi­ges, gra­tis arbei­ten­des Redaktionsteam ein 56-sei­ti­ges Heft im Tabloidformat, das neben einer 24-sei­ti­gen Agenda auch einen «natio­na­len Eventkalender» bie­tet. Das Jahresbudget von rund 80’000 Franken wird aus Werbeeinnahmen bestrit­ten, zudem steu­ern die Migros und die Burgergemeinde ins­ge­samt knapp 20’000 Franken bei. «ensuite» liegt zur­zeit an 214 Standorten in ins­ge­samt 10’000 Exemplaren auf.

Aber war­um arbei­ten Reichenau und Vogelsang nicht ein­fach zusam­men? «Diese Geschichte tut mir weh», sagt Reichenau, «eine Zusammenarbeit wäre gewünscht und ein Vertrag mög­lich gewe­sen». Vogelsang habe im letz­ten Herbst von der Stadt den bezahl­ten Auftrag erhal­ten, ein Konzept vor­zu­le­gen. In der Diskussion dar­um sei er aber dann nicht auf die Bedürfnisse der «Projektgruppe Kulturblatt» ein­ge­gan­gen, habe sein «ensuite» tel­quel durch­set­zen wol­len, obschon die­ses nicht das voll­stän­di­ge städ­ti­sche Kulturangebot ver­läss­lich abbil­de. Zudem sei sei­ne Offerte «schlicht zu teu­er» gewe­sen.

Das sieht Vogelsang anders: Er habe ein rea­li­sti­sches Konzept vor­ge­legt, vier­zehn­täg­lich erschei­nen zu wol­len sei unrea­li­stisch. Im Übrigen, fügt er hin­zu, igno­rie­re die Stadt, dass es bereits einen funk­tio­nie­ren­den Markt gebe: «Die Stadt soll zwar Privatinteressen sub­ven­tio­nie­ren, aber es ist nicht ihre Sache, sie zu kon­kur­ren­zie­ren».

Gespräche mit Espace Media Groupe

Mit dem Anruf der Espace Media Groupe hat Vogelsang nun einen mäch­ti­gen Verbündeten bekom­men. Unterdessen hat die gemein­sa­me Sitzung statt­ge­fun­den. Beschlossen wur­de, so die BZ- und «Bund»-Verlagsdirektorin Franziska von Weissenfluh, eine «Partnerschaft, die bei­den Parteien nüt­zen soll». Konkret geht es um gegen­sei­tig zur Verfügung gestell­ten Inserateraum. Ob BZ und «Bund» im «ensuite» Image- oder Abowerbung machen, ist noch nicht ent­schie­den. Sicher ist, dass BZ und «Bund» per Inserat ihrem Abonnenten und Abonnentinnen das «ensuite» zu einem Vorzugspreis anbie­ten.

Von Weissenfluh betont, dass die neue «Geschäftsbeziehung» zum «ensuite» nicht im Zusammenhang mit der geplan­ten «Kulturagenda» der Stadt ste­he – umso mehr, als sie von Reichenau in die­ser Sache noch nie begrüsst wor­den sei. Genau das will Reichenau nach­ho­len, denn ins­be­son­de­re beim Druck und beim Vertrieb wäre der «Kulturagenda» eine Zusammenarbeit mit der Espace Media Groupe höchst will­kom­men. Allerdings ist er rea­li­stisch: «Wir ver­fol­gen bei der wei­te­ren Planung der Kulturagenda eine Doppelstrategie: mit oder ohne Espace Media Groupe.»