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Keine Napfschnecken an die Macht

Von Patrik Etschmayer - Populisten darf man nicht wah­len! Auch wenn das absurd tönen mag: Mit dem Inhalt der Politik hat es nur zum einen Teil zu tun. Ja, sicher, die Forderungen der Populisten sind meist ras­si­stisch, spal­te­risch, rück­sichts­los, men­schen­ver­ach­tend und abstos­send. Sie spre­chen mit ihrem Hass tief­lie­gen­de Frustrationen an, und ern­ten so Stimmen als Resultat von Frust und Enttäuschung der Verlierer unter ihren Wählern. Doch … war­um nicht ein­mal eine Fruststimme abge­ben, das näch­ste Mal kann man das ja wie­der kor­ri­gie­ren. Oder?

Zumindest in par­la­men­ta­ri­schen Demokratien soll­te das ja kein Problem sein. Ist es aber. Sobald Populisten näm­lich mal im Amt an der Macht sind, kle­ben sie an die­sem wie Napfschnecken an einem Küstenfelsen, sau­gen sich beim gering­sten Risiko eines Machtverlustes mit unglaub­li­cher Kraft fest, sodass sie fast nicht mehr von ihrem Posten zu lösen sind.

Dies ist ein von Anfang an geplan­tes Vorgehen, denn die Abschaffung der Demokratie ist immer Teil des Populistenplans (Hitler ist dafür das am besten doku­men­tier­te Beispiel). Zum einen, weil die intel­li­gen­te­ren der Populisten wis­sen, dass sie ihre Versprechen ohne­hin nicht ein­lö­sen kön­nen und die­se ledig­lich Lockvogelangebote sind, zum ande­ren, weil die Macht das erste und letz­te Ziel ist, das auf kei­nen Fall auf­ge­ge­ben wer­den darf. Deshalb sind die­se Bewegungen die Antithese der Demokratie, die ja auf der frei­wil­li­gen Abgabe der Macht als Grundlage basiert.

Populisten hal­ten von der Demokratie nur so lan­ge was, bis sie die Macht ergrif­fen haben. Ist das erst mal erle­digt, kön­nen – ja, müs­sen – demo­kra­ti­sche Strukturen und Einrichtungen besei­tigt wer­den. Verunglimpft wer­den die­se ja schon zuvor, solan­ge deren Positionen mit ihren eige­nen im Widerspruch ste­hen. Da wird gegen die unab­hän­gi­ge Justiz gewet­tert und sowohl Rede- und Pressefreiheit wird für sich selbst zwar hef­tigst ein­ge­for­dert (und impli­ziert, man bekom­me sie nicht), aber gleich­zei­tig allen ande­ren abge­spro­chen.

Wie es dann wei­ter­geht, kann man allent­hal­ben in den Autokratien besich­ti­gen, die momen­tan mit ihren nach Aas und Verwesung stin­ken­den Blumen am Erblühen sind. Erst ein­mal instal­liert, wird das Volk die­se schma­rot­zen­den Lügenbarone fast nicht mehr los: Ob es nun Maduro in Venezuela, Erdogan in der Türkei, Putin in Russland oder Orban in Ungarn ist – die Vernapfschneckung der­je­ni­gen, die so voll­mun­dig beschwo­ren haben, nur für ihr Volk da zu sein, ist in die­sen Ländern schon in unter­schied­li­chem Masse vor­an­ge­schrit­ten.

Am harm­lo­se­sten von den oben Genannten ist noch Viktor Orban, der macht­be­sof­fe­ne Provinzautokrat, des­sen Versuche, die Demokratie aus­zu­he­beln, an sei­ner Abhängigkeit von der EU immer wie­der schei­tern, obwohl die EU ihn schon viel zu weit auf sei­nem Weg gehen liess, Ausländer zu dis­kri­mi­nie­ren und durch Wahlkreismanipulationen sei­ne Wiederwahl fast sicher zu machen. Das Verfassungsgericht stellt ihm mit­un­ter noch ein Bein, scheint nur noch ein klei­nes Hindernis für ihn zu sein. Es muss aber gesagt wer­den, dass Orbans Haftkraft weit­ge­hend unfrei­wil­lig von der zer­strit­te­nen Opposition unter­stützt wird, die es anschei­nend nicht schafft, sich zu einer Bewegung mit Schlagkraft zu for­mie­ren. Dass Orban ein Fan von Wladimir Putin ist, darf einen dabei nicht ver­wun­dern, erhofft er sich von jener Seite doch wirt­schaft­li­che Unterstützung, soll­te die EU wirk­lich ein­mal zuschla­gen und sei­ne anti­de­mo­kra­ti­schen Aspirationen zu unter­drücken suchen. Orban klebt ziem­lich, aber ver­mut­lich könn­te er noch abge­löst wer­den. Der Napfschneckenindex NSI beträgt 4.

Um eini­ges kras­ser ist da schon Nicolás Maduro, der Busfahrer, der dank hün­di­scher Treue zum Charismatiker Chávez von die­sem zum treu­en Vize gemacht wur­de, nach des­sen Ableben an die Spitze von Venezuela gestol­pert ist und es geschafft hat, Venezuelas Sink- in einen Sturzflug zu ver­wan­deln, durch den das Land längst schon auf dem Boden auf­ge­schla­gen ist. Doch der völ­li­ge wirt­schaft­li­che, poli­ti­sche, mora­li­sche und gesell­schaft­li­che Absturz reicht Maduro, der sich mit sei­ner Clique zusam­men scham­los berei­chert und kol­por­tier­ter­wei­se schon Hunderte von Millionen Dollar gestoh­len hat, noch nicht. Immer noch «ver­tei­digt» er das Volk, wel­ches ihn am lieb­sten an einem Baum hän­gen sähe, wei­ter vor den «bösen Imperialisten». Ermöglicht wird dies nur noch durch das von ihm durch alle Krisen hin­durch pri­vi­le­gier­te Militär und den von ihm mit letz­ter Kraft gehät­schel­ten Sicherheitsapparat. Dabei nimmt er jede poli­ti­sche und juri­sti­sche Finte in Anspruch und schreckt auch vor töd­li­cher Gewalt nicht zurück. Die Haftkraft Maduros über­trifft jede Erwartung und ist etwa auf 7 NSI anzu­ord­nen.

Noch nicht ganz so rui­nös – der völ­li­ge Kollaps der Türkei hat erst begon­nen – ist Recep Tayyip Erdogan, wobei sei­ne Grossmachtambitionen eben­so wie sei­ne Kriegstreiberei und sein Personen-Kult-Islamismus sei­ne Alleinstellungsmerkmale sind. Sein Opfern des Friedensprozesses mit den Kurden auf dem Altar der Wahlwiederholung, um bei der Wiederholung der Parlamentswahlen die Mehrheit zurück­zu­ge­win­nen, war ein abstos­sen­des und mör­de­ri­sches Spiel, das noch Tausende das Leben kosten wird – zum Vergnügen Erdogans.

Ebenso wider­lich ist das Instrumentalisieren eines Putschversuchs zum Verbieten und Inhaftieren aller mög­li­chen Oppositionskräfte und zum Beseitigen der letz­ten Reste einer frei­en Presse. Sein Wille, zum Machterhalt selbst Krieg und Zerstörung im eige­nen Land in Kauf zu neh­men, ist ein guter Indikator dafür, dass er mehr an sei­nem Sessel klebt als eine Handvoll Napfschnecken zusam­men: NSE 8!

Doch es gibt noch eine Steigerung: Wladimir Putin zeigt, was ech­te Haftkraft ist: So hält er sich zum Beispiel einen Premierminister, den er für eine Amtszeit als Präsident ein­set­zen kann, wenn ihm die ver­fas­sungs­mäs­si­ge Amtszeitbeschränkung in die Quere kommt. Er ver­bringt so eine Amtszeit als Premierminister, wobei er damals (2008–12) kei­nen Fingerbreit sei­ner Macht abge­ben muss­te. Da unter­des­sen die Amtszeit auf 6 Jahre ange­ho­ben wor­den ist, geht es jetzt min­de­stens bis 2024, bis Putin wie­der eine Auszeit neh­men müss­te. Aber dann wird ver­mut­lich bereits eine wei­te­re Verfassungsänderung durch die Duma gegan­gen sein, die dann besagt, dass Präsidenten mit mehr als 20 Jahren Amtszeit auch gleich auf Lebenszeit blei­ben dür­fen. Egal was pas­siert: bis dahin wird er viel Zeit haben, Oppositionelle zu schi­ka­nie­ren und zu inhaf­tie­ren, Journalisten und Kritiker ermor­den zu las­sen, Bürgerkriege in Nachbarstaaten anzu­zet­teln und sei­ne und die Taschen sei­ner Familie, eben­so wie jene sei­ner wil­li­gen Helfer, mit dem Volksvermögen zu fül­len. Dies alles, wäh­rend «patrio­ti­sche Hacker», die angeb­lich gar nichts mit der Regierung zu tun haben, Wahlen und Abstimmungen in der gan­zen Welt beein­flus­sen und dies irgend­wie von sei­nem Staatsgebiet aus, ohne vom all­ge­gen­wär­ti­gen Überwachungsapparat bemerkt zu wer­den, bewerk­stel­li­gen. Putins NSI beträgt 10+ und ist fast nicht zu top­pen, da er über Medien, Justiz, Sicherheitsapparat und Netzwerke jene Kontrolle aus­übt, von der manch ande­re Napfschnecke auf dem Präsidentensessel nur träu­men kann.

Wie zum Beispiel Donald Trump, der aller­dings einen so fürch­ter­li­chen Start hin­ge­legt hat, dass man bezwei­feln darf, dass er sich mehr als eine Amtszeit an sei­nem Sessel fest­saugen kann. Obwohl: Vor einem Jahr hät­te auch noch nie­mand ernst­haft geglaubt, dass er es auf die­sen über­haupt brin­gen wür­de. Und jetzt besteht immer­hin die Möglichkeit, dass er die demo­kra­ti­schen Institutionen der USA aus­höh­len könn­te. Von dem her hat Trump also erst einen NSI von 1. Doch die­ser kann schnell in die Höhe schies­sen, soll­te er es schaf­fen, die Gewaltentrennung irgend­wie zu unter­gra­ben, wobei ihm die Republikaner im Kongress anschei­nend nur all­zu wil­lig die­nen wol­len.

Und selbst wenn man Trump wie­der los­wür­de, ändert sich nichts an der Tatsache, dass ein Populist wäh­rend sei­ner Amtszeit unglaub­li­chen Schaden mit schlech­ten Gesetzen und schreck­li­cher Politik anrich­ten kann. Und das wäre dann der zwei­te Grund, kei­nen sol­chen zu wäh­len, falls der erste nicht reicht. Und umge­kehrt.

 

Bild: Nicolás Maduro