Kinderpornografisches Kunstkorsett – Der Fall Teichtmeister

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Von Regula Staempfli – Kunst schert sich weder um Recht noch um Moral: Florian Teichtmeister wur­de am Freitag, dem 13. Januar 2022 wegen Kinderpornografie ange­klagt und den­noch blieb ‚Corsage‘, in dem Teichtmeister, der die zwei­te Hauptrolle spielt, im Rennen für die Oscars 2023. Unsere Autorin Regula Stämpfli sieht dar­in eine Ohrfeige des Kunstbetriebs an uns alle.

Marie Kreutzer zeigt Kaiserin Sisi mit Stinkefinger. Sisi beschimpft ihren Ehemann, spritzt sich Heroin und geht fremd. Vicky Krieps ist zum Verlieben kalt, groß, eigen­sin­nig und distan­ziert; Florian Teichtmeister ver­kör­pert im Film einen sehr häss­li­cher Kaiser Franz Joseph – bren­nend schlecht, wie ich fin­de, aber egal. Der Film soll an die Oscars gehen, als öster­rei­chi­scher Beitrag, ganz gleich was in den letz­ten Tagen publik wur­de und das spricht Bände. Der Entscheid ‚Corsage‘ an die Oscars zu schicken, ist eine wei­te­re Ohrfeige des Kunstbetriebes an uns alle. Kinderpornografie, so scheint es, ist ja „nur“ straf­bar; eine Kategorie, die Kunst nicht wirk­lich stört, ich bit­te Sie! Das Recht hat an deutsch­spra­chi­gen Bühnen der Nachkriegszeit bis­her weder Hoch- noch Niedrigkultur inter­es­siert. Verständlich, denn Jahre zuvor wur­de im Namen des Rechts, Massenmorde an deutsch­spra­chi­gen Bühnen kul­tu­rell vor­be­rei­tet. Kein Wunder ver­wehr­ten sich deutsch­spra­chi­ge Nachkriegstheater jeg­li­chen Eingriffs von Seiten des Staates, und sie poch­ten auf einen Freiheitsraum, der über Jahrzehnte hin­weg das Publikum auf eine Kultur von Sex, Shit und Scream trai­nier­te. Selbstverständlich muss da „Corsage“ Österreichs Oscar-Kandidatin blei­ben. Die Regisseurin Marie Kreutzer schreibt denn auch lapi­dar: „Diese Nachricht hat uns schockiert. Unsere Haltung dazu ist ein­deu­tig. Der Besitz und der Konsum von Darstellungen von Kindsmissbrauch schaf­fen die Grundlage für die Produktion und Verbreitung sol­cher Darstellungen und ist damit mit­ver­ant­wort­lich für das Leid unzäh­li­ger Kinder.“ Zu Florian Teichtmeister nur der fol­gen­de Satz: „Er muss sich nun vor einem ordent­li­chen Gericht dafür ver­ant­wor­ten.“ Und wie­der kommt sie, die­se Trennung von Werk und Künstler: „Teichtmeister ist nicht ‚Corsage‘ und sei­ne Person ist von der her­aus­ra­gen­den künst­le­ri­schen Leistung der Regisseurin Marie Kreutzer und dem Film ‚Corsage‘ selbst klar zu tren­nen.

Verständlich und wie, aber lei­der nein!

Marie Kreutzer wuss­te laut Oe1 von den Vorwürfen an Florian Teichtmeister kurz nach der Produktion zu ‚Corsage‘, ver­trau­te des­sen Versicherung, dass es sich dabei nur um Verleumdung hand­le und die Sache sei schnell aus­ge­ses­sen. In den USA hät­te jede Regisseurin sofort die Reißleine gezo­gen – zu groß das Reputationsrisiko, zumal die Zeitungen schon bei Drehschluss von ‚Corsage“ im Herbst berich­tet haben, dass die Staatsanwaltschaft ermit­telt und es um kin­der­por­no­gra­fi­sches Material gehe. Im Nachhinein eigent­lich unfass­bar, nicht wahr? Marie Kreutzer is eine fan­ta­sti­sche Regisseurin, wes­halb nur kick­ten hier die femi­ni­sti­schen Instinkte nicht ein? Kann es sein, dass für Kunst und Künstler ein­fach ande­re Massstäbe gel­ten, respek­ti­ve auch völ­lig Absonderliches bis hin zu Verbrechen «nor­mal» sein muss und darf?

Im Namen der Kunst kön­nen Verbrechen began­gen wer­den, beson­ders beliebt sind Vergewaltigung oder „Beziehungsdramen“, in denen eine Frau ermor­det wird – sie­he Phil Spector – was der Karriere kei­nen Abbruch bringt, im Gegenteil. Wer, auch zag­haft nur, dar­auf ver­weist, dass dies ganz nor­ma­le Verbrechen sind, wird zum gna­den­lo­sen Spießer, zur Ewiggestrigen dif­fa­miert und erlei­det den Tod aller Kunstschaffenden, näm­lich den Ruf „einer Moralistin“. Wohl des­halb wur­de Teichtmeister so leicht­fer­tig ver­traut und geglaubt, selbst bei Verdacht auf Besitz von Kinderpornografie. 

Nennen Sie mich alt­mo­disch. Aber ich fin­de bspw., wenn Jan Böhmermann am öffent­lich-recht­li­chen Fernsehen, Frauen auf den Scheisshaufen wirft und sie mit einem Hashtag #turds unter Beifall aller miso­gy­nen Kerle auf Twitter ent­sorgt, nicht nur unap­pe­tit­lich, son­dern men­schen­ver­ach­tend und ver­fas­sungs­wid­rig. Wenn Zeitungen im Herbst 2021 über einen sehr bekann­ten Schauspieler berich­ten, gegen den staats­an­walt­schaft­lich wegen Besitz von Kinderpornografie ermit­telt wird, wer­de ich hell­hö­rig und wür­de dies mein Unternehmen betref­fen, ich wür­de sofort Konsequenzen zie­hen, denn nicht nur ist der Reputationsschaden rie­sig, son­dern es wür­de auch die Aufsichts- und Sorgfaltspflicht gegen­über den ande­ren Angestellten ver­let­zen. Nennen Sie dies alt­mo­disch wie mei­ne Unterscheidungskraft, wenn ein Künstler pri­vat einer men­schen­ver­ach­ten­den Ideologie wie die der Kinderpornografie ver­fal­len ist – und das ist Kinderpornografie, sie­he dazu die neu­en Berichte zum Phänomen, das sich dank Internet mil­li­ar­den­fach ver­brei­tet hat – dann ist des­sen Kunst nicht mehr unschul­dig, Punkt. Seine Kunst muss in Anbetracht der Vorwürfe als Inszenierung und als Teil einer sehr ver­que­ren und anti­mensch­li­chen Haltung ver­stan­den wer­den. Sollte sich der Verdacht erhär­ten, dass Teichmeister auch an Filmsets Fotografien von Minderjährigen für sei­ne por­no­gra­fi­sche Sammlung geschos­sen hat, ver­knüpft sich Leben und Werk sehr direkt.

Die Wirklichkeit ist kei­ne Fiktion, egal wel­che Story sich Florian Teichtmeister sel­ber kon­stru­iert hat, um vor sich zu ent­schul­di­gen, dass er seit über vier­zehn Jahren Kindsmissbrauchsbilder sam­melt. Wir erin­nern uns an die Alt-68er – das war ja eine ande­re Zeit – die auch mein­ten, sie kön­nen jede Perversion als gesell­schaft­li­chen Fortschritt weg­wi­schen und auch Sex mit Minderjährigen völ­lig ok fin­den. Wir erin­nern uns an Michel Foucault – der Vorzeigeintellektuelle aller Postkolonialisten und Butler-Feministinnen, der 1984 gestor­ben ist und gegen den schwe­ren Vorwürfe wegen Kindesmissbrauch erho­ben wur­den (SZ 8.April 2021). Wer nur die Ästhetik sieht und jede Vernunft oder gar demo­kra­ti­sche Fortschritt als kunst­fern eti­ket­tiert, dem geht es nur um L’art pour l’art, in der auch Kindsmissbrauch zur ästhe­ti­schen Inszenierung mutiert.

Deshalb erken­nen die Kommentatoren den Widerspruch nicht, ‚Corsage‘ als femi­ni­sti­sche Botschaft und Inszenierung mit einer nun wegen Besitz von Kinderpornographie ange­klag­ten Hauptfigur bei den Oscars ein­fach ein­zu­rei­chen als wäre nichts pas­siert. Mein Mitgefühl gilt übri­gens hier nicht der Regisseurin, son­dern den ermit­teln­den Beamtinnen und Beamten, die sol­cher­lei Böses sich­ten muss­ten. Es ist zutiefst patri­ar­chal und zeugt von archai­schen Machtverhältnissen, wenn Konsequenzen des eige­nen Handelns NICHT mit­be­dacht wer­den. Deshalb zeigt sich Kreutzer nur „trau­rig und wütend“, dass „ein femi­ni­sti­scher Film, an dem mehr als 300 Menschen aus ganz Europa jah­re­lang gear­bei­tet haben, durch die grau­en­vol­len Handlungen einer Person so beschmutzt und beschä­digt wird“ – statt die­sen zurück­zu­zie­hen und Teichtmeister zu erset­zen, neu zu schnei­den und den Film so neu zu posi­tio­nie­ren. Glauben Sie mir: Ich lei­de mit Marie Kreutzer, es ist der grösst­mög­li­che Supergau für den Film, aber noch­mals: Mein Mitgefühl mit den Menschen, die Teichtmeisters kin­der­por­no­gra­fi­sche Material sich­ten muss­ten, ist grös­ser.

Die Dreharbeiten fan­den vor den Ermittlungen gegen Teichtmeister statt und waren im Sommer 2021 abge­schlos­sen. Seither gab es kein Dienstverhältnis mehr mit den Produzenten. Doch wie kann es sein, dass Kreutzer nicht sel­ber recher­chiert und nach­ge­dacht hat, bei all ihren Vorträgen zu Sexismus, Machtmissbrauch und Schutz von Opfern? Sebastian Brauneis, der 2018 bei sei­nem „Zauberer“ auch mit Teichtmeister gear­bei­tet hat, ist seit­dem auf Distanz und meint: ‚Corsage‘ hät­te man unbe­dingt nach­dre­hen müs­sen und Teichtmeister neu beset­zen. Dies wäre zwar unan­ge­nehm, aber nicht unmög­lich gewe­sen.

Kreutzer wäscht sich die Hände in Unschuld: Künstler ver­trau­en ein­an­der – sie sind schließ­lich die Guten gegen das böse Establishment, ohne zu mer­ken, dass ihr eige­nes Gebilde in den eige­nen Reihen Abgründe zele­briert, die einem erschau­ern machen. Auch Martin Kusej, sei­nes Zeichen Burgtheater-Direktor ver­si­cher­te, er habe im September 2021 Teichtmeister mit den Vorwürfen, die nota­be­ne von Leitmedien ver­brei­tet wur­den und deren Tragweite „Kinderpornografie“ beinhal­te­ten, kon­fron­tiert, und „die­ser“ hät­te „glaub­haft“ alles bestrit­ten. Teichtmeister den­noch vie­le Hauptrollen spie­len zu las­sen, ist fahr­läs­sig und der Verweis, arbeits­recht­lich kei­ne ande­re Chance gehabt zu haben, wur­de schon längst in der Presse ent­kräf­tet. Natürlich hät­te man nach einem der­ar­ti­gen Vorwurf den Schauspieler kalt­stel­len sol­len. Da war der ORF viel cle­ve­rer: In den „Die Toten von Salzburg“ taucht der ehe­ma­li­ge Superstar der Serie nur ganz am Rande und nur noch kurz auf. Offensichtlich wuss­ten die Verantwortlichen um das Reputationsrisiko. Doch der Burgtheaterchef Kusej konn­te gar nicht genug von Teichtmeister krie­gen. In Shakespeares „Der Sturm“ spiel­te Caliban Florian Teichtmeister, der mit dem pro­phe­ti­schen Satz endet: „Die Hölle ist leer, alle Teufel sind hier!“

Auch in „Nebenan“ – seicht von den bei­den Daniels zum Film gemacht (Daniel Kehlmann und Daniel Brühl) spielt Teichmann die Hauptrolle. Als wäre es ein Omen: Die schwar­ze Komödie „Nebenan“ dreht sich um Privates und Öffentliches: Es geht um den bit­ter­bö­sen Streit von Macht und Besitz. Im Stück geht es um Daniel/Florian, der von Bruno ver­folgt wird, der „jede ein­zel­ne Leiche, die im Keller des berühm­ten Filmschauspielers begra­ben liegt, beim Vornamen kennt.“ Welcher Vorname Florian Teichtmeister, der die Rolle von Daniel/Florian über­nom­men hat sei­ner mut­maß­li­chen Sammlung von Kinderpornografie wohl gege­ben hat?

 

Nachtrag:

Am 8. Februar 2023 wird sich der öster­rei­chi­sche Schauspieler vor einem Wiener Gericht ver­ant­wor­ten müs­sen. Laut Pressemitteilungen und sei­nem Anwalt will Teichmeister sich schul­dig beken­nen, zwi­schen 2008 und 2021 in gro­ßem Umfang Missbrauchsbilder von Kindern beses­sen zu haben. Es gilt die Unschuldvermutung. Am 24. Jänner 2023 wur­de bekannt, dass «Corsage» nicht für den Oscar nomi­niert wird. Alles ande­re wäre auch erstaun­lich gewe­sen. 

 

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