Jugendliche Gedanken im Alter

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ensuite_147_MärzVon Lukas Vogelsang – Es wird Frühling und die Natur erwacht, und damit auch unse­re Lebensgeister. Das gibt auch der Jugendlichkeit wie­der Auftrieb. Jung sein ist heu­te noch mit 50 Jahren Pflicht. Unser Durchschnittsalter steigt von Jahr zu Jahr, und die eigent­li­chen Jungen sind schon längst in mar­gi­na­ler Minderzahl. Wir über­al­tern aber des­we­gen nicht, denn wir blei­ben eben im Geiste jung.

Wir haben es schon öfters gehört – mei­stens von jün­ge­ren Menschen: Im Stadttheater tumm­le sich vor allem die Farbe Grau, und wenn es so wei­ter­ge­he, dann ster­be die Kulturinstitution aus. Es braucht eine gewis­se Kurzsichtigkeit, wenn man nicht ver­steht, dass wir schon lan­ge wesent­lich mehr älte­re Menschen in der Gesellschaft zäh­len als Junge. Und es ist ver­ständ­lich, dass es sehr schwie­rig ist, als jun­ger, uner­fah­re­ner Mensch einem älte­ren Publikum etwas vor­zu­ma­chen. Das habe ich selbst fest­stel­len müs­sen, als ich auf mei­ne Texte Feedbacks von älte­ren Menschen erhielt. Das berührt mich auch heu­te immer noch sehr spe­zi­ell – obwohl ich sel­ber bereits im per­fek­ten schwei­ze­ri­schen Durchschnittsalter ste­he.

Wir haben kei­ne Erfahrung mit einer alt-jun­gen Gesellschaft. Wir haben kei­ne Ahnung, wie dies uns gemein­sam ver­än­dern wird. Dieses «jung ver­al­tern» ver­än­dert die Politik, die Wirtschaft, das Sozialleben, das Gesundheitswesen, ein­fach alles. Es geschieht zum ersten Mal – wir haben kei­ne Erfahrungswerte. In «Die Zeit» habe ich gera­de den poli­ti­schen Diskussions-Marathonlauf von Angela Merkel (*1954) in der Woche vom 9. – 15. Februar nach­ver­folgt (Griechenland-Finanzen und Ukrainekonflikt) und bin beein­druckt. Die mei­sten in mei­nem Alter hät­ten nach einer sol­chen Woche ein «Burnout». Ueli Zingg, Autor und ensuite-Schreiberling, hat mich mal dar­auf auf­merk­sam gemacht, dass «Pensionär» auf Französisch «ren­tier» heisst. Deutsch gele­sen kann man gut und ger­ne «Renntier» ver­ste­hen. In vie­len Fällen ist dem ja auch so.

Und das alles ver­än­dert die poli­ti­sche Kultur von Europa. Wir haben es nicht bemerkt, doch sit­zen heu­te kra­wat­ten­lo­se PolitikerInnen in den Ämtern, die sich schon lan­ge von den alten und tra­di­tio­nel­len, macht­hung­ri­gen Strukturen ver­ab­schie­det haben. Die Griechen machen es im Moment den Europäern vor. Schleichend wur­den die «alten 60 jäh­ri­gen» von «jun­gen 60 jäh­ri­gen» abge­löst. Die poli­ti­schen Ideen sind so ganz anders, die Parteiprogramme funk­tio­nie­ren nicht mehr nach den alten Mustern. Man ver­liert WählerInnen, weil die Menschen sich ver­än­dert haben. Und es ist eben nicht die viel­be­schwo­re­ne Jugend, die in Massen in den Strassen pro­te­stiert und die Welt ver­än­dert. Der Punk ist 60ig gewor­den.

In Bezug auf die Kulturszenen heisst das jetzt, dass wir die­sem Faktor gerecht wer­den müs­sen. Auf der einen Seite ist es wich­tig, dass wir Nachwuchs gene­rie­ren und die Künste nicht aus­ster­ben las­sen. Auf der ande­ren Seite müs­sen wir die­sem Nachwuchs zu einer Qualität brin­gen, die eben auch erfah­re­nen Menschen gerecht wird. Das Trash-Theater war ein net­tes Experiment, doch hat es uns viel Publikum geko­stet. Die zeit­ge­nös­si­sche Kunst hat eben­falls extrem unqua­li­fi­zier­te Blüten her­vor­ge­bracht und ver­langt wie­der ver­mehrt nach qua­li­ta­ti­ven Ansätzen – min­de­stens was die Materialkenntnisse anbe­langt. In der Musik fas­zi­niert das Laptop-Gebastel gros­sen­teils auch nur noch Minderheiten und erreicht sel­ten exzes­si­ve Verkaufszahlen wie frü­her. Das ist kein Wunder, denn die Jungen haben alle Gratistools um gra­tis ihre gewünsch­ten Contents zu erobern – aber bereits ein paar Wochen spä­ter sind die­se Eroberungen ver­ges­sen und von gestern. Das ist die Jugend von heu­te – und sie steht damit im Gegensatz zur Erinnerung des Alters.

Das ist natür­lich alles nur Theorie und eine pro­vo­ka­ti­ve These von mir. Und ich mei­ne damit nicht, dass wir jetzt aus­schliess­lich «Kultur für alte Junge» machen soll­ten und sonst alles schlecht ist. So ein­fach den­ke ich nicht. Allerdings wer­den uns genau sol­che Thesen eini­ge neue Gedankengänge und Ideen zuspie­len. Für mich sind es Beobachtungen, wel­che ich in den letz­ten 13 Jahren mit unse­rem Magazin eben­falls gemacht habe.

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