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It’s a Time Art

Von Anna Vogelsang – Die ver­schie­de­nen alten Mess- und Navigationsgeräte haben mich schon in mei­ner Kindheit fas­zi­niert. Der Kompass, das Fernrohr, die ver­schie­de­nen Waagen, mit von ganz gros­sen zu sehr klei­nen Gewichten, oder all die Geräte, mit denen die Seeleute sich auf offe­ner See ori­en­tier­ten. Mein erstes «seriö­ses» Spielzeug, das eigent­lich kei­nes war, war ein Kompass in Form einer Kugel. Der Kompass in die­ser Kugel war in einer Flüssigkeit ein­ge­schlos­sen, und rich­te­te sich bei jeder Position so, dass er strikt nach Norden zeig­te. Das war fas­zi­nie­rend. Es war ein simp­ler Schlüssel-anhän­ger, aber für ein 7‑jähriges Mädchen ein magi­sches Gerät.

Diese Eigenschaft – Magie in anschei­nend ein­fa­chen Dingen – besit­zen fast all die­se Gegenstände. Sie zei­gen eine Richtung, defi­nie­ren Länge und Breite, Winkel, Geschwindigkeiten, und … sie defi­nie­ren Zeit. Ja, die Uhr ist wahr­schein­lich etwas beson­de­res unter sol­chen Geräten, weil sie etwas misst, was man nicht berüh­ren kann. Man spürt das Gewicht eines Steines in der Hand. Man kann eine Distanz mit Schritten mes­sen. Aber wie lässt sich die Zeit erfüh­len? Manchmal läuft sie unend­lich lang­sam und manch­mal unwahr­schein­lich schnell. Und wel­che Spuren hin­ter­lässt die Zeit an den eigent­li­chen Zeitmessern? Verschont sie die­se als treue Diener, oder ver­al­ten sie eben­so und wer­den abge­nutzt, weg­ge­wor­fen?

Das Museum Bellerive in Zürich prä­sen­tiert in der Ausstellung «Cartier Time Art» die 158 histo­ri­schen Ausstellungsstücke der Collection Cartier, in wel­chen sich die Schätze des Hauses aus 164 Jahren Geschichte befin­den. Die Ausstellung zeigt teu­re und sel­te­ne Kreationen. Trotzdem wirkt alles sub­til und nicht pom­pös. Die Räume sind dun­kel – das Licht rich­tet sich nur auf die Uhren. Es ist still – kein «tik-tak … tik-tak». Nur ver­schie­de­ne Uhren im grel­len, weis­sen Licht. Manche die­ser Uhren sehen gebraucht aus – trotz sorg­fäl­ti­gem Polieren vor der Ausstellung. An ande­ren hat die Zeit kaum Spuren hin­ter­las­sen. Im Parterre ste­hen Werke aus den Anfängen der Manufaktur Cartier – von mas­si­ven Tisch- und ele­gan­ten Taschenuhren bis zu win­zi­gen Modellen für Damen, oder noch klei­ne­ren Manschettenuhren. Das älte­ste Exponat ist aus dem Jahr 1874. In einem ande­ren Raum sind die berühm­ten «12 myste­riö­sen Uhren» aus­ge­stellt. Bei die­sen Modellen ist die Verbindung zwi­schen den Zeigern und dem Uhrwerk schein­bar nicht gege­ben: Die Zeiger aus Platin und Diamanten schwe­ben in trans­pa­ren­ten Korpussen aus Bergkristall. Die erste «geheim­nis­vol­le Uhr» kre­ierte Maurice Couët 1912 für Cartier. Dabei liess er sich von den Arbeiten des Zauberkünstlers und Uhrmachers Jean Eugène Robert-Houdin inspi­rie­ren. Schade nur, dass aus­ge­rech­net die­se erste Uhr aus 1912 spur­los ver­schwun­den ist…

Der erste Stock, als logi­scher Abschluss der Ausstellung, wid­met sich der neu­sten Kreation, der «Konzeptuhr» Cartier ID One. Das beson­de­re an die­sem Modell ist, dass es im Gegensatz zu ande­ren mecha­ni­schen Uhren im Laufe sei­ner Lebenszeit kei­ne Regulierung erfor­dert und unemp­find­lich gegen Stösse, Temperaturschwankungen oder Magnetfelder ist. Magie, oder zur Perfektion getrie­be­nes Handwerk?

Zu mei­nem abso­lu­ten Favoriten wur­de eine magne­ti­sche Tischuhr aus dem Jahr 1928 in der Form einer Schale aus grü­nem Marmor. Eine Schildkröte soll­te sich im Wasser dem Rand ent­lang bewe­gen, und auf die rich­ti­ge Zahl auf dem Zifferblatt zei­gen. Leider war – wegen den her­me­ti­schen Vitrinen – kein Wasser in der Schale, und die Schildkröte war irgend­wo zwi­schen neun und zehn erstarrt. Aber die Idee ist magisch. Vielleicht wegen der Schildkröte: Schon die alten Weisen mein­ten, dass die Welt auf dem Rücken einer Schildkröte lie­ge. Und die­se Weltvorstellung bestand schon lan­ge bevor Terry Pratchett sei­ne fan­ta­sti­schen Scheibenwelt-Romane schrieb. Doch wenn die­ses magi­sche Tier uns wirk­lich die Zeit zeigt, dann wäre der Kreis wie­der geschlos­sen.

Foto: zVg.
ensuite, Oktober 2011