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Im wun­der­vol­len All hört kei­ner dein Geschwafel

Der Weltraum: Unendliche Weiten, künst­le­ri­sche Inspiration und fas­zi­nie­ren­de Katastrophen. Schon 1951 erschien die Kurzgeschichte «Kaleidoscope» von Ray Bradbury. Dort lasen wir, wie die Besatzung eines ver­un­glück­ten Raumschiffs in ihren Raumanzügen macht- und ziel­los durch das Weltall treibt. Die Crewmitglieder hal­ten unter­ein­an­der Funkkontakt, wäh­rend jeder auf der eige­nen Bahn end­los durch das Nichts glei­tet. Den eige­nen und unab­wend­ba­ren Tod stets vor Augen, bleibt ihnen nur die Unterhaltung mit den ande­ren Opfern. Vor mehr als 60 Jahren wur­de damit alles Sagenswerte zu die­sem Thema gesagt. Und in die­sem Jahr erscheint der Hollywood-Streifen «Gravity», der uns noch ein­mal mit die­ser poe­ti­schen Situation kon­fron­tiert.

Bei Arbeiten am Weltraumteleskop Hubble wer­den drei Astronauten von einem Sturm aus Satellitenmüll über­rascht. Ihr Shuttle ist zer­stört und zwei Menschen wer­den ins All geschleu­dert. Man könn­te mei­nen,  Hollywood hät­te Ray Bradbury wie­der­ent­deckt, doch was bit­te, gibt es noch hin­zu zu fügen? Wenig Inhalt und viel Form.

Die Sphären der Schwerelosigkeit und des Vakuums sind so fas­zi­nie­rend wie sie für uns Erdbewohner unver­ständ­lich sind. In einer Umgebung, die weder Oben noch Unten kennt, wo kei­ne Reibung die Fahrt bremst und in der enor­me Geschwindigkeiten auf­ein­an­der tref­fen, ist alles anders. Diese Einsicht bei­na­he phy­sisch erle­ben zu kön­nen, ist der gros­se Verdienst von «Gravity». Die mensch­li­che Seite die­ser welt­lo­sen Welt aber ver­pufft ange­sichts des Technologiespektakels: In 3D und fast voll­stän­dig ani­miert dre­hen und flie­gen wir mit den flo­tie­ren­den Raumfahrern und den Bruchstücken ihrer Gefährte, bis wir selbst die Orientierung ver­lie­ren. Manchmal stört am Film gar das Filmische: Musik und Schnitte. Die stärk­sten Momente hat der Film, wenn er – bis auf Funksprüche – geräusch­los aus­kommt. Dann gelingt es auch, dank Plansequenz und her­vor­ra­gen­der Kameraführung (Emmanuel Lubezki) die Wirkung der Schwere- und Luftlosigkeit zu erfüh­len. Die visu­el­le Kraft der Bilder ist beein­druckend – wenn da bloss nicht die­se Menschen wären…

Angesichts der Weite des Weltalls ist der Mensch so unbe­deu­tend. Das hat Bradbury ein­drucks­voll beschrie­ben und wir sehen es im Film. Doch wer in einem sol­chen Film Sandra Bullock zur Haupt- und George Clooney zur Nebenfigur macht, hat garan­tiert kei­ne gros­sen psy­cho­lo­gi­schen Ambitionen. Dem grau­en Schönling nimmt man den lusti­gen Astronauten noch locker ab, wenn er sin­gend und schwa­felnd durch die Bilder schwebt. Bullock aber zielt auf tie­fen­psy­cho­lo­gi­sche Charakterbildung und ver­passt den Erfolg um Lichtjahre. Die Story ist zwar glück­li­cher­wei­se auf ein Minimum redu­ziert, aber den­noch eine Enttäuschung. Die Technik, die die Menschen in die­se lebens­feind­li­che Umgebung brach­te, ver­sagt mit kata­stro­pha­len Folgen. Dennoch ist sie es, gepaart mit unbe­ding­tem Glauben an sich selbst, die hier Lösung aller unlös­ba­ren Probleme brin­gen soll. Dieser zwang­haf­te Optimismus stösst übel auf.

Der unplau­si­ble, regel­recht dum­me Plot ist visu­ell aber so geni­al umge­setzt, dass der hyp­no­ti­sche Bann und die gra­fi­sche Wucht der Bilder die andert­halb Stunden zu einem ech­ten Erlebnis machen; vor­aus­ge­setzt, die Leinwand ist gross und die 3D-Technik funk­tio­niert. Filmtechnik und Weltraum las­sen sich im Kino aus­ge­zeich­net bewun­dern – das ist im eng­sten Sinn des Wortes gros­ses Kino. Wer sich hin­ge­gen für den Menschen im All inter­es­siert, soll­te lie­ber bei Ray Bradbury blei­ben und den inhalt­li­chen Weltraummüll unge­se­hen ver­glü­hen las­sen.

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