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«Image Problem», eine star­ke Satire über die Schweiz

Auch als Bewohner der Komfortzone Schweiz tut man sich schwer. Selbst das Fernsehen geht von einer Fiktion aus: «Idée Suisse» nennt es sei­nen öffent­li­chen Sendeauftrag. Es will dem Publikum eine Idee geben von der Schweiz. Ohne Idee, ohne gemein­sa­me Vorstellung, gebe es kei­ne Willensnation, beschwö­ren die Reden am 1. August, dem Nationalfeiertag. Somit braucht jeder eine Idee sei­ner selbst, hat jede eine Idee vom andern. Gibt es ohne Image kei­ne Existenz? Wie steht es um das Bild der Schweiz? Gibt es so vie­le Bilder wie bald 8 Millionen. SchweizerInnen? Wie wird unse­re nach wie vor pri­vi­le­gier­te Spezies im Ausland gese­hen?

Rolf Lyssy griff die­se Fragen schon 1978 auf. «Die Schweizermacher» ist bis heu­te der erfolg­reich­ste Schweizer Film. 940’103 Zuschauer gin­gen damals ins Kino (bei 6,5 Millionen Einwohnern). Was auch zeigt: Schweizer beschäf­ti­gen sich ger­ne mit sich sel­ber.

Die Wohlstandssatire ent­stand im Nachgang zu den frem­den­feind­li­chen Schwarzenbach-Initiativen der 1970er Jahre, womit die enge Verbindung, wenn nicht gar not­wen­di­ge gegen­sei­ti­ge Beziehung von Identität und Abgrenzung mani­fest wird. Aber kann man sich dem Thema nur über die Satire nähern? – Ist ihr Gegenteil der völ­ki­sche Wahn der Leni Riefenstahl? – In der Reihe der Komödien zur Schweizer Identität zwi­schen Nostalgie und Aufbruch, Obstruktion und kon­struk­ti­ver Opposition ist auch Daniel Schmids «Beresina» (CH 1999) zu erwäh­nen. Martin Suter schrieb das Drehbuch.

Politischer Auslöser, sati­ri­sche Aufarbeitung

Auch die Filmautoren von «Image Problem», Simon Baumann und Andreas Pfiffner, bei­de Absolventen der Berner Hochschule für Künste, gehen in ihrem erfri­schen­den Beitrag im Internationalen Wettbewerb 2012 in Locarno von Selbstironie und Humor als glaub­wür­dig­ste Mittel zur Identitätsfindung aus. Sie nähern sich Schweizern als stol­zen Besitzern umzäun­ter Eigenheime mit ver­wackel­ter Handkamera, erkun­den ein­falls­reich die Kluft zwi­schen Selbst- und Fremdbetrachtung.

Das Genre des «Mockumentary», wie sie es nen­nen, bezeich­net einen fik­tio­na­len Dokumentarfilm, der wie­der­um den ech­ten par­odiert (von engl. to mock, vor­täu­schen, ver­spot­ten). Zwei eben­so unschul­dig wie ver­schmitzt vor­ge­tra­ge­ne Thesen fin­den sich dar­in: 1. Die Schweiz hat ein Imageproblem! 2. Wir lösen es nur, wenn wir uns bei den schlecht behan­del­ten Ausländern ent­schul­di­gen! Mit die­sem Suchbild machen sie sich auf quer durch die put­zi­ge «Suisse Miniature» nach dem unbe­kann­ten, schuld­ein­sich­ti­gen Schweizer mit einem welt­of­fe­nen Wesen.

Schweizer Identitätskrisen

Nun hat jede gelun­ge­ne Satire ihre ern­ste Seite. Die Krise der Schweiz, ihr Rollen-ver­lust als «Sonderfall» hat ihre Vorgeschichte. Man kann ihren Beginn, den Riss durch die unfass­ba­re Volksseele schon in der Abstimmungsschlacht 1992 um den Beitritt der Schweiz zum Europäischen Wirtschaftsraum ver­or­ten. Der Stadt-Land-Gegensatz spül­te einen rabia­ten Rechtspopulismus mit an die Schalthebel der Macht, der beim «Buurezmorge» (Bauernfrühstück) Blut und Boden zu Postkarten schönt und Ausländer als bedroh­lich ver­ach­tet. Womit sich die Kluft zwi­schen Selbst- und Fremdwahrnehmung wei­ter ver­tieft. Die Geschichtsklitterung zum Mythos einer angeb­lich neu­tra­len Schweiz blieb 1991 beim «Kulturboykott» – dem Abseitsstehen der intel­lek­tu­el­len Elite zum 700-jäh­ri­gen Jubiläum seit Staatsgründung – noch ein Diskurs fern­ab von Bierflaschen. Ebenso wenig nag­ten 1995 Selbstzweifel an der «Diamantfeier», 50 Jahre nach dem Krieg, als ein letz­tes Fahnenschwingen für die Aktivdienstgeneration.

Hat sich das Selbstbild seit­her ver­än­dert, ist die Identitätskrise der Schweiz im Bewusstsein ihrer Mehrheit ange­kom­men? Ist das Phänomen der wie­der zurück­ge­bun­de­nen Rechten deren Trotzen gegen den Zeitlauf anstel­le ech­ter Trauerarbeit? – Man kann es auch gegen­sätz­lich sehen: Je mehr ver­dräng­te Zweifel, umso mehr sol­len Pathos und Brimborium sol­che ver­decken. Da hin­ein wirk­te, was der Künstler Ben Vautier 1992 in den Schweizer Pavillon an der Weltausstellung in Sevilla schrieb, wie eine Bombe: «La Suisse n’existe pas.» Er benann­te die Furcht kei­ner eige­nen Identität!

Mit der offi­zi­el­len Revision der Schweizer Geschichte des 2. Weltkriegs durch den Bergier-Bericht (2002) bröckel­ten wei­te­re Steine von Mutter Helvetia als Statue mit der Lanze für die Freiheit und Lebenslüge ihrer Neutralität. Auch die St. Galler Behörden reha­bi­li­tier­ten den geäch­te­ten Polizeibeamten Paul Grüninger, der 1939 noch 3600 Juden vor dem Tod ret­te­te, erst 1998. Im sel­ben Jahr muss­ten die Schweizer Banken 1,25 Milliarden Dollar Entschädigung für durch sie will­kür­lich beschlag­nahm­te Vermögen an den jüdi­schen Weltkongress zah­len. Ein Pakt mit dem Apartheidregime in Südafrika blieb dage­gen fol­gen­los.

Doch zeigt die sich über­stür­zen­de Kette nega­ti­ver Ereignisse der letz­ten Jahre, die Schweiz hat inzwi­schen ein mas­si­ves Imageproblem: Sie gilt eben­so als Oase für Steuerflüchtige, wie als Tresor für Blutgeld von Diktatoren. Das Bankgeheimnis als Geschäftsmodell der Hehlerei steht welt­weit am Pranger. Dennoch täti­gen Schweizer Multis wie Nestlé und Glencore wei­ter­hin zwei­fel­haf­te Geschäfte. Warum ver­sagt die Corporate Governance? Warum geben Offizielle immer erst zu, was bewie­sen ist?

Kritik am Schweigen der Lämmer – und ein ver­söhn­li­cher Schluss

Das Konzept der Schweizer Neutralität als Schweigen zum Unrecht geht nicht mehr auf, ihr Abseitsstehen im Wohlstand vor der unhei­len Welt macht längst mit­schul­dig. Das Schweigen der Lämmer ist auch eines der Wölfe. Wie kommt es, dass in einem Rechtsstaat auf freie Meinungsäusserung selbst die Mitarbeiter des Filmfestivals von Locarno auf die Frage nach ihrem Lohn kei­ne Antwort geben? Welche Tabus und Imageprobleme wir­ken trotz aller Aufklärung im Geist der Freiheit immer noch nach?

Auf ihrer seis­mo­gra­fi­schen Reise durch die Alpendemokratie nach dem Zustand der Volksseele – am Wendepunkt der Schweiz als pri­vi­le­gier­ter Kleinstaat in die Ungunst ihrer Nachbarn – fin­det das gewitz­te und wit­zi­ge Autorenduo Baumann / Pfiffner einen uto­pisch ver­söhn­li­chen und bild­star­ken Schluss: Auf einer Insel im Bergsee zur Selbsterkenntnis trotzt ero­tisch wehr­haft «Helvetia», dem Anschein nach eine Seconda mit fri­schen Immigrantengenen, mit der Lanze der Freiheit dem Wind eines Helis als Sinnbild wirt­schaft­li­chen und tech­ni­schen Fortschritts: Bien sur, les Suisses exi­stent! «Image Problem» hat den sati­ri­schen Drive zum neu­en Publikumsrenner der Akte «CH».

Auf YouTube gibt es den Trailer zu «Image Problem», CH 2012.

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