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«Ich habe immer Angst, dass nie­mand kommt.»

Von Martin Sigrist - Interview Ray Cokes, Hamburg, Schmidt Theater, 26.09.2013 : Ray Cokes mode­rier­te in den 1990ern bei MTV die Sendung «Most Wanted». Der mitt­ler­wei­le knapp 56jährige Brite erreich­te zu jener Zeit Millionen Zuschauer. Danach mode­rier­te er neben bri­ti­schen auch fran­zö­si­sche Sendungen und war Juror einer bel­gi­schen Casting Show. Der mitt­ler­wei­le in Belgien wohn­haf­te Cokes mode­riert all­jähr­lich sei­ne «Ray’s Reeperbahn Revue» am Reeperbahn Festival in Hamburg, wo er sei­ne täg­li­chen Lieblingskünstler des Festivals ein­lädt. Ensuite traf ihn nach einer sol­chen Revue im Zuschauerraum: Ray kennt wäh­rend und nach den Shows kei­ne Berührungsängste und nimmt noch immer kein Blatt vor den Mund.

Ray, Du bist eine Diva?

Nein, ich hof­fe nicht. Ich schla­fe vor den Shows ein­fach nicht so gut.

Du bist noch immer ner­vös?

Nicht auf der Bühne, aber unter­be­wusst füh­le ich es schon. Ich schla­fe die Nächte davor schlecht, esse nicht rich­tig, und dann wird mir doch klar, ah, es ste­hen Auftritte an. Adrenalin hilft gegen Angst. Meine Shows sind orga­nisch und frei, und ich weiss nie, wie vie­le Leute kom­men. Ich habe immer Angst, dass nie­mand kommt.

Du bist kein Unbekannter, vie­le Leute ken­nen Dich von MTV.

Das habe ich in den letz­ten 15 Jahren sehr oft gehört und ich bin froh, dass ich einen so gros­sen Einfluss hat­te – naja, nicht ich, aber MTV. Das waren damals noch ande­re Zeiten, es gab einen Fernseher pro Haushalt, in Osteuropa nur in schwarz weiss. Ich bin ein­fach Teil die­ser Geschichte. Die Zuschauer von damals sind jetzt 40, haben Firmen und möch­ten, dass ich bei ihnen auf­tre­te.

Machst Du das ger­ne?

Nein, ich ver­su­che nur weni­ge Shows für Firmen zu machen. Ich möch­te mit dem Publikum inter­agie­ren, und das läuft mit einem guten Publikum bes­ser. Bei Firmenanlässen ist es den Leuten egal, was ich sage.

Du hast einen Teil der Eröffnung des Reeperbahnfestivals in Hamburg vor gela­de­nen Gästen mode­riert – fällt das auch dar­un­ter? Du hast das Publikum auf­ge­for­dert, ruhig zu sein, das ist unüb­lich.

Ja, ich habe es gehasst. Ich bin ein eng­li­scher Hooligan, zwar Europäer, aber eben innen doch ein Hooligan. Ich sage dem Publikum auch mal, es sol­le Respekt gegen­über den Künstlern haben und ruhig sein. Da geht es nicht um mich, son­dern um die Künstler. Dafür habe ich zwar Applaus bekom­men, aber die Leute der Plattenfirmen und Bookingagenturen haben vor nie­man­dem Respekt. Die has­se ich wirk­lich. Darum bin ich wohl nicht reich, berühmt und habe eine gros­se Show im Fernsehen, aber ich bin froh, nicht zu die­sen zyni­schen, wider­li­chen Leuten zu gehö­ren.

Du magst die­ses Geschäft nicht, trotz­dem hast Du zum Beispiel am Reeperbahnfestival Deine eige­ne Show. Bei dem Festival geht es doch vor allem ums Geschäft.

Von den gan­zen Networking-Leuten hal­te ich mich fern. Ich sehe schon, was pas­siert, es kom­men immer mehr Businessleute. Aber da kann ich ein­fach raus­ge­hen und Konzerte sehen, das ist eher Rock and Roll und da gehö­re ich hin.

Du hast Glück, Du bist nicht so aufs Networken ange­wie­sen.

Aber viel­leicht soll­te ich. Wenn ich das Spiel etwas mehr mit­spie­len wür­de, hät­te ich mehr Arbeit, mehr Fernsehsendungen. Aber ich will ein­fach nicht. Ich mag es zwar, Leute ken­nen zu ler­nen, aber nicht die­ses Netzwerken. Da ist immer Jemand noch wich­ti­ge­res, und dann las­sen Dich die Leute ein­fach ste­hen. Ich den­ke dann, Du unfreund­li­cher Bastard, und sage das auch. Aber den­noch bin ich hier, muss­te nie einen rich­ti­gen Job anneh­men, in einer Bank arbei­ten oder Löcher in Strassen gra­ben. Ich lie­be was ich tue, wer­de damit zwar nicht reich, aber ich bin zufrie­den.

Möchtest Du noch was tun, was Du nie konn­test?

Ich möch­te eine rich­ti­ge Chatshow mit Publikum machen. Seit vier Jahren ver­su­che ich, was ich in Hamburg mache ins Fernsehen zu brin­gen. Aber die Leute sagen dann ein­fach, es geht nicht um Musik, das inter­es­siert doch nie­man­den. Das zei­gen die Einschaltquoten von Talkshows in den USA wie David Letterman und Jay Leno. Da bre­chen die Zahlen wäh­rend der Sendungen ein, sobald Musiker auf­tre­ten. Und doch sind das die ein­zi­gen Orte, wo über­haupt noch Musiker im Fernsehen auf­tre­ten kön­nen, und das ist trau­rig.

Foto: zVg.
ensuite, Februar 2014