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Jane Eyre

Von Andreas Meier – Charlotte Brontes «Jane Eyre» (1847), die Leidens- und Liebesgeschichte einer jun­gen Gouvernante im vik­to­ria­ni­schen England, ist wohl einer der belieb­te­sten Romane in eng­li­scher Sprache über­haupt, was von den über 20 Verfilmungen des Stoffs seit 1910 wohl zu genü­ge bezeugt wird. Nun erscheint eine neue Version von Cary Fukunaga mit Mia Wasikowska («The Kids Are All Right», «Alice in Wonderland») und Michael Fassbender («Inglorious Basterds», «X‑Men: First Class») in den Hauptrollen.

In vie­ler­lei Hinsicht war «Jane Eyre» zum Zeitpunkt sei­ner Veröffentlichung ein revo­lu­tio­nä­res und gera­de­zu gewag­tes Buch, das sei­ner Zeit vor­aus war, und vie­le der Elemente, die wohl für die enor­me Beliebtheit von Jane Eyre ver­ant­wort­lich sind und es noch heu­te über­ra­schend modern erschei­nen las­sen, waren damals uner­hört und gewagt. So ist Jane Eyre anders als vie­le ande­re zeit­ge­nös­si­sche lite­ra­ri­sche Frauenfiguren ein unab­hän­gi­ger und star­ker Charakter, und die Liebesgeschichte im Zentrum der Handlung dient für ein­mal nicht dazu, klas­si­sche Geschlechterstereotypen zu festi­gen; Mr. Edward Rochester ist älter als Jane, steht viel höher in der sozia­len Rangordnung des vik­to­ria­ni­schen Englands und ist ihr Arbeitgeber, doch Jane lässt sich dadurch nicht ein­schüch­tern und begeg­net Rochester auf glei­cher Augenhöhe. So kann Jane Eyre sehr wohl als ein frü­her femi­ni­sti­scher Roman gel­ten.

Die unge­bro­che­ne Beliebtheit der Geschichte sorgt dafür, dass Jane Eyre schon fast jedes Jahrzehnt noch ein­mal neu ver­filmt wird, obwohl es nun wirk­lich kein ein­fa­cher Stoff für die Übersetzung vom Buch ins Medium Film ist. Der Roman scheint sich nur schon durch sei­ne Länge vor einer Verfilmung zu sträu­ben, doch dazu kom­men noch wei­te­re Hürden. So ist Jane Eyre ein Genrehybrid, der sich Konventionen aus der Autobiographie, dem Bildungsroman, dem sozi­al­kri­ti­schen Roman, der Gothic Fiction und der Romance Novel bedient, und sich kei­nem die­ser Genres wirk­lich zuord­nen lässt. Auch der Breite der Handlung, die sich über vie­le Jahre hin­weg­zieht, ist nicht ein­fach bei­zu­kom­men. Deshalb haben eini­ge Regisseure auf das Format der Miniserie zurück­ge­grif­fen, um der Tiefe von Jane Eyre gerecht wer­den zu kön­nen.

Die neue «Jane Eyre»-Verfilmung ver­sucht das Problem mit einem ande­ren Kniff anzu­ge­hen: die Handlung, die im Buch streng chro­no­lo­gisch erzählt wird, wird nun per Rückblende erzählt. Anstatt mit Janes Jugend wird die Geschichte nun mit ihrer «Flucht» von Thornfield Hall im letz­ten Drittel der Handlung begon­nen. Dieser Kniff erlaubt es, das Erzähltempo auf Wunsch zu erhö­hen und die Handlung etwas dyna­mi­scher erschei­nen zu las­sen. Einige Passagen, vor allem die Jugendjahre von Jane, wer­den so stark ver­kürzt, und der Fokus liegt stär­ker als im Roman auf ihrem Aufenthalt in Thornfield Hall und ihrer kom­pli­zier­ten Beziehung zu Mr. Rochester.

Der Nachteil davon ist, dass Janes Jugendzeit, die im Roman an die hun­dert Seiten ein­nimmt, nun arg mar­gi­na­li­siert wird und die emo­tio­na­le Tiefe der Vorlage etwas ver­mis­sen lässt. Das ist vor allem des­halb scha­de, weil die Geschichte ihrer Kindheit mit all dem Leid, den Ungerechtigkeiten und Janes kind­li­cher, stu­rer Rebellion viel dazu bei­trägt, die Entwicklung ihres Charakter und ihrer Stärke ver­ständ­li­cher und inter­es­san­ter zu machen. Auch ande­re wich­ti­ge Themen des Romans wer­den im Film nur am Rande behan­delt, wie etwa die Kritik an der reli­giö­sen Heuchelei der vik­to­ria­ni­schen Gesellschaft und Janes eige­ne reli­giö­se Vorstellungen.

Doch all das ist kein Pfusch, kei­ne Unachtsamkeit, son­dern ein kal­ku­lier­tes Opfer, das es dem Film erlaubt, sich ganz auf die Liebesgeschichte im Zentrum der Handlung zu kon­zen­trie­ren. Und wäh­rend der Film in den ersten Minuten etwas gehetzt erscheint, ver­lang­samt sich das Erzähltempo nach Janes Ankunft in Thornfield Hall merk­lich, und lässt die beein­drucken­de schau­spie­le­ri­sche Leistung von Mia Wasikowska und Michael Fassbender voll zur Geltung kom­men. Wasikowska fängt die Mischung aus stoi­scher Stärke und über­bor­den­der Emotionalität, die den Charakter der Jane Eyre so fas­zi­nie­rend macht, per­fekt ein, wäh­rend Fassbender Edward Rochesters grüb­le­ri­sche, fin­ste­re Seite erfolg­reich mit Charisma und Anziehungskraft ver­knüpft.

Auch sonst macht der Film vie­les rich­tig; die dunk­len, in Kerzenlicht getauch­ten Bilder und die musi­ka­li­sche Untermalung las­sen eine dich­te Atmosphäre auf­kom­men, die schwer von Melancholie ist. Der Schatten von mehr als 20 Verfilmungen liegt auf der neue­sten «Jane Eyre», die­se schafft es jedoch den­noch ohne Mühe, zu glän­zen.

Regie: Cary Fukunaga. Darsteller: Mia Wasikowska, Micheal Fassbender, Judi Dench, u.a. GB 2011. Dauer: 120 Min.

Foto: zVg.
ensuite, August 2011