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Ich möch­te nie wie­der ent­täuscht wer­den

Von Martin Sigrist – Der 23-jäh­ri­ge Xavier Dolan stand bereits bei drei Spielfilmen als Regisseur hin­ter, bei zwei davon als Hauptdarsteller vor der Kamera. Nach «J’ai tué ma mère» und «Les Amours Imaginaires» star­tet am 14. März «Laurence Anyways».

Das drit­te Werk des Frankokanadiers erzählt die Geschichte der Beziehung von Laurence und Frédérique, bis sich Laurence ent­schei­det, als Frau zu leben. Der Film wur­de in Cannes 2012 in der Kategorie Un Certain Regard gezeigt und beim César 2013 als bester fremd­spra­chi­ger Film nomi­niert. (Verleihung am 22.02.2013). Ensuite traf Xavier Dolan in sei­ner Heimatstadt Montréal.

Xavier, wie lief der Start von «Laurence Anyways»?

Der Film ist ziem­lich lang und hat in den USA momen­tan kei­nen Vertrieb. Auch hier in Quebec wur­de er eher kalt auf­ge­nom­men. Die Kritiker haben ihn zwar gelobt, aber die Leute hier in Quebec sind nicht so begei­stert von loka­len Produktionen und fin­den es nicht nötig, loka­le Künstler zu unter­stüt­zen. Im Film geht es um ein deli­ka­tes Thema, damit ist er sicher nicht Mainstream, aber wir haben trotz­dem erwar­tet, dass sich ihn mehr Leute anschau­en.

War der Inhalt der Grund?

Kaum, denn «Les Amours Imaginaires» war ja auch kein Erfolg. Meine Filme sind nicht erfolg­reich, sie haben kein kom­mer­zi­el­les Leben. Ausser viel­leicht in den Ländern, wo sie gezeigt wer­den. In den USA wer­den sie aber wohl alle nie ver­öf­fent­licht. Eine Veröffentlichung wäre eine zu ris­kan­te Investition. «Laurence Anyways» ist kein Actionfilm und mit einer Länge von über 160 Minuten nicht zug­kräf­tig. Bei einem Film über eine vom Himmel fal­len­de Fledermaus kön­nen die Leute viel­leicht eine sol­che Dauer durch­ste­hen. Ich moch­te Batman sehr, aber die haben 200 Million Dollar mehr Budget und all die Stars. Das ist eine ande­re Welt.

Deine Filme sind immer auf Französisch. Macht die Sprache einen Unterschied?

Es macht einen Unterschied wenn du dich abhän­gig davon für einen Film ent­schei­dest, wer ihn gemacht hat und wer dar­in mit­spielt. Meine Schauspieler sind in Frankreich gros­se Stars, man­che auch in den USA, aber eben nur in gewis­sen Kreisen. Wenn Du die Welt errei­chen willst, brauchst Du einen Ruf, den ich aus­ser­halb von Quebec nicht habe, trotz des Cannes Festivals. Ich bin kein popu­lä­rer Name und kei­ne Berühmtheit. Ich träu­me von dem Tag, an dem ich einen Film mit rich­ti­gen Stars mache.

Die Medien fra­gen, war­um du in dei­nem neu­en Film nicht mit­spielst. Langweilt dich die Frage?

Es gibt vie­le Fragen, die mich lang­wei­li­gen, aber nicht die­se. Den Leuten ist auf­ge­fal­len, dass ich nicht mit­spie­le und sagen, dass es gut für den Film ist. Damit haben sie wohl Recht, obwohl ich das nicht ger­ne zuge­be. So konn­te ich mehr Energie auf den Film fokus­sie­ren. Dadurch habe ich vie­le tech­ni­sche und psy­cho­lo­gi­sche Dinge über den Film und Teamarbeit gelernt. Das wäre sonst nicht mög­lich gewe­sen. Als mein Fehlen im Film als Schlüssel zum Erfolg bezeich­net wur­de, fühl­te ich mich aber ver­letzt. Ich woll­te ein­fach mal was ande­res machen. Es gab in die­sem Film ein­fach kei­ne Rolle für mich, schon als ich das Drehbuch geschrie­ben habe. Ich woll­te ein­fach mal was ande­res machen. Beim näch­sten Film wer­de ich aber wohl wie­der mit­spie­len.

Du warst ganz kurz im Film zu sehen – konn­test du es nicht las­sen?

Ja, das war aber nur eine klei­ne Rolle. Bei der Szene fühl­te ich mich sehr bloss­ge­stellt, hat­te so etwas wie spon­ta­ne Inkompetenz. Ich war von 400 Leuten umge­ben und konn­te die ein­fach­sten Bewegungen nicht mehr. Dabei habe ich rea­li­siert, wie schnell ich das Schauspielen ver­ler­ne, wenn ich es län­ger nicht tue.

Du arbei­test immer wie­der mit den glei­chen Schauspielern. Was tust du gegen Routine?

Um Routine mache ich mir kei­ne Sorgen. Es sind zwar vier oder fünf von frü­her dabei, aber 80 Prozent der Schauspieler sind neu. Ich sehe da kei­ne Routine. Ein paar sind Freunde von mir und ich schrei­be Rollen für sie, weil ich ihre Arbeit schät­ze. Ich zwin­ge mich aber nicht, jeman­dem eine Rolle zu geben. Ich sehe mich nicht als Arbeitgeber son­dern als Künstler, der mit andern Künstlern arbei­ten möch­te. Ich lie­be es, mit neu­en Leuten zu arbei­ten, denn das inspi­riert mich und for­dert mich her­aus. Wenn ich ein Talent ent­decke und bewun­de­re, möch­te ich es ein­fan­gen, fest­hal­ten und damit arbei­ten.

Die Kritiker schei­nen dich zu lie­ben. Ist das gefähr­lich?

Ich lese alle Bewertungen, erin­ne­re mich aber eher an die nega­ti­ven. Ich bin mir also nicht immer bewusst, dass sie mich oder mei­ne Arbeit mögen son­dern sehe viel­mehr das Gegenteil. Das kann Leute belei­di­gen, die mich unter­stüt­zen. Ich bin beses­sen von Kritiken, denn ich möch­te sie ver­ste­hen. Gerade wenn ich Kritiker beein­drucken möch­te, bin ich oft­mals nicht ein­ver­stan­den, denn ich möch­te, dass sie auf mei­ner Seite sind. Wenn sie es nicht sind, den­ke ich mir: Wenn er den Film nicht mag, soll er halt sel­ber einen machen. Ich weiss, sol­che Gedanken sind erbärm­lich. Manchmal bin ich erwach­sen und den­ke mir ein­fach, das näch­ste Mal krie­ge ich ihn auf mei­ne Seite.

Du kannst nie alle erfreu­en.

Ich weiss, und ich wür­de das nicht wol­len. Aber eigent­lich wol­len das ins­ge­heim am Tag der Premiere alle. Dieser Gedanke ist sehr kin­disch, aber ich bin auch sehr jung. Künstler wol­len nicht Mainstream sein. Künstler wol­len geliebt wer­den.

Fühlst du dich mit dei­nen Filmen geliebt?

Ich füh­le mich geliebt, aber von einer sehr klei­nen Gemeinschaft. Ich spre­che nicht von der Schwulengemeinde. Es ist jetzt mein drit­ter Film und ich habe kei­ne Kompromisse gemacht, und konn­te somit nie sehr vie­le Leute errei­chen. Ich wer­de eher als Teil vom Underground genannt. Ich ver­ste­he, dass das nicht Filme sind, die von vie­len geschaut wer­den. Aber schluss­end­lich mache ich die­se Arbeit, um mei­ne Welt mit den Leuten zu tei­len. Wenn in Quebec nur 30’000 Leute von acht Millionen mei­nen Film anschau­en, habe ich dann ver­sagt? Ich habe die­sem Film drei Jahre mei­nes Lebens gewid­met, dazu mein Geld, mei­ne Zeit, mei­ne Energie, habe den Kontakt zu Freunden und Familie ver­lo­ren. War es das wert wenn nie­mand den Film sieht? Es tut mir leid, aber ich mache das auch für mich selbst, um Antworten auf Fragen zu erhal­ten und als eine Form von Therapie, um die Wut raus­zu­las­sen die ich in mir habe. Und ich möch­te Leute errei­chen. Es ist eine gros­se Belohnung, wenn mir jun­ge Leute aus der gan­zen Welt schrei­ben, wie sie den Film moch­ten und er sie ver­än­dert hat. Diese nai­ve Hoffnung hält das gan­ze Unterfangen am Leben. Wenn es nie­mand sieht, macht es kei­nen Sinn.

Bist Du ent­täuscht?

Ja, das bin ich, das hat mich wirk­lich ent­täuscht. Ich lie­be mei­ne Arbeit weni­ger, seit ich weiss, wie vie­le Leute den Film gese­hen haben. Der Film erscheint noch in wei­te­ren Ländern, aber ich möch­te mei­ne Hoffnung nicht zu hoch set­zen um dann wie­der ent­täuscht zu wer­den. Ich möch­te nie wie­der ent­täuscht wer­den.

Gehört denn Enttäuschung nicht zur Kunst?

Ich wer­de nie wie­der einen Film nur mit der Hoffnung machen, dass es dann schon klappt. Ich möch­te nie wie­der ent­täuscht wer­den, es gibt nichts Schlimmeres als Enttäuschung.

Du hast vor­her von Gemeinschaften gespro­chen, die dei­ne Filme schau­en. Woher kommt das?

Wie soll ich das wis­sen? Ich habe mich das nie gefragt, es ist für mich offen­sicht­lich. Meine Filme haben schwu­le Inhalte. Ich bin nicht über­rascht, dass gera­de Schwule mei­ne Filme schau­en, aber wir sind alles Individuen. Niemand mag mei­ne Filme nur weil er schwul ist. Ich möch­te mit mei­nen Filmen nicht nur gewis­se Leute anspre­chen. Es beschäf­tigt mich eher, ob hete­ro­se­xu­el­le Texaner mei­ne Filme schau­en als Schwule in Berlin. Ich ver­su­che mit mei­nen Filmen zu beein­flus­sen, wie Schwule in die­ser Industrie por­trä­tiert wer­den und wie wir dar­über spre­chen. Ich ver­su­che ein­fach über LGBT-Themen zu spre­chen, ohne sie zum Kern mei­ner Filme zu machen.

Stehen die­se Themen bei «Laurence Anyways» denn nicht im Zentrum?

Nein, eben gera­de nicht, und das wur­de kri­ti­siert. Leute aus der Transgender-Szene mein­ten, ich wei­che dem Thema aus. Ich woll­te aber nicht über die ver­schie­de­nen Stufen der Verwandlung vom Mann zur Frau spre­chen, son­dern über Liebe. Der Film läuft auf einem ande­ren Level ab. Im Hintergrund sind die­se Fragen, aber ich fand es nicht nötig, sie zu beto­nen. Ich erzäh­le die Geschichte von Individuen und ihren Eigenenarten. In der Gesellschaft gibt es nicht nur einen Weg, um etwas zu tun. Viele Transsexuelle mei­nen, mein Film sei so nicht rea­li­stisch: Transexuelle wür­den nicht so in die Schule kom­men. Ich wür­de es nicht so machen, weil ich nicht tran­se­xu­ell bin und den Mut nicht hät­te. Doch Laurence macht es so, ein­fach so, weil er es will. Ich woll­te kei­nen Dokumentarfilm machen, ich habe kei­ne Nachforschungen betrie­ben. Ich woll­te nicht respekt­los sein, aber in mei­nem Film funk­tio­niert es ein­fach so.

Deine Filme sind eine Gratwanderung zwi­schen Geschichten und schö­nen Bildern. Kritiker haben «Laurence Anyways» als kunst­be­flis­sen bezeich­net.

Das ist ein­fach die wie­der­hol­te Beobachtung von mei­nem zwei­ten Film. Zwei Drittel des Films sind mit einer Schulterkamera gefilmt, ohne künst­li­ches Licht, auf die Schauspieler und den Text fokus­siert. Aber Leute erin­nern sich immer an die flam­boy­an­ten Szenen und sagen, ich hät­te von dem und dem Regisseur abge­schaut, aber die haben kei­ne Ahnung. Zur Vorbereitung schaue ich mir nicht Filme an, son­dern lese Bücher, Gedichte und Modemagazine. Leute mögen mich als ober­fläch­lich bezeich­nen, aber so arbei­te ich. Nur Kritiker sagen, in mei­nen Filmen gin­gen Äusserlichkeiten dem Inhalt vor. Die Leute von der Strasse erzäh­len mir, wel­che Gefühle der Film bei ihnen aus­löst. So etwas lese ich nie in Kritiken. Wenn die Zuschauer dem Film ihre Herzen öff­nen, tra­gen sie zum Genuss des Films bei. Etwas Besseres kann nicht pas­sie­ren, das ist für mich die gröss­te Belohnung. Mich inter­es­sie­ren die kom­pli­zier­ten Analysen von Filmen nicht. Was mich wirk­lich inter­es­siert: bist du berührt, hast du geweint? Das ist viel­leicht kit­schig, viel­leicht ober­fläch­lich, aber mir geht es immer wie­der nur um die­se bei­den Fragen.

Foto: zVg.
ensuite, März 2013