Kein Mainstream!

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Von Dominik Imhof - Die Würfel sind gefal­len, die Wahl getrof­fen. Am 17. Dezember wur­de mit der Wahl des Kurators für Gegenwartskunst des Kunstmuseums Bern über die zukünf­ti­ge Ausrichtung der Gegenwartskunst des Hauses ent­schie­den. Ein Gespräch mit Bernhard Fibicher.

Herzliche Gratulation zu dei­ner Wahl. Es hat sechs Monate gedau­ert, einen Stelleninhaber zu fin­den. Bist du erleich­tert, dass es vor­bei ist?

Ja, selbst­ver­ständ­lich bin ich erleich­tert, weil alles bis zum Schluss offen war und das Ergebnis posi­tiv oder nega­tiv für mich hät­te aus­fal­len kön­nen. Ich bin nicht nur erleich­tert, son­dern ich freue mich auf die neue Aufgabe und hof­fe, dass es gelin­gen wird, an die Ausstellung «Mahjong» anzu­knüp­fen und die all­ge­mei­ne Aufmerksamkeit auf das Kunstmuseum zu len­ken.

Spürst du bereits einen gwis­sen Druck?

Nein, Druck bin ich mir gewohnt, das ist eigent­lich nichts Neues. Druck war schon in der Kunsthalle und im Kunsthaus Zürich da, das ist nichts Neues, damit lebt man, es ist etwas Alltägliches.

Im Vorfeld der Wahl kam es zu eini­gen Ungereimtheiten, im «Bund» waren die Namen der letz­ten bei­den zur Auswahl ste­hen­den Kandidaten bereits vor­her publi­ziert und es war zu lesen: «Kommt ein inter­ner Kandidat oder ein inter­na­tio­nal ver­sier­ter Ausstellungsmacher zum Zug?» Ist hier eine Kritik an dei­ner Laufbahn her­aus­zu­le­sen?

Das kommt ganz dar­auf an, wer das wie lesen will. Ich auf jeden Fall habe es als Kritik ver­stan­den. Generell muss ich dazu sagen, dass ich es sehr bedau­ert habe, dass die Namen und inhalt­li­chen Details wäh­rend eines lau­fen­den Verfahrens an die Öffentlichkeit gedrun­gen sind. Ich fin­de es unver­ant­wort­lich, dass man mit der­ar­ti­gen Informationen an die Presse geht. Ich war also gleich­zei­tig sehr erstaunt, aber auch sehr erzürnt über die­ses Vorgehen.

Zur Ausrichtung der Abteilung Gegenwartskunst am Kunstmuseum Bern sind die Stichworte Tradition und Innovation gefal­len, kannst du das prä­zi­sie­ren?

Das ist natür­lich auch immer eine Frage der Interpretation. Von Seiten gewis­ser Kreise heisst Tradition, wenn man mit jeman­dem wei­ter­fährt, der schon ein Jahr im Haus gewirkt hat. Ich möch­te mein zukünf­ti­ges Programm und auch die Richtlinie, die sich das Kunstmuseum jetzt vor­ge­legt hat, in einem wich­ti­gen Konzeptpapier als inno­va­tiv bezeich­nen, weil hier etwas ver­sucht wird, dass es sonst in kei­nem ande­ren Museum gibt, näm­lich Kunst zu prä­sen­tie­ren, die man nicht an allen ande­ren Orten, Galerien und wich­ti­gen Museen der gan­zen Welt sehen kann, son­dern Arbeiten, die man zum ersten Mal ent­decken kann. Dass war mit «Mahjong» der Fall, das wird auch der Fall sein mit Werken, die aus ande­ren Kulturkreisen stam­men. Ich glau­be, dass sich damit das Kunstmuseum Bern wirk­lich inter­na­tio­nal pro­fi­lie­ren kann, und ich per­sön­lich glau­be abso­lut nicht an Profilierung über ein Insiderprogramm mit wich­ti­gen Namen, die im inter­na­tio­na­len Kunstzirkus her­um­ge­bo­ten wer­den. Es wird sich zei­gen, ob sich die­se Investition und die­ses Risiko loh­nen wer­den. Ich bin über­zeugt davon, dass die Rechnung auf­geht.

 Es wur­de auch davon gespro­chen, dass kein Mainstream gemacht wer­den soll. Heisst das es wer­den Ausstellungen gemacht wie z. B. in der Kunsthalle Bern, die zwar gut sind, aber kein grös­se­res Publikum errei­chen?

Ich fin­de das Programm der Kunsthalle Bern inter­es­sant, weil hier eben auf die­se Namen, die man erwar­tet, die Top Ten oder die ersten Hundert der inter­na­tio­na­len Hitparade, bis­her ver­zich­tet wur­de. Das fin­de ich sehr posi­tiv, wenn man kei­ne Hypes zele­briert, geht man das Risiko ein, dass die Galeristen aus aller Welt nicht nach Bern anrei­sen. Ich fin­de, dass das die Funktion der Kunsthalle ist. In einem Kunstmuseum kann man viel­leicht unbe­schwer­ter sein, weil da die Palette des Angebots unglaub­lich breit ist, von klas­si­scher Moderne bis zu zeit­ge­nös­si­scher Kunst. Das Wichtigste ist, dass das Kunstmuseum anknüpft an das Bestehende, an die Sammlungen, an Ausstellungen, die bereits statt­ge­fun­den haben. Dies bedeu­tet nicht, dass man nicht pro­spek­tiv arbei­ten kann, aber Anknüpfungspunkte braucht es unbe­dingt. Im Gegensatz zu einer Kunsthalle, die im luft­lee­ren Raum arbei­tet, ist die Anbindung an das Bestehende auch das Bestehende aus den 60er und 70er Jahren eine Bedingung. Deswegen ist die Arbeitsweise in einem Kunstmuseum eine ganz ande­re.

 Das heisst, es wer­den dem­nächst die eige­nen Gegenwartskunst-Sammlungen des Kunstmuseums Bern gezeigt?

Ja, die­se Sammlungen ste­hen im Mittelpunkt der Aktivitäten einer Abteilung für Gegenwartskunst. Was aber nicht bedeu­tet, dass man jetzt gan­ze Sammlungen in exten­so, z. B. wäh­rend eines Jahres, zei­gen wird. Das kann gele­gent­lich gesche­hen, denn die Besucher wol­len nicht immer die glei­chen Sammlungen sehen. Mit dem Raumangebot, dass wir in Zukunft haben wer­den rund 1500 m² -, kön­nen wir natür­lich nie alles zei­gen und dann noch Wechselausstellungen ver­an­stal­ten. Ich möch­te Sammlungsbestände in the­ma­ti­sche Ausstellungen inte­grie­ren, wie das 2006 bereits der Fall sein wird. Ich wer­de auch ver­su­chen, die Sammlungen, die eine Identität besit­zen, z. B. «Stiftung Kunst heu­te», «Stiftung Kunsthalle Bern», in ande­re Institutionen zu ver­mit­teln, also die­se Sammlungen oder wenig­stens wesent­li­che Teile davon zu expor­tie­ren, damit die­se Sammlungen auch im Ausland bekannt wer­den. Ich fin­de, das ist eine wich­ti­ge und auch inter­es­san­te Aufgabe.

 Die «Mahjong»-Ausstellung war ein Erfolg, wirst du dar­an anknüp­fen und den Kontakt zu Uli Sigg bei­be­hal­ten?

Ja natür­lich, es wäre scha­de, wenn man da jetzt abbre­chen wür­de. Es wird ab 2006 ein China-Fenster im Kunstmuseum Bern geben und auch eine Art Exklusivvertrag mit Uli Sigg. Es ste­hen da vie­le Möglichkeiten offen, ent­we­der kön­nen ver­schie­de­ne Positionen, die man an ein­zel­nen Werken hat ver­fol­gen kön­nen, anläss­lich einer Ausstellung ver­tieft wer­den, grös­se­re Werkgruppen des­sel­ben Künstlers kön­nen gezeigt wer­den oder man kann den Kunstpreis, den Uli Sigg ins Leben geru­fen hat, in einer Ausstellung im Kunstmuseum prä sen­tie­ren. Diese Auszeichnung, die schon drei Mal statt­ge­fun­den hat, der «Chinese Contemporary Art Award», war bis­her nie mit einer Ausstellung ver­bun­den. Eine wei­te­re Möglichkeit wür­de dar­in bestehen, die Ankäufe von Uli Sigg im Museum erst­mals aus­ser­halb Chinas zu prä­sen­tie­ren. Weiter wer­den wir ein Atelierprogramm für Schweizer Künstler in Peking ein­rich­ten, eine direk­te Folge von «Mahjong». Das Publikum kennt jetzt die chi­ne­si­sche zeit­ge­nös­si­sche Kunst und das Interesse ist geweckt, da wol­len wir unbe­dingt wei­ter­fah­ren.

 Welchen Platz wer­den die Berner Künstlerinnen und Künstler im Kunstmuseum Bern fin­den?

Sie wer­den selbst­ver­ständ­lich auch einen Platz fin­den, das gehört mit zu einer Abteilung für Gegenwart. Ich möch­te dazu im Moment kei­ne Namen nen­nen, aber es ist vor­ge­se­hen, dass jedes Jahr Berner Künstlerinnen und Künstler im Kunstmuseum gezeigt wer­den. Und zwar wer­de ich ver­su­chen, sie nicht in einer Abstellkammer zu zei­gen, son­dern wirk­lich grös­se­re Ausstellungen zu orga­ni­sie­ren. Ferner wer­den Künstlerinnen und Künstler aus Bern in den Kunstpreis, der jedes zwei­te Jahr aus­ge­schrie­ben wird, inte­griert wer­den.

 Wie kann sich die Abteilung für Gegenwartskunst des Kunstmuseums gegen­über Kunsthalle, Progr und Zentrum Paul Klee her­vor­he­ben?

Wir haben natür­lich Möglichkeiten, die die ande­ren Museen und Institutionen nicht haben. Vorteile räum­li­cher Art oder eben die Arbeit mit Sammlungen. Wir wer­den auch mit Schweizer Sammlungen zusam­men­ar­bei­ten, was eben­falls die Aufgabe eines Kunstmuseums ist und nicht die­je­ni­ge einer Kunsthalle: Sammlungen auf­ar­bei­ten, publi­zie­ren und erst­mals prä­sen­tie­ren. Das ist auch nicht die Aufgabe eines ZPK. Selbstverständlich wer­den wir ver­su­chen, in gewis­sen Fällen mit die­sen Institutionen zusam­men­zu­ar­bei­ten. Wir sind zur­zeit dabei, uns für die euro­päi­sche Biennale «Manifesta» zu bewer­ben, gemein­sam mit Progr, Museum Franz Gertsch, Kunsthalle und ZPK. Das ist ein gemein­sa­mer Effort, viel­leicht schon für 2008, viel­leicht für 2010. Wir haben uns gefun­den und sind dar­an Modalitäten der Zusammenarbeit zu suchen. Ich möch­te noch hin­zu­fü­gen, dass die so genann­ten Synergien, die ja immer wie­der als etwas sehr Positives her­aus­ge­stellt wer­den, eine Möglichkeit der Verlinkung und der Zusammenarbeit sind. Ich glau­be aber auch, dass eine gute und gesun­de Konkurrenz eben­so viel bringt. Wenn z. B. an zwei oder drei Institutionen und Orten abso­lut Spannendes gebo­ten wird und das gleich­zei­tig, so kom­men die Besucher von aus­ser­halb der Region Bern und sagen wie­der, es lohnt sich nach Bern zu kom­men, so wie es in die­sem Sommer mit der Eröffnung des ZPK, «Einstein» und «Mahjong» der Fall gewe­sen ist.

 Bestehen schon irgend­wel­che Pläne einer Zusammenarbeit mit der Abteilung für Gegenwartskunst des Instituts für Kunstgeschichte der Uni Bern?

Es bestehen kei­ne kon­kre­ten Pläne. Aber die Möglichkeiten sind viel­fäl­tig: Einbindung von Studenten in Ausstellungsprojekte, Organisation von Symposien, Vorträge, die zusam­men mit Peter Schneemann und der Abteilung für Gegenwartskunst des Instituts ver­an­stal­tet wer­den kön­nen. Wir wer­den uns zu Beginn des Jahres 2006 tref­fen, um wirk­lich ganz kon­kre­te Schritte ein­zu­lei­ten. Es ist wich­tig, dass man gera­de von die­sen Möglichkeiten der Zusammenarbeit im Haus pro­fi­tiert.

 Wie sieht der Fahrplan für den Neubau der Abteilung Gegenwartskunst aus?

Bis Ende 2006 ist eigent­lich alles prä­zi­se und kon­kret: Am 9. Januar wer­den die Wettbewerbsunterlagen auf der Website des Kunstmuseums ver­öf­fent­licht. Architekturbüros aus der Schweiz und dem Ausland kön­nen sich ein­schrei­ben, müs­sen bis April ihre Vorschläge ein­rei­chen. Bis Oktober wer­den die bei­den Phasen des anony­men Wettbewerbs abge­schlos­sen sein. Dann wis­sen wir, wer der Sieger ist und wie das neue Museum aus­se­hen wird. Die Projekte wer­den alle aus­ge­stellt und man wird sie begut­ach­ten kön­nen. Wir haben eine Jury zusam­men­ge­stellt, die sehr homo­gen und sehr pro­fes­sio­nell ist. Ich freue mich auch auf die­se Arbeit, die Errichtung eines Neubaus, etwas, das ich bis­her noch nie gemacht habe. Das ist eine sehr gros­se Herausforderung und die Ambitionen sind gross. Wir möch­ten etwas bewerk­stel­li­gen, das es sonst nir­gends gibt. Das idea­le Museum für Gegenwartskunst wol­len wir hier für Bern. Die Bauzeit wird sicher zwei Jahre betra­gen. Ich habe das Gefühl, das die Eröffnung irgend­wann im Jahr 2009 statt­fin­den wird.

 Deine Stelle ist auf fünf Jahre befri­stet. Ist das sinn­voll oder eher ein Ausdruck von man­geln­dem Vertrauen in dich?

Das ist abso­lut nicht üblich. Es ist ein Novum in der Schweiz, das gibt es in kei­nem ande­ren Museum. Ich per­sön­lich bin nicht sehr zufrie­den mit die­ser Lösung. Ich hät­te mir gewünscht, dass es wie in jedem ande­ren Museum eine unbe­fri­ste­te Anstellung gewe­sen wäre. Im Bereich Gegenwartskunst ist es natür­lich so, dass irgend­wann ein Generationenwechsel statt­fin­den soll­te, ich fin­de aber, dass hät­te eine Sache der Verhandlung zwi­schen Direktion, Konservator und so wei­ter sein sol­len und nicht eine Beschränkung. Ich hal­te dies für eine ziem­lich unkom­for­ta­ble Situation.

 Die offi­zi­el­le Begründung war ja die Schnelllebigkeit der Gegenwartskunst?

Man soll­te eben einen Unterschied machen zwi­schen dem schnelllebi­gen Kunsthallebetrieb, wo wirk­lich das, was jetzt inter­na­tio­nal im Auftauchen begrif­fen ist, sofort prä­sen­tiert wer­den soll­te und der Aufgabe eines Kunstmuseums, die eine ganz ande­re ist. Ich glau­be, dass da eine gewis­se Langatmigkeit bestehen und die Fristen ver­län­gert wer­den soll­ten und nicht alles sehr kurz­fri­stig ange­setzt wer­den muss. Ich bedaue­re das und fin­de, dass es ein Präzedenzfall sein wird für die Schweiz. Trotzdem freue ich mich auf die neue Aufgabe.

Bild: Bernhard Fibicher: Rudolf Steiner, imƒ, 2005, 5 Polaroid-Fotografien, je 18,8 x 24 cm, auf 24 mm Birkensperrholz auf­ge­zo­gen, Unikat. Courtesy of the Artist.

ensuite, Januar 2006

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