«Italien ist eine Bananenrepublik»

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(Zum Tod von Lucio Dalla (1. März 2012) / Interview von Luca D‹Alessandro April 2011)

«Italien ist eine Bananenrepublik», sag­te Lucio Dalla kürz­lich in einem Interview am Schweizer Fernsehen. Dabei nahm er nicht nur Bezug auf die poli­ti­schen und sozia­len Umstände in Italien, son­dern auch auf «Banana Republic», das legen­dä­re, mit Francesco De Gregori ein­ge­spiel­te Album aus dem Jahr 1979. Für lan­ge Zeit blieb die­ses das ein­zi­ge gemein­sa­me Werk. Erst 2009 fan­den die bei­den Urgesteine der ita­lie­ni­schen Musikgeschichte «durch Zufall» wie­der zusam­men, wor­auf sie eine Retrospektive auf Platte und DVD her­aus­brach­ten: «Work In Progress» ent­stand anläss­lich ihrer gleich­na­mi­gen Tour durch Europa. Letzten Monat waren sie in der Schweiz zu Gast. ensuite-kul­tur­ma­ga­zin hat Lucio Dalla auf ein Interview getrof­fen.

Buongiorno Signor Dalla.
Buongiorno Svizzera!
Ihre Begrüssung ist sehr herz­haft.
Ich habe es immer geliebt, vor Schweizer Publikum zu ste­hen.
Was den­ken Sie: Wie nimmt das Schweizer Publikum Ihre Musik wahr?
Ich habe in der Vergangenheit wie­der­holt in der Schweiz gespielt, daher ken­nen die Schweizer mei­ne Lieder sehr gut.
Woher kommt Ihre Liebe zur Schweiz?
Ich habe Ihr Land stets als kul­tu­rell her­aus­ra­gend erach­tet. Vieles aus mei­nem kul­tu­rel­len und lite­ra­ri­schen Repertoire hat da sei­nen Ursprung.
Zum Beispiel?
In Zürich gibt es die Kronenhalle. Ein Restaurant, wo es mich immer wie­der hin­zieht und wel­ches bereits von Picasso und Chagall besucht wur­de. Überhaupt ist es das Umfeld, die Art der Menschen, deren Offenheit für Kunst und Kultur, was mich fas­zi­niert.
Das Album «Work in Progress» ist ein Rückblick auf das Lebenswerk von Francesco De Gregori und Ihnen, dazu gehö­ren die Lieder «Caruso» und «Viva l’Italia». Ein Italien, das gegen­wär­tig nicht gera­de das beste Image hat.
Das ver­wun­dert mich nicht.
Haben Sie oder De Gregori jemals den Gedan­ken gehegt, «Viva l’Italia» umzu­schrei­ben?
Italien ist ein Land mit einer gross­ar­ti­gen Kultur, in des­sen Vergangenheit sich vie­le Dinge ereig­net haben, auf die ich sehr stolz bin. Daher bin ich es dem Land schul­dig, Geduld zu haben und zu hof­fen, dass sich die ver­wor­re­ne Lage wie­der nor­ma­li­siert. Im Moment durch­lau­fen wir eine dunk­le Phase mit vie­len Peinlichkeiten. Ich bin aber zuver­sicht­lich, dass es frü­her oder spä­ter eine neue Renaissance gibt; eine Rückkehr zu unse­ren ech­ten Werten und Traditionen.
Aus kul­tu­rel­ler Sicht hat Italien auch heu­te, trotz der umstrit­te­nen Regierung, eini­ges zu bie­ten. Es gibt dut­zen­de Musiker, ins­be­son­dere im Jazz- und Rock-Bereich, die deut­li­che Zeichen set­zen und einen fort­schritt­li­chen, inno­vativen Weg gehen.
Das Ganze ist im Kontext der ver­gan­ge­nen Jahrhunderte zu betrach­ten: Italien war das Zentrum der Renaissance und hat her­aus­ra­gen­de Persönlichkeiten wie Lorenzo Il Magnifico, Cosimo Dei Medici, Michelangelo, Leonardo Da Vinci, Raffaello und Donatello her­vor­ge­bracht. Dieses kul­tu­rel­le Erbe ist in jedem Italiener drin. Es ist unaus­lösch­bar. Auch wenn das Land heu­te nur weni­ge erwäh­nens­wer­te Errungenschaften vor­wei­sen kann, das Erbe der Ahnen steckt in uns drin und wird irgend­wann wie­der zum Vorschein kom­men. Deshalb bin ich nach wie vor in mei­ne Heimat ver­liebt.
Eine Liebe, die ver­mut­lich von Kulturschaffen­den wie Roberto Benigni zusätz­lich bestärkt wird. In Bezug auf das 150. Jubiläum der ita­lienischen Einheit hat er am «Festival del­la can­zone ita­lia­na» in San Remo den «Canto degli italia­ni», die ita­lie­ni­sche Nationalhymne, in einer äus­serst ergrei­fen­den Art rezi­tiert und dafür Standing Ovations geern­tet.
Ja, aller­dings muss man auch die­se Aktion in einem grös­se­ren Kontext betrach­ten: Wenn sich ein Land am Tiefpunkt befin­det, hat jeder posi­ti­ve Eindruck die drei­fa­che Wirkung.
Kommen wir zurück auf die Reunion zwi­schen Ihnen und Francesco De Gregori. Seit der Publikation von «Banana Republic» sind drei Jahrzehnte im Einzelgang ver­gan­gen. Was hat Sie dazu bewo­gen, erneut auf eine gemeinsame Karte zu set­zen?
Eigentlich nichts, es war purer Zufall. Ich wur­de gebe­ten, anläss­lich des 150. Jahrestags der Schlacht von Solferino auf­zu­tre­ten. Für den offi­zi­el­len Teil war die Teilnahme meh­re­rer Politiker vor­ge­se­hen, unter ande­ren des ita­lie­ni­schen Staatspräsidenten Giorgio Napolitano und Frankreichs Präsidenten Nicolas Sarkozy. Der Jahrestag fand ziem­lich genau ein Jahr vor dem 150. Jubiläum der ita­lie­ni­schen Einheit statt, wes­halb ich es für ange­bracht hielt, Francesco De Gregori mit ein­zu­la­den.
Wegen sei­nes Lieds «Viva l’Italia».
Genau. Zugegeben: Ich hät­te nicht gedacht, dass Francesco sich dazu bewe­gen lies­se. Aber er kam. Der gemein­sa­me Auftritt gefiel uns der­mas­sen gut, dass wir gleich wei­te­re Konzerte plan­ten. Inzwischen haben wir die Neunziger-Marke über­schrit­ten. Und die Puste geht uns ver­mut­lich noch lan­ge nicht aus, zumal jedes Konzert anders ist als das vor­an­ge­hen­de. Wir tau­schen uns lau­fend aus, streu­en immer wie­der neue Lieder aus unse­rem Repertoire ein, pas­sen sie an …
…ein «Work In Progress» im wahr­sten Sinne des Wortes.
Genau. Jeder dringt in die Lieder des ande­ren ein. Die mei­sten wer­den gemein­sam gesun­gen, ande­re wie «Caruso» hin­ge­gen blei­ben ein­stim­mig.
Apropos «Caruso»: Das Lied ist so etwas wie die inof­fi­zi­el­le ita­lie­ni­sche Nationalhymne.
Das hat was. Es hat sich über fünf­zig Millionen Mal ver­kauft und wur­de in der Vergangenheit von Pavarotti, Mina, Bocelli und Mercedes Sosa gesun­gen. Aber es ist nicht das ein­zi­ge, wor­auf ich stolz bin. De Gregori und ich haben ein brei­tes Repertoire, wel­ches inter­na­tio­nal Anerkennung fin­det und in den Konzerten für aus­ge­dehn­te Zugaben sorgt.
Was schät­zen Sie am mei­sten an Ihrem Bühnen­kol­le­gen?
Er ist ein gros­ser Sänger. Seit der Ära von «Banana Republic» hat sich De Gregori gewan­delt und ist zu einem Musiker gewor­den, des­sen gesang­li­che Performance ein­fach geni­al ist. Auch wenn er Lieder spielt, die er sel­ber nicht kom­po­niert hat, und die von der Struktur her nicht zu ihm pas­sen … selbst dann schafft er es, mich zu ver­blüf­fen.
Der gemein­sa­me Startpunkt war «Banana Republic». Dann ist jeder von Ihnen sei­ne eigenen Wege gegan­gen bevor es wie­der zur Zusam­men­ar­beit kam. Können wir heu­te von einer neu­en Synthese spre­chen?
Auf jeden Fall. In den dreis­sig Jahren haben wir uns nur gera­de zwei­mal gese­hen. Wer «Work In Progress» hört, stellt fest, dass die mei­sten Lieder wäh­rend unse­rer Solokarrieren ent­stan­den sind.
Herr Dalla, wo kann sich ein Musiker Ihres Formats noch ver­bes­sern?
Man kann sich immer irgend­wie ver­bes­sern. Ich arbei­te stän­dig an mir, sowohl was die Musik als auch mei­ne ande­ren Tätigkeiten angeht. Zum Beispiel unter­rich­te ich Soziologie an der Universität Urbino, oder ich füh­re Regie bei lyri­schen Darbietungen. Mir gefällt es, mit den Leuten zu arbei­ten und mich mit ihnen aus­zu­tau­schen.
Was haben Sie bis heu­te noch nicht gemacht?
Ich war noch nicht Torhüter beim FC Bologna (lacht).
Neben Soziologie haben Sie auch einen Lehrgang zur Sprache in der Werbung gelei­tet. Eine Sprache, die sich von jener Ihrer Lieder wesentlich unter­schei­det.
Ich muss zuge­ben, dass ich den Kurs nur gemacht habe, weil ich jene Werbung, die uns den Verstand ver­ne­belt, nicht aus­ste­hen kann. Ich bin der Meinung, dass es theo­re­tisch eine Form der Werbung gibt, die in den Köpfen weni­ger Schaden anrich­tet und gleich­zei­tig einen gewis­sen Gehalt an Informationen ver­mit­telt.
Wenn Sie dem­nach einen Werbespot für eines Ihrer Konzerte machen müss­ten, wie wür­de der klin­gen?
Ich wür­de beto­nen, dass unse­re Performance über das übli­che Schema eines Pop-Rock Konzerts hin­aus­geht. De Gregori und ich bie­ten nicht nur Szenografie, Kunst, Musik und Lyrik, son­dern wir ver­ei­nen alle die­se Elemente in einem ganz­heit­li­chen Kontext.
Wie kommt die­se Ganzheitlichkeit an?
Ich stel­le fest, dass unse­re Konzerte immer häu­fi­ger von jun­gen Menschen besucht wer­den, die zu unse­rer Musik nicht den glei­chen Bezug haben, wie zu jener, die sie am Radio hören. Ich möch­te nicht über­heb­lich wir­ken, aber ich fin­de, dass die Lieder in den Radios alle ein wenig ähn­lich tönen. Die Texte sind ober­fläch­lich, die Arrangements ein­fach und lang­wei­lig. Musiker heut­zu­ta­ge neh­men sich zu wenig Zeit für ein wirk­lich gutes Lied. Schade.

Aktuell:
Dalla De Gregori: «Work In Progress» (Warner)

 

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