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«Ich bin mit dem Gurten ver­hei­ra­tet»

Von Luca D’Alessandro – Die Scheibe fliegt von allei­ne: «Like A Rocket» braucht kei­ne media­le Schubkraft. «Dies, weil ich in den ver­gan­ge­nen Jahren mei­ner Linie stets treu geblie­ben bin», sagt des­sen Urheber, der Aargauer Soulman Seven.

Er ver­steht sein Handwerk: Auf dem Gurten hat Seven eine tadel­lo­se Performance abge­lie­fert. Auch die CD passt in die­ses Bild – die Featurings mit Omar, Beverley Knight, US-Rapper AMG und Talib Kweli spre­chen für sich; genau­so die Mitarbeit des legen­dä­ren Larry Gold aus Philadelphia, der für gewöhn­lich mit Künstlern wie Common, Erykah Badu oder Alicia Keys arbei­tet. Gleichwohl darf das Album als Schweizer Produkt bezeich­net wer­den, nicht zuletzt wegen der engen Zusammenarbeit mit Philipp Schweidler und Flo Göetze. Die bei­den Musiker und Produzenten haben im Wesentlichen dazu bei­getra­gen, dass Seven zum fünf­ten Mal durch­star­ten kann.

Am Rande des Auftritts vom 19. Juli auf der Hauptbühne des Gurtenfestivals hat Seven dem ensuite – kul­tur­ma­ga­zin ein paar Minuten gewid­met. Ein Gespräch über gestan­de­ne Soulsänger, gestran­de­te Formatradios und die stan­des­amt­li­che Bindung mit dem Gurten. «Hä?!» Weiterlesen.

ensuite – kul­tur­ma­ga­zin: Seven, «Like a Rocket» titelt dein Album, wel­ches – so könn­te man ver­mu­ten – im Widerspruch zum Vorgängeralbum «Home» steht. Bist du aus dei­ner ver­trau­ten Umgebung aus­ge­bro­chen?

Seven: Ja, in gewis­ser Hinsicht ver­spür­te ich die­ses Bedürfnis. Kurz vor der Fertigstellung mei­nes Vorgängeralbums «Home2 war ich neun Monate in den Vereinigten Staaten allei­ne unter­wegs. Es war eine erleb­nis­rei­che Zeit und fast täg­lich traf ich auf neue Menschen. Mir wur­de bald ein­mal klar, dass ich doch so eini­ges von mei­nem Zuhause ver­mis­se. Als Reaktion dar­auf begann ich mir ein musi­ka­li­sches Daheim ein­zu­rich­ten. Denn mit der Musik kann man sich, egal wo man sich befin­det, jeder­zeit die eige­nen vier Wände auf­bau­en. Nach mei­ner Rückkehr aus den Vereinigten Staaten brach­te ich die­ses im Ausland ent­stan­de­ne Zuhause auf Platte. Mit dem letz­ten Album «Like A Rocket» habe ich ver­sucht, mich von «Home» wie­der abzu­lö­sen. Dafür habe ich Philipp Schweidler und Flo Göetze an mei­ne Seite genom­men. Die Produktionsarbeit dau­er­te neun Monate. Am Ende die­ser «Schwangerschaft» haben wir das Baby auf die Welt gebracht. Wir waren stets zu dritt unter­wegs, von der ersten Idee über das Aussuchen der Musiker bis hin zur CD-Pressung.

Du bist sehr jung, auf dem euro­päi­schen Musikmarkt jedoch längst nicht der jüng­ste Soulsänger. Ist die­ses Genre tra­di­ti­ons­ge­mäss nicht einer älte­ren, gestan­de­nen Generation vor­be­hal­ten?

Das stimmt nur bedingt. In der gegen­wär­tig kan­ti­gen und schnelllebi­gen Facebook- und Twitter-Ära wird der Ruf nach fei­ner Musik immer lau­ter. Die Leute ver­lan­gen nach Wärme. Das bele­gen die zahl­rei­chen Auftritte, die ich die­ses Jahr hat­te und noch haben wer­de: Siebzig an der Zahl. Man stel­le sich das mal vor. Die Nachfrage ist beacht­lich. Beim Soul kommt es also nicht auf das Alter an, son­dern auf die Herzenswärme, die sich damit trans­por­tie­ren lässt. Als Sänger musst du ein Mensch sein, der sei­nen Alltag und sein Umfeld inten­siv lebt und erlebt. Wer ein dickes Tagebuch führt, ist prä­de­sti­niert für den Soul. Soulsänger sind Menschen, die sam­meln; sie bewah­ren jede Erinnerung und jedes Foto auf, und spei­chern das Ganze in ihrer Musik.

Prinzipiell ist der Mensch auf Erinnerungen ange­wie­sen. Dieser Faktor begün­stigt den Verkauf einer CD.

Eine CD zu pro­du­zie­ren, nur um sie dann in gros­sen Mengen abset­zen zu kön­nen, das kann nicht die Zukunft der Musikindustrie sein. Als Musiker habe ich sowohl Spass an Grosskonzerten, als auch an klei­nen Events. Es zählt die Liebe zur Musik und die Leidenschaft zu dem, was man aus der Musik macht – nicht der Verkauf der CDs. Wenn die Zuhörerinnen und Zuhörer nach einem gemein­sam erleb­ten Event dann trotz­dem mei­ne CD kau­fen und sich an unse­re gemein­sam ver­brach­ten Augenblicke erin­nern, ist mein Ziel als Musiker erreicht.

Die Radiolandschaft in der Schweiz scheint die­se Art der Erinnerung nicht zu för­dern. Die Playlisten bie­ten nur wenig Platz für neue Trends. Mit die­ser zum Teil sehr spär­li­chen Musikauswahl las­sen sich kaum Erinnerungen an bestimm­te Lieder knüp­fen, es sei denn, eines die­ser neu­en Lieder schafft den Sprung in die Rotation. Geschieht das nicht, bist du als Musiker in der Radiolandschaft nicht exi­stent und folg­lich auf Konzertauftritte ange­wie­sen.

In der Schweiz befin­den wir uns dies­be­züg­lich tat­säch­lich in einer schwie­ri­gen Lage. Willst du als Musiker ein Nischenprodukt anbie­ten, brauchst du ein Nischenradio. Fakt ist, dass die mei­sten Radios in der Schweiz sich ent­schei­den müs­sen, ob sie auf die Hitparaden-Schiene set­zen oder sich aus­schliess­lich auf ein bestimm­tes Nischenprodukt aus­rich­ten sol­len. Eine Mischung aus bei­dem, das funk­tio­niert lei­der nicht. Wir brau­chen nur über die Landesgrenzen hin­aus zu schau­en: In Deutschland zum Beispiel gibt es ein Rock-Radio, ein Reggae-Radio, was auch immer. Da lohnt es sich, auf­grund der Grösse des Landes, ein Spartenradio zu betrei­ben. In der Schweiz wäre das nicht denk­bar.

Trotzdem wird dei­ne Musik auf diver­sen Formatradios gespielt.

In den letz­ten Jahren habe ich zu den Schweizer Radios eine sehr enge Beziehung auf­ge­baut. Unter ande­rem des­halb, weil ich in kon­stan­tem Rhythmus neue CDs her­aus­brin­ge. Ich habe mei­nen Leitfaden, mein Konzept «Seven» nie los­ge­las­sen, im Gegenteil: Ich habe Videos pro­du­ziert und Konzerte gege­ben. Plötzlich war ich im Gespräch. Als Musiker ist es wich­tig, dass du einen Status hältst. Du darfst dich nie zu früh auf dei­nen Lorbeeren aus­ru­hen.

Kommt es vor, dass du ver­ein­zelt Lieder bewusst radio­taug­lich machst?

Nein, das tue ich nicht. Während der Produktion eines Stücks ver­schwen­de ich kei­ne Sekunde an die Spielbarkeit in Radios. Fängst du damit an, ver­schwen­dest du unge­mein viel künst­le­ri­sches Gedankengut. Erst wenn die Platte steht, set­ze ich mich mit mei­nem Team an einen Tisch. Dabei eru­ie­ren wir, wel­ches der vor­han­de­nen Lieder am ehe­sten in ein Lokal- oder gar in ein Nationalradio pas­sen könn­te.

In «Like A Rocket» bie­test du zahl­rei­che Featurings an, unter ande­rem mit Omar und Beverley Knight. Beide sind sie im R&B und Soul fest eta­bliert. Wie kam es zu die­ser Zusammenarbeit?

Unterstützt durch das Management habe ich eine Anfrage gestar­tet. Beide wil­lig­ten ein, das Ganze war sehr unkom­pli­ziert. Die Aufnahmen mit Beverley Knight haben in London statt­ge­fun­den. Die Vocal-Passagen haben wir sozu­sa­gen gleich­zei­tig ein­ge­spielt, also nicht zeit­lich ver­setzt. Das war mit­un­ter mein Wunsch, mir war es wich­tig, Beverley wäh­rend des Singens zu spü­ren. Hätten wir die Aufnahmen ver­setzt gemacht, wäre der Song nicht so her­aus­ge­kom­men, wie er heu­te auf der CD zu hören ist. Ja, an die­ses Erlebnis wer­de ich mich noch lan­ge erin­nern…

…ver­mut­lich auch an den Gurten.

Natürlich. Stell dir vor: Du stehst auf der Hauptbühne und siehst, wie sich der rie­si­ge Platz davor all­mäh­lich füllt. Aus den anfäng­li­chen fünf­zig Personen wer­den es hun­dert, tau­send und immer mehr. Das ist ein gewal­ti­ges Gefühl – beson­ders dann, wenn man sich zum Gurten der­mas­sen hin­ge­zo­gen fühlt, wie ich das tue. Ich bin mit dem Gurten ver­hei­ra­tet. Ich habe eine enge Bindung zu ihm.

Infos: www.sevensoul.ch

Foto: zVg.
ensuite, August 2009