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«Inside Llewyn Davis» von Joel & Ethan Coen

Von Sandro Wiedmer – «Wenn es nie neu war und nie alt sein wird, ist es ein Folk-Song», meint Oscar Isaac als Llewyn Davis gleich zu Beginn des Films, nach­dem er in einem schumm­ri­gen Club eine hin­reis­sen­de Ballade zum Besten gege­ben hat. Nicht der ein­zi­ge denk­wür­di­ge Einzeiler im neu­en Film der Coen-Brüder.

Bereits die Eröffnungs-Sequenz deu­tet den Duktus des Films an, mit wel­chem die Coens uns tief in die Musik-Szene von New Yorks Greenwich Village Ende der 50er, Anfang der 60er Jahre ein­tau­chen las­sen. Wie schon in «Oh Brother, Where Art Thou?» (2000) spielt in ihrem neu­sten Werk die Musik eine Hauptrolle. Für deren Produktion zeich­net auch wie­der­um T. Bone Burnett ver­ant­wort­lich. Im Gegensatz zum augen­zwin­kern­den Porträt der Hillbilly- und Country-Musik der 30er Jahre in den Südstaaten wer­den hier die Stücke jedoch aus­ge­spielt, ihrem Vortrag kommt eine tra­gen­de Rolle zu. Das hängt damit zusam­men, dass mit Llewyn Davis eine fik­ti­ve Figur geschaf­fen wird, deren Biographie und deren Umfeld sich an diver­sen rea­len Exponenten der dama­li­gen Szene inspi­riert, allen vor­an Dave Van Ronk, aus des­sen Aufzeichnungen eini­ge Ereignisse in das Drehbuch Eingang gefun­den haben. Damit gewinnt der Film nicht nur die iro­ni­sche Distanz, ohne wel­che kei­nes ihrer Werke aus­kommt, son­dern auch eine unge­wohnt direk­te Art des Ausdrucks von Gefühlen. Dem kommt um so mehr Gewicht zu, als die Auswahl und Bearbeitung der Songs sich eng an das authen­ti­sche Liedgut der dama­li­gen Zeit hält, bis hin zum Stil wie die Gitarrenbegleitung gespielt wird.

Ein Heimatloser, Getriebener, ver­sucht Llewyn mehr schlecht als recht als Musiker aus­ser­halb der Gesellschaft zu exi­stie­ren. Dabei geht er nicht sel­ten den­je­ni­gen erbar­mungs­los auf die Nerven, wel­che ihm am näch­sten ste­hen. Ein um das ande­re Mal über­las­sen sie ihm ihr Sofa als Nachtlager. Überhaupt ist vie­les nicht im Lot in sei­nem Leben: Eigentlich immer, wenn er nicht gera­de auf einer Bühne singt oder für einen Job als Studio-Musiker ange­heu­ert wird, trifft er die fal­schen Entscheidungen, tref­fen ihn die ärg­sten, fol­gen­schwe­ren, manch­mal komisch anmu­ten­den Missgeschicke, steht er sich mit sei­nen Launen selbst im Wege. Dass uns die­ser Verlierer über­haupt zu berüh­ren ver­mag ist einer­seits sei­ner Musik zuzu­schrei­ben, ande­rer­seits aber, und vor allem, sei­nem Darsteller Oscar Isaac, der nicht nur durch deren live abge­film­te Interpretation bril­liert, son­dern auch durch die Verkörperung die­ses eigent­lich wohl­mei­nen­den Melancholikers, der stets bemüht scheint eine unter­drück­te Wut zu bän­di­gen, sei­ne Zärtlichkeit hin­ter sei­ner Bärbeissigkeit zu ver­ber­gen. Ohne die­je­ni­ge des gan­zen, solid agie­ren­den Casts zu schmä­lern, kann hier zwei­fel­los von einer Meisterleistung gespro­chen wer­den.

Hintergrund der Geschichte, falls über­haupt von einer sol­chen gespro­chen wer­den kann, ist die auf­kei­men­de Neo-Folk Szene New Yorks anfangs der 60er Jahre, kurz bevor ein gewis­ser Bob Dylan das tra­di­tio­nel­le Liedgut revo­lu­tio­nier­te. Während einer run­den Woche ver­fol­gen wir den Alltag eines Musikers, wel­cher letzt­end­lich durch das Festhalten an sei­nen Prinzipien schei­tert. Mehr als um den Konflikt, wel­cher damals um die Authentizität der Erhaltung von Kultur ent­sprang, geht es den Coens jedoch um die Darstellung einer Epoche, eines Schicksals. Dass Talent nicht unbe­dingt zum Erfolg füh­ren muss macht der Film jeden­falls zeit­los klar. Es ist zum Teil sein Scheitern, das den Protagonisten zum Sympathieträger macht. Wie er mit dem Gitarrenkoffer und einer Katze im Arm in eine U‑Bahn stol­pert gehört zu den ein­präg­sa­men Szenen. Sie fügt sich naht­los ein in die Skurrilitäten, wel­che wir uns gewohnt sind von den Coen-Brüdern auf­ge­tischt zu bekom­men – eben­so wie eine makel­lo­se Kinematographie, stim­mungs­vol­le Bilder, in wel­che zu ver­sin­ken wir noch Stunden her­gä­ben.

Regie: Joel & Ethan Coen, mit Oscar Isaac, Carey Mulligan, John Goodman

Foto: zVg.
ensuite, Dezember 2013