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Jimmy’s Hall

Von Sonja Wenger – Kein Mensch ist eine Insel: Jeder Kampf eines Einzelnen – sei es um poli­ti­sche Rechte, für mehr Bildung oder schlicht die Möglichkeit, zu tan­zen und zu sin­gen, wann man es möch­te – beein­flusst das Denken und Handeln der Gemeinschaft, in der man lebt. Dabei ist es neben­säch­lich, ob sol­che Kämpfe gezielt geführt wer­den, oder ob sie ein­fach Teil eines geleb­ten Lebens sind.

Einer, der vor allem durch sein Handeln die Menschen sei­ner Umgebung stark beein­flusst hat, war Jimmy Gralton, ein poli­ti­scher Aktivist aus Südirland, der bis heu­te der ein­zi­ge iri­sche Bürger ist, der ohne ein Rechtsverfahren aus sei­nem eige­nen Heimatland depor­tiert wur­de. «Jimmy’s Hall», der neue Film des bri­ti­schen Regisseurs und Drehbuchautors Ken Loach, basiert zu wei­ten Teilen auf Graltons Biografie, des­sen Geschichte aus­ser­halb Irlands bis­her wenig bekannt war.

Gralton war 1932 nach Jahren im Exil in den USA in sei­ne Heimat zurück­ge­kehrt, um sei­ner altern­den Mutter auf dem Bauernhof zu hel­fen. Zehn Jahre nach einem ver­hee­ren­den Bürgerkrieg ist das Land zwar noch immer stark gespal­ten zwi­schen der Regierung, der repu­bli­ka­ni­schen Bewegung und der katho­li­schen Kirche, den­noch herrscht ein ver­hal­te­ner Optimismus.

Auch Gralton hofft dar­auf, dass die Vergangenheit nicht län­ger sei­ne Gegenwart bestimmt. Vor sei­nem Weggang hat­te er näm­lich den Zorn der Mächtigen auf sich gezo­gen, da er nicht nur ein frei­den­ken­der Geist war, der mit den Grundideen des Kommunismus sym­pa­thi­sier­te, son­dern es auch gewagt hat­te, in einem offe­nen Gemeindezentrum Anderen poli­ti­sche Bildung und die Freude an Musik, Kultur und Sport zu ver­mit­teln. Da dies die Autorität der Kirche – sie bean­spruch­te damals das Bildungsmonopol – und die noch immer gut ver­an­ker­ten Feudalstrukturen jener Zeit in Frage stell­te, fand sich Gralton bald im Visier der Behörden wie­der. Nur durch sei­ne Flucht aus dem Land konn­te er damals einer Verhaftung wegen Aufruhr ent­ge­hen.

Die Erfahrungen in den USA, die zu jener Zeit unter den Folgen der gros­sen Depression zu lei­den hat­ten, haben Gralton zwar wei­ser, aber nicht lei­ser gemacht. Kaum zurück, lässt er sich dazu über­re­den, sein altes Gemeindezentrum wie­der her­zu­rich­ten. Und sei­ne Freunde von damals unter­rich­ten die Jugend der Umgebung erneut in Musik und Tanz, in Boxkampf, Handwerk und Literatur. Nicht lan­ge dau­ert es, bis die alten Feinde ihn Sozialist, Kommunist, gar Antichrist schimp­fen und die insti­tu­tio­na­li­sier­te Repression erneut anläuft.

«Jimmy’s Hall» ist der 29. Kinofilm von Ken Loach, der ein­mal als «Fürsprecher der Arbeiterklasse» bezeich­net wor­den ist, und der in sei­ner lan­gen Karriere eini­ge der wich­tig­sten bri­ti­schen Filme mit sozi­al­kri­ti­schem Hintergrund gedreht hat, dar­un­ter «Hidden Agenda», «Carla’s Song», «Land and Freedom», «My Name is Joe» oder «The Wind That Shakes the Barley». Mehrfach hat der inzwi­schen 78-jäh­ri­ge Loach ange­deu­tet, dass «Jimmy’s Hall» nun sein letz­ter Film sei. So rich­tig glau­ben mag man ihm das jedoch nicht. Loach, der mass­geb­lich einen extrem natu­ra­li­sti­schen Regiestil mit­ge­prägt und der sich stets dafür ein­ge­setzt hat, dass die Stimmen jener gehört wer­den, die nicht auf der Sonnenseite des Lebens ste­hen, wird Angesichts der poli­ti­schen und wirt­schaft­li­chen Realitäten unse­rer Zeit kaum ver­stum­men – höch­stens lei­ser wer­den und sei­ne Botschaften sub­ti­ler ver­mit­teln.

Zumindest erweckt «Jimmy’s Hall» die­sen Eindruck. Es ist ein Film, der eine empö­ren­de Episode aus Irlands Geschichte mit eher sanf­ten Bildern und bei­na­he schon gemäs­sig­ten Worten erzählt, der manch­mal sogar gut gelaunt und voll fei­nem Humor daher­kommt, und der sei­ne gröss­te Stärke aus der Menschlichkeit und Würde der ein­fa­chen Leute zieht. Ihr Wunsch nach frei­em Denken und viel­leicht noch nach etwas Abwechslung wird von der star­ren Geisteshaltung jener über­rollt, die ihre Privilegien gefähr­det und vor allem ihre Prinzipien her­aus­ge­for­dert sehen. In die­ser Hinsicht hat sich bis heu­te wenig ver­bes­sert. Es gibt also noch viel zu erzäh­len für Ken Loach. «Jimmy’s Hall» war dafür eine gute Fingerübung mit einer berüh­ren­den Geschichte und einer exzel­len­ten Besetzung. Ein Schwanengesang ist es aber noch lan­ge nicht.


«Jimmy’s Hall», Grossbritannien/Irland/Frankreich 2014. Regie: Ken Loach. Länge: 109 Minuten. Ab dem 21. August 2014 in Deutschschweizer Kinos.

Bild: Filmszene aus «Jimmy’s Hall», 2014, zVg.

 

Publiziert: ensuite Nr. 140,  August 2014